Euro am Sonntag-Titel

Stahlbranche: Neue Regeln im Milliardenpoker

28.04.10 18:30 Uhr

Die Stahlbranche steht Kopf, seit die Rohstofflieferanten die traditionelle Preissetzung über den Haufen warfen. Konzerne wie ArcelorMittal gewinnen indes über die gegenwärtige Erholung hinaus.

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von Stephan Bauer, Euro am Sonntag

Der prominenteste Stahllobbyist auf dem Globus war empört. „Von Wettbewerb kann hier keine Rede sein“, wetterte Ian Christmas, Chef der World Steel Association (WSA), angesichts des Bebens, das die Front zwischen Rohstofflieferanten und Stahlerzeugern jüngst erschütterte. Der brasilianische Erzriese Vale hatte in Verhandlungen mit seinen Kunden ein seit 40 Jahren geltendes, ehernes Gesetz der Branche verschrottet: Preise für Erz und Kohle sollen künftig nur noch für die Dauer eines Quartals gelten.

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Die bislang praktizierten Deals für ein Jahr sind wohl Geschichte. „Flexibler“ will Vale in der Preisgestaltung werden. Im Klartext: mehr verdienen. „Rohstoffkartell erdrückt Stahlerzeuger“, so lautete Christmas’ Botschaft an die Weltöffentlichkeit. Gemeinsam mit dem europäischen Verband Eurofer in Brüssel will der Funktionär nun Druck auf die Wettbewerbsbehörden machen. Diese sollen notfalls per Kartellverfahren die Macht der Erzlieferanten bremsen. Doch so schlecht, wie der Lobbyist glauben machen will, steht es um die Stahlerzeuger nicht: Die Branche hat die tiefste Krise seit 60 Jahren inzwischen hinter sich. Das Katastrophenjahr 2009, in dem die Produktion um knapp sieben Prozent einbrach, ist beinahe vergessen.

Stahl ist wieder gefragt. Nach aktueller Schätzung der WSA soll der Ausstoß 2010 um knapp elf Prozent auf 1,24 Milliarden Tonnen steigen. Das wäre ein Wert über dem Niveau des Vorkrisenjahres 2007. Diese Zahl sei allerdings noch mit Vorsicht zu genießen, warnt Christmas. Der Regimewechsel bei den Rohstoffpreisen könne den Auftrieb auch dämpfen. Das konjunkturelle Umfeld aber stimmt. Erfreulich ist etwa für die deutschen Konzerne ThyssenKrupp und Salzgitter, dass auch die Nachfrage im bislang noch schwachen Europa spürbar anzieht. „Die Erholung setzt sich fort“, sagte Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, auf der Industriemesse in Hannover. Um 15 Prozent soll die Rohstahlproduktion in Deutschland demnach in diesem Jahr zulegen. Zuvor hatte der Verband noch bescheidenere zehn bis 15 Prozent prognostiziert.

Sechs Hochöfen standen auf dem Höhepunkt der Krise in Deutschland still. Im Juni, spätestens aber im Juli will die Salzgitter AG den einzigen noch kalten Ofen in der Republik wieder hochfahren. Auch die Zahl der Kurzarbeiter soll dem zweitgrößten deutschen Stahlkonzern zufolge im April auf 1500 sinken. Im Sommer 2009 waren es noch 9000. Die Kapazitäten werden also wieder hochgefahren. Das zusätzliche Angebot wird auch zu höheren Preisen vom Markt aufgesaugt, denn die Nachfrage ist groß. Bei den Kunden der Stahlproduzenten springen die Geschäfte wieder an.

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Die Autoindust­rie etwa profitiert vom einsetzenden Aufschwung in den USA, der auch schwächere Zulassungszahlen in Deutschland überdeckt. Für weiter steigende Preise spricht zudem, dass die Lagerbestände der Stahlverbraucher noch immer niedrig sind. Neue Aufträge münden somit direkt in Bestellungen. Und auch in Fernost stehen die Ampeln auf Grün: Zwar exportiert China – mit 45 Prozent Anteil an der globalen Produktion der größte Spieler auf dem Markt – seit wenigen ­Monaten wieder etwas mehr, als es braucht. Doch die Überschüsse sind vergleichsweise gering.

