Euro am Sonntag-Interview

Norbert Walter befürchtet Kursrückgänge

21.09.09 17:32 Uhr

Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank über die Lehren aus Lehman, Banker-Boni, die Aktienmarktrally und den nahenden G-20-Gipfel. Walter befürchtet Kursrückgänge, wenn die Notenbanken Liqidität vom Markt abziehen.

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von Benjamin Summa

Wir sehen gerade, dass das Anlegervertrauen Stück für Stück wieder zurückkommt. Der Dax ist nur noch knapp vier Prozent unter dem Niveau der Prä-Lehman-Zeit. Auch das Zertifikate-Geschäft, wenn auch mit viel defensiveren Produkten, brummt wieder. Sind Sie diesbezüglich eher misstrauisch oder optimistisch?
Walter: Wir hatten bereits im Sommer 2007 Rezessionsbefürchtungen und auch schon Rückschläge am Aktienmarkt. Pre-Lehman war also keine Hausse-Phase. Nach Lehman wurde dann immer mehr Liquidität zur Verfügung gestellt, die aufgrund der Rezessionssorgen nicht in Investitionsprojekte geflossen ist. Auch Immobilien, langfristige Rentenwerte und Rohstoffe gelten noch als zu unsicher, die Zinsen auf dem Geldmarkt sind sehr gering. Mit anderen Worten: Die reichlich verfügbare Liquidität drängt nun in den Aktienmarkt.

Wir haben in den vergangenen Monaten aus Mangel an Alternativen eine relative Aufblähung der Aktienkurse erlebt. Diese Situation besteht bis heute fort. Vielleicht kehren mittlerweile die Rohstoffe als attraktive Märkte zurück. Die hohe Aktienbewertung wird aber wohl so lange fortbestehen, wie die Niedrigzinspolitik anhält. Wenn die Zentralbanken die Liquidität wieder einsammeln, kann es allerdings zu Kursverlusten kommen, falls fundamentale Gründe die Aktien dann nicht unterstützen. Ich glaube, dass die Aktienmärkte im kommenden Jahr getestet werden, wenn die Federal Reserve die Zinsen anhebt.

Euro am Sonntag: Vielen drängt sich der Eindruck auf, dass auch ein Jahr nach der Lehman-Pleite noch keine nachhaltigen Lehren aus der schlimmsten Wirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg gezogen worden sind. Ihr Eindruck?
Norbert Walter: Ich habe den Eindruck nicht, aber ich kann verstehen, dass die Öffentlichkeit dies so wahrnimmt. Dies liegt daran, dass die Informationen der Medien nicht umfassend sind und einige aus unseren Reihen noch immer nicht gelernt haben, vernünftig zu kommunizieren. Die Lehren, die beispielsweise die von der Krise hart getroffene UBS in Bezug auf die Mitarbeiter-Bezahlung gezogen haben, wurden kaum diskutiert, obwohl die Schlussfolgerungen tiefgreifend und vernünftig waren.

Die Idee ist, Boni künftig mehr an den nachhaltigen Unternehmenserfolg zu knüpfen. Wie weit ist die Deutsche Bank in dieser Frage?
Walter: Wir haben ziemlich schnell reagiert. Der Vorstand der Deutschen Bank hat bereits für das vergangene Jahr beschlossen, dass es für ihn keine Boni gibt. Ich bin überrascht, dass solche Informationen oft vergessen oder gar nicht zur Kenntnis genommen werden.

Aber das ist doch eher ein symbolischer Akt. Wie soll das Anreizsystem in Ihrem Haus künftig für alle Mitarbeiter aussehen?
Walter: Es gibt bestimmte Bonifikationen, die sich an Aktienkursen ausrichten. Wenn man dies tut, dann kann die Volatilität von Aktienkursen dazu führen, dass die Mitarbeiter für Entwicklungen belohnt werden, die nur vorübergehend waren. Aber es gibt auch andere Systeme, die sich nicht auf den Aktienkurs beziehen, sondern auf Unternehmensentwicklungen, also auf Gewinne oder Verluste. Diese sind weit weniger volatil als der Aktienkurs.
Außerdem ist es wichtig, dass die unterschiedlichen Funktionen, die Mitarbeiter in einem Unternehmen ausfüllen, berücksichtigt werden: Controller, Compliance Officer und Aufsichtsräte nehmen kontrollierende Aufgaben wahr. Diese Personen sollten durch Anreizsysteme nicht dazu veranlasst werden, faktisch Komplizen des Managements zu werden. Deshalb halte ich bei diesen Funktionen die Höhe fester Anteile der Besoldung für besonders wichtig.

