Löscher geht, Kaeser kommt

Siemens: Alles auf Anfang

07.08.13 14:00 Uhr

Nach dem desaströsen Wechsel an der Spitze stehen die Münchner vor einem Scherbenhaufen. Der neue Vorstandschef Joe Kaeser muss hart durchgreifen, um Werte zu heben.

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von S. Bauer, W. Ehrensberger, Euro am Sonntag

Blauer Himmel, weiße Schäfchenwolken, im Hintergrund plätschert ein Brunnen. Die Atmosphäre im ­ Innenhof der Siemens-Konzern­zentrale am Wittelsbacher Platz in München ist seltsam entspannt. Der Industriekonzern hat zur ersten Rede des neuen Vorstandsvorsitzenden Joe Kaeser nach dem vollkommen missratenen Abgang von Vorgänger Peter Löscher geladen. „Willkommen bei Siemens“, scherzt der ehemalige Finanzvorstand des Weltkonzerns vor dem versammelten Heer der Fotografen und Kameraleute.

Kaeser versucht den Blick nach vorn zu richten. „Es wurde geschrieben, dass ich am Ziel sei. Ich bin aber erst am Start“, sagt der Betriebswirt aus Arnbruck im Kreis Regen, der vor 56 Jahren als Josef Käser zur Welt kam und sich nach einem USA-Aufenthalt den schnittigeren, international klingenden Namen gab.

Nur das Lächeln des neuen Siemens-Chefs ist noch ein wenig verkniffen. Sonst deutet kaum etwas ­darauf hin, dass in den vergangenen Tagen hinter den Mauern der Konzernzentrale ein eisenharter Machtkampf stattgefunden hat, der im Rausschmiss von Löscher mündete. Ausgerechnet bei Siemens, dem Vorzeigekonzern, der sich exzellente Leistung in allen Bereichen auf die Fahnen geschrieben hat, geriet der Vorstandswechsel zu einem öffentlich ausgetragenen Showdown.

Das Putsch-Gerücht hält sich
Der Ex-Finanzchef hätte gegen ­Löscher intrigiert, heißt es, und eine Gewinnwarnung ohne nähere Erläuterung publizieren lassen, die Löscher letztlich das Genick gebrochen habe. Kaeser zufolge fiel das Ziel, zwölf Prozent Rendite im Jahr 2014 zu schaffen, nach einer monatlichen Sitzung mit den Divisionsleitern. Der Ausblick habe sich eben eingetrübt. Ein normaler Vorgang, erläuterte der frischgebackene Siemens-Chef. Das sei die Wahrheit.

Doch das Putsch-Gerücht hält sich. Auch Chefaufseher Gerhard Cromme und Ex-Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, ebenfalls im Aufsichtsrat und mit angeblichen Ambitionen auf den Vorsitz, lieferten sich hinter den Kulissen ein Scharmützel.

Finanzprofis waren entsetzt
Die Abberufung Löschers geriet so zur öffentlichen Demontage. Institutionelle Investoren zeigen sich schockiert über den unprofessionellen Wechsel unter Crommes Regie.
Personalien seien zwar Sache des Aufsichtsrats, heißt es beim weltgrößten Vermögensverwalter BlackRock, mit rund sechs Prozent zugleich größter Aktionär des DAX-Riesen. Bei wichtigen Entscheidungen wie dem Wechsel an der Spitze sei es üblich, Investoren frühzeitig einzubinden, um Irritationen zu vermeiden. „Man muss einem Unternehmen und seinen Gremien vertrauen und Entscheidungen nachvollziehen können“, kritisieren die New Yorker. Auch bei der Fondsgesellschaft Union Investment, die rund ein Prozent der Siemens-Anteile hält, ist man verärgert und spricht von einer „unnötigen Verschärfung der Probleme durch Machtkämpfe“.

Selbst zurückhaltende Medien wie die „FAZ“ fordern inzwischen Crommes rasche Ablösung. „Für ihn muss so schnell wie möglich eine Alternative her. Mit Cromme an der Spitze wird in den Konzern keine Ruhe einkehren“, schreibt das Blatt.
Der Vertrag des 70-Jährigen läuft noch bis Anfang 2018. Aus Crommes Umfeld heißt es, dass er bis dahin weitermachen wolle. Doch Beobachter gehen davon aus, dass bis zur nächsten Hauptversammlung Anfang 2014 die Weichen für seine Nachfolge gestellt sein könnten.

Als aussichtsreichster Kandidat gilt dabei Linde-Chef Wolfgang Reitzle, dessen Vertrag im Mai 2014 endet und der danach verfügbar wäre. Als Konzernlenker kann er unbestreitbare Erfolge vorweisen, als Ingenieur wäre er eine guter Konterpart zum Finanzmann Kaeser an der Konzernspitze.

Der neue Chef versucht derweil, die Wogen zu glätten. „Es geht jetzt nicht um weitere Restrukturierungsprogramme, sondern darum, das Unternehmen zu beruhigen“, sagt Kaeser. Aufgewühlt sind nicht nur Aktionäre und Investoren, sondern auch die Mitarbeiter.

Löscher wollte mit dem Sparprogramm „Siemens 2014“ die Kosten um 6,3 Milliarden Euro drücken. Der Abbau zahlreicher Jobs steht weiterhin auf der Agenda, die weltweit 370.000 Beschäftigten sind zutiefst verunsichert. Laut Betriebsratschef Lothar Adler herrscht ein Klima der Angst bei Siemens, der Arbeitnehmervertreter fordert eine neue Unternehmenskultur.