Bis wenigstens in die zweite Jahreshälfte hinein rechnen Experten deshalb mit steigenden Notierungen. Die Tonne Warmbreitband, eine Sorte, die etwa für die Automobilindustrie besonders wichtig ist, könnte bis auf circa 750 Dollar pro Tonne anziehen. Damit läge der Preis gut 20 Prozent über dem Vorjahresniveau. Rund 140 Dollar Zusatzkosten pro Tonne Stahl kommen nach Schätzungen der Deutschen Bank in den kommenden Quartalen noch auf die Konzerne zu. „Diese Steigerung haben die Stahlpreise bereits absorbiert“, sagt Deutsche-Bank-Analyst Bastian Synagowitz. Weitere Stahlpreiserhöhungen, wie soeben etwa von Salzgitter angekündigt, sind absehbar. Diese dürften die Kostensteigerungen im laufenden Jahr überkompensieren. Von der erfreulich guten Großwetterlage in der Branche profitieren allerdings nicht alle Anbieter. Denn die geänderten Spielregeln im Einkauf entscheiden auch darüber, wer künftig Gewinner und wer womöglich Verlierer ist: Der Vorteil der Konzerne, die ihrerseits Absatzpreise kurzfristiger verhandeln, wächst – der Nachteil der anderen ebenfalls.

In Düsseldorf und Salzgitter etwa tut man sich mit den neuen Gepflogenheiten etwas schwer. Vor allem ThyssenKrupp gilt als Unternehmen mit einem ausgesprochenen Schwerpunkt auf langfristigen Lieferverträgen. Mehr als 60 Prozent der Kontrakte laufen länger als ein Jahr. Was in Zeiten sinkender Stahlpreise Umsatz und Marge stabilisiert, setzt die Mannschaft um Vorstandschef Ekkehard Schulz zunehmend unter Druck. Mit den Automobilkonzernen will Schulz sich noch mal an den Verhandlungstisch setzen. Zugeständnisse könnte es zwar geben, schließlich sind auch die Autokonzerne auf hochwertige Produkte angewiesen. Ob der Thyssen-Chef jedoch die gesamten Kostensteigerungen raus­holen kann, scheint fraglich. „Der Markt glaubt nicht daran, dass Thyssen das hinbekommt“, sagt ein Beobachter. Tendenziell werden die Düsseldorfer in den nächsten Quartalen demnach wohl mehr als andere unter höheren Kosten leiden.

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Rivale Salzgitter hat ein ähnliches Problem. Die Niedersachsen setzen zwar in ihrer Stahlsparte überwiegend auf kurzfristige, am Spotmarkt orientierte Kontrakte oder auf quartalsweise Verhandlungen, doch gilt dies nicht für das Röhrengeschäft. Ausgerechnet jener Konzernteil, der im Krisenjahr 2009 als einziger Gewinne schrieb, macht Vorstandschef Wolfgang Leese deshalb in der Erholung Sorgen. Bei den Lieferungen für den geplanten zweiten Strang der Ostseegaspipeline sind laut Leese sogar Verluste absehbar. Der Konzern bilde bereits Rückstellungen für Drohverluste. „Wir rechnen mit einer Ergebnisbelastung von 25 bis 30 Millionen Euro in diesem und im nächsten Jahr“, sagt Analyst Synagowitz. Selbst Lakshmi Mittal, Vorstandschef des weltweiten Marktführers ArcelorMittal, war leicht angesäuert angesichts der jüngsten Machtdemonstration der Rohstoffriesen. „Unsere Partner könnten etwas flexibler sein“, maulte der Multimilliardär. Doch auch Arcelor ist äußerst anpassungsfreudig, was die Art der Preisfindung bei den eigenen Kunden angeht: 70 bis 80 Prozent aller Verträge laufen auf Quartalsbasis oder werden nach dem Tageskurs fixiert. "ArcelorMittal ist in der Branche am besten aufgestellt, was die Laufzeit der Verträge betrifft“, sagt Ephrem Ravi, Analyst bei Morgan Stanley.

