Börsenprofessor Derman: Viel mathematisches Tamtam
Der Physiker und Börsenprofessor Emanuel Derman kennt die Welt der Finanzmathematik wie kaum ein Zweiter. €uro am Sonntag verrät er, warum man sich auf die Börsenforschung nicht immer verlassen sollte.
Werte in diesem Artikel
von Tobias Aigner, Euro am Sonntag
Als Emanuel Derman in der Lounge des Kölner Savoy-Hotels Platz nimmt, zückt er zuerst sein Smartphone. Er zeigt ein Foto von einem riesigen Frauenkopf in Rot und Gelb - ein Acrylbild, das die Wand über seinem Hotelbett ausfüllt. "Da fühlt man sich fast beobachtet", sagt der Professor von der Columbia-Universität in New York. Ein lockerer Auftritt für einen, der die komplexe Welt der Finanzmathematik durchschaut.
Derman ist Physiker und hat mehr als zwölf Jahre bei der Investmentbank Goldman Sachs gearbeitet. Heute zählt er zu den renommiertesten Börsenforschern der Welt. Im Gespräch mit €uro am Sonntag erklärt er, warum finanzwissenschaftliche Modelle so oft danebenliegen, wieso trotzdem so viele Marktteilnehmer an sie glauben und was so gefährlich daran ist.
€uro am Sonntag: Herr Derman, die Modelle der Finanzmathematik haben in der Krise kläglich versagt. Sie haben Portfoliomanagern kaum geholfen, die Verluste zu begrenzen. Ist die Börsenforschung fauler Zauber?
Emanuel Derman: Sie ist auf jeden Fall keine echte Wissenschaft wie die Physik oder die Chemie. Auch wenn ihre Methoden mit sehr viel mathematischem Tamtam daherkommen. Mich hat das Versagen der Modelle in der Finanzkrise nicht überrascht.
Wieso?
Es gibt einfach kein Modell, das die Märkte korrekt beschreibt. Und ich denke, es wird auch nie eines geben.
Dann ist es also Zeitverschwendung, sich solche Modelle auszudenken.
Das nicht. Modelle können eine enorme Hilfe sein, etwa um Portfolios abzusichern. Das funktioniert gut, solange die Welt nicht verrückt spielt. Aber wenn sehr viele Marktteilnehmer plötzlich in dieselbe Richtung laufen, versagen die Modelle. Das ist nicht verwunderlich. Vier Zentimeter lange Gleichungen können die verzwickten Verhältnisse von Menschen und Märkten nicht exakt wiedergeben. Die reale Welt ist einfach zu komplex.
Die Physik beschäftigt sich ebenfalls mit der realen Welt. Trotzdem funktionieren
ihre Modelle viel besser als die
in der Finanzwelt. Warum?
In der Physik spielt man gegen Gott. Und Gott verändert seine Gesetze nicht sehr häufig. Die Masse und die Ladung eines Elektrons sind absolute Werte. Daher ist es möglich, eine Gleichung aufzuschreiben, die den Charakter des Elektrons genau erfasst.
Und in der Finanzwelt?
Da spielt man gegen Gottes Geschöpfe, die Akteure. Sie ändern ihre Meinungen ständig. Deshalb ist am Wert einer Finanzanlage nichts absolut. Er hängt immer davon ab, wie Menschen die Zukunft einschätzen. Dabei tauschen sie sich auch noch dauernd aus und beeinflussen sich gegenseitig.
Was folgt daraus?
Ganz einfach: In der Physik wird es eines Tages vielleicht eine Theorie von allem geben, eine Art Weltformel. In der Finanzwissenschaft wird man so eine Formel nie finden. Man muss viel pragmatischer sein, mal ein paar Verbesserungen am Modell vornehmen, aber nicht nach dem großen Wurf streben.
Es sieht so aus, als wären die Finanzprofis zu pragmatisch. Fast alle ihre Modelle bauen auf der 50 Jahre alten Idee von den effizienten Märkten auf. Darin stecken eine Menge unrealistischer Annahmen, zum Beispiel, dass alle Investoren rational handeln. Warum wirft man das alte Monster nicht endlich über Bord und sucht sich etwas Besseres?
Weil das Modell sehr elegant ist. Es beschreibt eine Art Spielzeugwelt, in der man viele schöne Berechnungen anstellen kann. Man kann damit das Risiko einer Anlage bestimmen oder den fairen Wert von Aktien und Optionen abschätzen. Händler, die ständig Kauf- und Verkaufsentscheidungen treffen müssen, brauchen das. Ein realistischeres Modell wäre für sie nicht beherrschbar. Sie müssten mit viel mehr Unbekannten jonglieren.