Jetzt kommt ein neuer Chef. Und der könnte, trotz der Beruhigungspillen, den Konzern womöglich noch gründlicher aufwirbeln. Vorerst gibt es bloß Ungefähres unter weiß-blauem Himmel. „Die Elektrifizierung ist die DNA von Siemens. Darauf werden wir die Wertschöpfungskette des Hauses konzentrieren“, sagt Kaeser — was nichts heißt, weil kaum ein Ingenieursgeschäft ohne Strom auskommt.

Anfang November will Kaeser Details zur neuen Strategie verkünden. Dass der neue Besen kräftig kehren muss, wird anhand der jüngsten Zahlen klar. Löscher musste gehen, weil das mittelfristige Ziel von zwölf Prozent operativer Gewinnmarge nicht mehr zu halten war. Davon sind die Bayern meilenweit entfernt. Gerade mal 6,5 Prozent operative Rendite hat Siemens im zurück­liegenden Quartal erzielt. General Electric, der große US-Rivale und Konkurrent bei Kraftwerken, Windrädern oder medizintechnischen Großgeräten, schaffte knapp elf Prozent.

Zwischen April und Juni lief das Geschäft schlecht. Der operative Gewinn sank um fast ein Drittel, der Umsatz schrumpfte — immerhin der Auftragseingang legte um fast ein Fünftel zu. So ganz nebenbei hat der Konzern sein Gewinnziel für das laufende Geschäftsjahr nach unten geschraubt. Bislang hieß es, man wolle sich der Marke von 4,5 Milliarden Euro Gewinn aus fortgeführten Geschäften nähern. Jetzt gibt sich Kaeser mit vier Milliarden zufrieden.

Dass härtere Zeiten bevorstehen, schwant den Mitarbeitern bereits. Aber ist der Konzern womöglich insgesamt zu groß, zu komplex, unführbar? Ist ein grundlegender Umbau notwendig? „Ob die Geschäfte horizontal, vertikal oder diagonal angeordnet sind, spielt keine Rolle“, witzelt sich Kaeser vorläufig noch um die Schlüsselfrage herum.

Als neuer Chef wird er sie beantworten müssen. Der Sektor Infrastruktur und Städte etwa, von Löscher und Kaeser 2011 ins Leben gerufen und intern als Resterampe verhöhnt, rutscht in die roten Zahlen. Das Desaster um die verzögerte Auslieferung von ICE-Zügen an die Deutsche Bahn ist nur eine von mehreren Baustellen. „Die ­Debatte um den vierten Sektor hat kurzfristig keine Priorität“, sagt der Niederbayer. Mittelfristig also schon. Gepäcksortieranlagen und die Postautomatisierung stehen bereits zur Disposition, weitere Geschäfte könnten hinzukommen.

Im Kerngeschäft knirscht es
Auch in den Sektoren Industrie und Energie, Letzterer traditionell der Hauptgewinnbringer des Konzerns, knirscht es. Der Abschwung in China und die Krise in Europa belasten das Industriegeschäft, insbesondere die Chinesen halten sich mit Investitionen in die Automatisierung ihrer Fabriken zurück. Der Energiebereich hat am abflauenden Boom bei Gaskraftwerken ebenso zu knabbern wie an defekten Windkraftanlagen in den USA. Viel zu optimistisch angegangene und missglückte Projekte, wie die Stromanbindung von gleich vier Offshore­windparks in der Nordsee, drücken die Gewinne.

Bloß die Medizintechnik brummt und ist als einziger der vier Sektoren der Zielmarge nahe. Würde das Geschäft selbstständig laufen, brächte es Aktionären wohl deutlichen Mehrwert. „Ein niedriger bis mittlerer einstelliger Milliardenbetrag bei der Börsenbewertung wäre zusätzlich drin“, sagt Analyst Ingo-Martin Schachel von der Commerzbank. Ein Börsengang, ein Spin-off, so wie bei der Lichttechniktochter Osram — es gibt Chancen für Kaeser, Werte zu heben. Das wäre dann tatsächlich ein Start.

Investor-Info

Die Sparten
Kerngeschäft und mehr

Die Sektoren Industrie und Energie sind das eigent­liche Kerngeschäft von Siemens, sie liefern rund 60 Prozent des Umsatzes des Mischkonzerns. Die Medizintechnik bringt mit 17 Prozent Umsatz derzeit fast 40 Prozent des Gewinns. Die Sparte Infrastruktur & Städte ist ein Sammelsurium von Geschäften — von der Bahntechnik über intelligente Stromnetze bis zur Gebäudetechnik. Hier könnten Verkäufe anstehen.

Margenziele
Medizintechnik weit vorn

Bei drei von vier Sektoren liegt die operative Gewinnmarge weit unterhalb des angepeilten Zielkorridors. Die Zielmargen strebt der Konzern nach wie vor bis Ende des kommenden Geschäftsjahres an. Die Medizintechnik ist mit 499 von konzernweit 1261 Millionen Euro operativem Gewinn im dritten Quartal der profitabelste unter den Sektoren. Infrastruktur und Städte schrieb 15 Millionen Euro Verlust.

Die Aktie
Hoffnung auf Wende

An der Börse sorgte die Nachricht, dass Finanzchef Joe Kaeser den Industriekonzern leiten soll, für gute Stimmung. Kaeser wird als Mann klarer Worte geschätzt. Die fundamentalen Probleme sind groß: Siemens gilt als schwerfällig, komplex und — wie zahlreiche Pannen bei Projekten belegen — als schwer zu führen. Es gibt großen Handlungsbedarf, zumal die Rahmenbedingungen schwierig sind. ­ Kaeser rechnet in China mit einem längeren Abschwung, auch in Europa und den USA lief es im jüngsten Quartal schleppend. Dennoch: Der neue Mann bringt neue Fantasie. Die Dividendenrendite von knapp vier Prozent ist attraktiv. Halten.

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