Banken lehnen Obergrenzen bei Boni ab. Sehen Sie wirklich die Gefahr, dass sich die Finanzzentren die fähigsten Mitarbeiter abwerben, sollten diese vereinbart werden?
Walter: Manche schlagen vor, dass ein Bonus nicht höher als das Fixgehalt sein darf. Ich bin mir in solchen Fragen nicht sicher. Ich befürworte eine offene Debatte darüber. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Bonifikation für einen Bankmitarbeiter in einem Handelsraum höher ist als sein Fixgehalt. Ich halte dies weder für gefährlich noch für einen falschen Anreiz. Ich bin mir aber sicher, dass es komplett falsch ist, einem Händler für Transaktionsvolumen Boni auszuzahlen. Denn dann wird er Transaktionsvolumen produzieren, damit er ein hohes Einkommen hat. Dies dient auf nachhaltige Sicht weder dem Kunden noch der Bank.

Im Vorfeld des kommende Woche in Pittsburgh stattfindenden G-20-Gipfels wird neben der Bonifikation auch über eine Stärkung der Eigenkapitalbasis diskutiert. Was muss sich hier ändern?
Walter: Diesen Punkt halte ich für sehr wichtig. Die Unternehmen, die ihrer Natur nach sehr risikoreiche Geschäfte machen, müssen diese mit entsprechendem Eigenkapital unterlegen, um bei einer möglichen nächsten Krise nicht wieder dem Steuerzahler zur Last zu fallen. Entweder ist man dazu bereit oder man muss sich gefallen lassen, dass eine schärfere Regulierung solche risikoreichen Geschäfte künftig verhindert.
Zudem muss bei den Bilanzierungsvorschriften etwas getan werden. Das Stichwort ist Basel II. In Zeiten, in denen die Geschäfte gutgingen und die Aktienkurse stiegen, wurden die Risiken bisher als besonders klein eingeschätzt. Erst wenn es bereits regnet, werden die Vorschriften verschärft. Dadurch wird die Euphorie in guten Zeiten ebenso befeuert, wie sie Skepsis und Panik in Krisenzeiten hervorrufen. Wir brauchen eine Neuauflage der Debatte um eine sachgerechte Gestaltung der Risikoanalyse, also ein antizyklisches Risiko-Management.

Änderungen bei der Eigenkapitalbasis und bei Boni werden wohl nicht ausreichen, eine nächste Krise zu verhindern. Wie muss aus Ihrer Sicht eine internationale Finanzmarktaufsicht ausgestaltet sein, die nicht nur ein zahnloser Tiger ist?
Walter: Die regulatorischen Regelungen müssen den Marktwirklichkeiten entsprechen. Es gibt Einrichtungen, die nicht nur Europa umspannen, sondern den gesamten Globus. Ich stelle mir vor, dass die wichtigen Fragen, die sowohl Nordamerika als auch Europa betreffen, in einem Koordinationsgremium der Aufsichtsbehörden beider Regionen erledigt werden. Es muss also nicht zwingend eine Weltaufsichtsbehörde geben. Ich halte es für eine gute Idee, wenn diejenigen, die in diesen Gremien arbeiten, an derselben Universität ausgebildet wurden oder zumindest einige Jahre zusammen gearbeitet haben. Wir haben uns bisher geleistet, dass die Fluglotsen der Finanzmärkte französisch, englisch und deutsch sprechen, statt einer Lingua Franca. Das ist nicht gut.

Die SPD-Minister Steinbrück und Steinmeiers brachten kürzlich eine internationale Steuer für Finanzmarkttransaktionen oder zumindest eine Börsenumsatzsteuer für Deutschland auf die Agenda. Bundeskanzlerin Merkel unterstützt diesen Plan. Geht Ihnen das zu weit?
Walter: Ich denke darüber schon 30 Jahre nach. Ich glaube, dass es besser ist, einen Motor mit Gas und Bremse zu behandeln, als mit Sand im Getriebe. Dieser Vorschlag ist nur die drittbeste Lösung.

Zur konjunkturellen Entwicklung: Der Aufschwung ist größtenteils durch die massiven Konjunkturprogramme des Staates finanziert. Wann muss die Bundesregierung Ihrer Meinung über Ausstiegsstrategien nachdenken, um den Bundeshaushalt in den Griff zu bekommen?
Walter: Eine zweite Runde von Stimulierungsprogrammen kann sich die Welt nicht leisten. Eine Ausstiegsstrategie muss so aussehen, dass wir uns im Jahr 2011 rund um den Globus von der defizitären Finanzpolitik verabschieden. Ansonsten laufen wir Gefahr, dass wir einen zu großen Staat und eine Wirtschaft haben werden, die nur noch unter Drogen funktioniert.

Sehen Sie die Prognosen der Institute mittlerweile eigentlich kritischer? Im Abschwung wetteiferten diese um das düsterste Prognosebild, im Aufschwung korrigieren sie sich nun Woche für Woche nach oben. Das nagt doch an deren Glaubwürdigkeit.
Walter: Ich bin in diesem Jahr mit mir zufrieden. Ich habe im Februar – zu einer Zeit als sich niemand traute – für 2009 ein BIP-Rückgang von minus fünf und für 2010 eine schwarze Null prognostiziert. Ich fühle mich mit dieser Prognose immer noch wohl. Mit Ihnen bin ich der Meinung, dass es der Zunft gut anstände, durch eigene Aussagen die Zyklik nicht auch noch zu befeuern.

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