Aber im Crashfall sind die Berechnungen falsch.
Mag sein. Aber ein neues Modell ist weit und breit nicht in Sicht. Es gibt zwar den Wissenschaftszweig der Behavioral Finance, der die Psychologie der Anleger untersucht. Und führende Vertreter wie Robert Shiller, der 2013 den Wirtschaftsnobelpreis erhielt, decken sehr gut all die Fehler im Modell der effizienten Märkte auf. Aber auch diese Leute schaffen es nicht, die Finanzmärkte korrekt zu beschreiben.
Dann ist die Kritik an den Modellen übertrieben?
Man kann den Modellen und ihren Erfindern keinen Vorwurf machen. Allerdings kann man den Ökonomen ankreiden, dass sie ihre simplen Modelle so ernst nehmen.
Woran liegt das?
Wahrscheinlich daran, dass sie nie eine echte Theorie zu Gesicht bekommen haben. Sie müssten alle mal einen Kurs in Newton’scher Mechanik belegen. Stattdessen geben sie sich einer schwärmerischen Liebe zum mathematischen Formalismus hin. Die Veröffentlichungen im "Journal of Finance" wimmeln nur so von Axiomen, Lehr- und Hilfssätzen. Der Grad an mathematischer Strenge verhält sich umgekehrt proportional zu ihrem Nutzen.
Wenn es die korrekte Finanztheorie nicht gibt, dann wird man sich wohl nie vor schwarzen Schwänen schützen können.
Richtig. Überraschende Kurseinbrüche lassen sich nicht vorhersagen oder perfekt abfedern.
Welche Schlüsse kann ein Anleger daraus ziehen?
Wenn er clever ist, denkt er daran, dass unerwartete Schocks jederzeit auftreten können - und geht von vornherein weniger Risiken ein als geplant. Er kann auch wie professionelle Geldmanager mal einen Stresstest durchführen und sich fragen: Was passiert in meinem Depot, wenn der DAX um 30 Prozent einbricht?
Als Physiker heuerten Sie 1985
bei der Investmentbank Goldman Sachs an. Was reizte Sie an der Finanzwelt?
Ich strebte auch nach der großen Theorie der Finanzwissenschaft. Erst nach fünf oder sechs Jahren war mir klar: Diese Theorie ist eine Fata Morgana.
Heute sind Sie Professor an der Columbia-Universität in New York. Sind die Studenten inzwischen skeptischer gegenüber Marktmodellen, weil sie die Finanzkrise miterlebt haben?
Leider nein. Die Studenten denken an ihre Zukunft. Sie wollen einen Job im Vertrieb oder als Trader haben und gut verdienen. Deshalb lernen sie die Methoden, die sie dafür brauchen, anstatt sich grundlegende Gedanken über den Sinn von Modellen zu machen.
Modelle gibt es nicht nur in der Finanzwissenschaft, sondern
auch in der klassischen Ökonomie.
Sie dienen Notenbankern und Politikern als Entscheidungshilfe. Sind sie dafür geeignet?
Da bin ich äußerst skeptisch. Volkswirtschaftliche Modelle stehen auf noch wackligeren Füßen als finanzmathematische. Aber die Politik inszeniert die Ökonomie als seriöse Wissenschaft. Sie braucht diese Aura, um ihre Maßnahmen zu rechtfertigen. Damit es so aussieht, als ob politische Entscheidungen auf Fakten beruhen statt auf Ideologien.
Klingt ziemlich beunruhigend.
Ja. Schauen Sie mal auf die Zentralbanken. Die drucken gerade jede Menge Geld, ohne zu wissen, was das auslöst. Ihre Modelle verlassen sich auf Statistik, auf Regressionen - das ist ganz schön gefährlich. Wenn sich die Welt anders verhält als in der Vergangenheit, dann ist diese Politik zum Scheitern verurteilt.
Sollten die Notenbanken aufhören, die Wirtschaft mit Geld zu fluten?
Ich sehe das so: Wenn ich acht Aspirin geschluckt habe, um meine Kopfschmerzen loszuwerden, aber die Schmerzen bleiben, dann hat es keinen Sinn, noch zwei Aspirin zu nehmen.
Aber das Aspirin wirkt doch. Das Wachstum in den Industrieländern zieht an.
Aber zu welchem Preis? Jedes Mal, wenn in den vergangenen 25 Jahren eine kleine Krise aufzog, pumpte die Fed Geld ins System. Die Rettung gelang - nur dass 1998, als der Hedgefonds LTCM in Schieflage geriet, vier Milliarden Dollar ausreichten. Heute sind Billionen nötig, um die Wirtschaft zu stützen. Wir hangeln uns von Krise zu Krise. Kein Notenbanker kann vorhersagen, wohin das führt.