Die Nummer 1 hat noch einen weiteren Trumpf in der Hand. Knapp die Hälfte des Erzbedarfs deckt Arcelor heute schon aus eigenen Beständen, zudem fast ein Fünftel des Verbrauchs an Kohle. Damit liegt Mittal goldrichtig, schließlich könnte sich der Erzpreis im laufenden Jahr verdoppeln. Der Konzernchef baut das Rohstoffportfolio sukzessive aus. Das Ziel: 75 Prozent des Bedarfs an Erz will der Inder bis zum Jahr 2015 aus eigenem Abbau beziehen. Mittal setzte zudem in der Krise rechtzeitig auf die großen Synergiepotenziale des Konzerns. Fünf Milliarden Dollar will der Stahlmogul bis zum Jahr 2013 einsparen. Vom Krisenherbst 2008 bis Ende 2009 wurden bereits 2,7 Milliarden realisiert. Den Rest dürfte Mittal auch noch schaffen. Schließlich produziert Arcelor in 70 Werken auf fünf Kontinenten. „Wir glauben, dass das Einsparziel angesichts der Größe des Konzerns glaubwürdiger ist als das manches Konkurrenten“, sagt Morgan-Stanley-Mann Ravi.

Kostensenkungen sind sicher auch langfristig clever. Denn auch die jüngste Erholung wird irgendwann enden. Ab wann die Preise ­wieder bröckeln, darüber gehen die Meinungen allerdings auseinander: Skeptiker rechnen in der zweiten Jahreshälfte mit aufkommendem Preisdruck, weil insbesondere finanzschwache Produzenten billiger liefern könnten. Optimisten sehen hingegen noch bis ins Jahr 2011 wenig Wolken am Horizont. Einig sind sich die Beobachter ­jedoch in einem anderen Punkt. Selbst mit Kartellklagen, wie sie Funktionär Christmas fordert, wird die Branche kaum die Marktmacht ihrer Rohstofflieferanten schmälern. Sie kann bloß geschickt damit um­gehen.

Investor-Info:

ArcelorMittal - Überraschung möglich
Arcelor ist wegen der kurzfristigen Preissetzung und des eigenen Rohstoffportfolios gut aufgestellt. Am Donnerstag bringt die weltweite Nummer 1 Quartalszahlen. Wegen der gestiegenen Stahlpreise und der anziehenden Produktionsmengen könnte es eine positive Überraschung geben. Analysten rechnen im kommenden Jahr mit einem Gewinnsprung von fast 80 Prozent. Die Aktie ist auch im Branchenvergleich günstig bewertet.

ArcelorMittal Aktie
ISIN: LU0323134006
Kurs: 31,53
KGV 11: 9,7
Stopp: 26,00
Ziel: 40,00

ThyssenKrupp - Management will Kosten sparen
Thyssen dürfte es schwerfallen, den Kostenanstieg bei den Rohstoffen komplett an die Kunden weiterzureichen. Dennoch hat die Aktie des größten deutschen Stahlkonzerns ihre Reize: Das Management will 1,5 bis zwei Milliarden Euro einsparen, vor allem beim Personal. Der Gewinn soll sich Schätzungen zufolge 2011 verdreifachen. Noch abwarten, Widerstand um 27 Euro.

Thyssen Krupp Aktie
ISIN: DE0007500001
Kurs: 25,05
KGV 11: 11,3
Stopp: 21,00
Ziel: 28,00

Salzgitter - Blick auf die Röhren
Im Stahlgeschäft sollte Salzgitter vom gegenwärtigen Preisauftrieb deutlich profitieren, schließlich sind die Niedersachsen hier mit kurzfristigen Verträgen gut aufgestellt. Der Haken: das Röhrengeschäft mit lang laufender Vertragsstruktur und deshalb hoher Anfälligkeit für weitere Rohstoffpreissteigerungen. ­Gewinnverdoppelung im kommenden Jahr laut Analysten. Starker ­Widerstand bei 73 Euro. Haltenswert.

Salzgitter Aktie
ISIN: DE0006202005
Kurs: 64,40
KGV 11: 10,4
Stopp: 59,00
Ziel: 75,00

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