Was hätten sie denn tun sollen?
Weniger. Die Bankenrettungen waren ein Fehler. Man hätte die Banken leiden lassen müssen. Wer die Gewinne des Kapitalismus abschöpfen will, muss auch die Verluste ertragen können.
Eine gewagte These nach den Erfahrungen mit dem Lehman-Kollaps. Weitere Bankenpleiten hätten vermutlich die halbe
Welt in die Depression gestürzt.
Ja, ja, ein paar Fed-Offizielle sagen das. Aber sie wissen es nicht, niemand weiß das. Dafür hat es die Fed verpasst, die Weichen richtig zu stellen. In den USA sind die Investmentbanken heute noch mächtiger als vor der Krise. JP Morgan, Goldman Sachs und Morgan Stanley teilen fast das gesamte Geschäft unter sich auf. Nur drei Institute! Früher gab es 20. Das Problem des Too-big-to-fail ist überhaupt nicht gelöst.
zur Person:
Der Börsenversteher
Emanuel Derman wurde 1945 als Sohn jüdischer Eltern in Kapstadt geboren. Er studierte Physik und zog für seine Promotion nach New York. 1985 wechselte er in die Finanzbranche zur
US-Investmentbank Goldman Sachs. Dort verbesserte und entwickelte er Modelle, mit denen Banker den fairen Wert von Derivaten abschätzen. Heute warnt er davor, solchen Modellen zu sehr zu vertrauen - etwa in seinem jüngsten Buch, "Models. Behaving. Badly." (Hoffmann und Campe, 22,99 Euro). Seit rund zwölf Jahren lehrt der Professor an der New Yorker Columbia-Universität.
Ausgewählte Hebelprodukte auf Goldman Sachs
Mit Knock-outs können spekulative Anleger überproportional an Kursbewegungen partizipieren. Wählen Sie einfach den gewünschten Hebel und wir zeigen Ihnen passende Open-End Produkte auf Goldman Sachs
Der Hebel muss zwischen 2 und 20 liegen
Name | Hebel | KO | Emittent |
---|
Name | Hebel | KO | Emittent |
---|
Weitere Goldman Sachs News
Nachrichten zu Goldman Sachs
Analysen zu Goldman Sachs
Datum | Rating | Analyst | |
---|---|---|---|
15.01.2025 | Goldman Sachs Sector Perform | RBC Capital Markets | |
15.01.2025 | Goldman Sachs Neutral | UBS AG | |
15.01.2025 | Goldman Sachs Overweight | JP Morgan Chase & Co. | |
06.01.2025 | Goldman Sachs Neutral | UBS AG | |
16.10.2024 | Goldman Sachs Buy | Jefferies & Company Inc. |
Datum | Rating | Analyst | |
---|---|---|---|
15.01.2025 | Goldman Sachs Overweight | JP Morgan Chase & Co. | |
16.10.2024 | Goldman Sachs Buy | Jefferies & Company Inc. | |
15.10.2024 | Goldman Sachs Overweight | JP Morgan Chase & Co. | |
15.07.2024 | Goldman Sachs Buy | Jefferies & Company Inc. | |
16.01.2024 | Goldman Sachs Buy | Jefferies & Company Inc. |
Datum | Rating | Analyst | |
---|---|---|---|
15.01.2025 | Goldman Sachs Sector Perform | RBC Capital Markets | |
15.01.2025 | Goldman Sachs Neutral | UBS AG | |
06.01.2025 | Goldman Sachs Neutral | UBS AG | |
15.07.2024 | Goldman Sachs Sector Perform | RBC Capital Markets | |
17.10.2023 | Goldman Sachs Sector Perform | RBC Capital Markets |
Datum | Rating | Analyst | |
---|---|---|---|
19.10.2017 | Goldman Sachs Sell | Société Générale Group S.A. (SG) | |
24.02.2017 | Goldman Sachs Sell | Joh. Berenberg, Gossler & Co. KG (Berenberg Bank) | |
10.01.2017 | Goldman Sachs Sell | Citigroup Corp. | |
06.05.2016 | Goldman Sachs Sell | Société Générale Group S.A. (SG) | |
01.03.2016 | Goldman Sachs Sell | Société Générale Group S.A. (SG) |
Um die Übersicht zu verbessern, haben Sie die Möglichkeit, die Analysen für Goldman Sachs nach folgenden Kriterien zu filtern.
Alle: Alle Empfehlungen