Euro am Sonntag-Einschätzung

Achtung Shortseller! Welche Aktien gefährdet sind

11.05.16 21:10 Uhr

Achtung Shortseller! Welche Aktien gefährdet sind | finanzen.net

Eine neuer Typ aktiver Investoren verdient Millionen damit, Aktienkurse durch Betrugsvorwürfe einstürzen zu lassen - erste Ziele gibt es auch in Deutschland.

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Aktien

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Indizes

25.868,3 PKT -134,3 PKT -0,52%

3.329,1 PKT 11,3 PKT 0,34%

von Peer Leugermann, Euro am Sonntag

Die Attacke vernichtete binnen Stunden einen Börsenwert von über 755 Millionen Euro. Ziel des Angriffs war der Werbeflächenvermarkter Ströer, dessen Kurs vor zwei Wochen durch den Hedgefonds Muddy Waters in der Spitze um bis zu 25 Prozent einbrach. Zuvor hatten die Amerikaner den MDAX-Konzern in einer 62 Seiten langen Analystenstudie beschuldigt, Umsatz- und Ertragswachstum massiv aufzublasen.

Sturmreifes Europa

Weil Ströer der zweite Konzern ist, der binnen weniger Monate ins Visier von Leerverkäufern geriet (siehe Glossar), steigt die Furcht vor weiteren Angriffen. Zuvor erwischte es Wirecard. Dem Zahlungsabwickler wird durch das erst seit der Attacke existierende Analysehaus Zatarra und seine anonymen Hintermänner vorgeworfen, Geld zu waschen. Die Anschuldigungen schickten den Aktienkurs in der Spitze um ein Fünftel nach unten. Laut der Invest­mentbank JP Morgan sucht rund ein Dutzend Fonds aus Amerika hierzulande systematisch nach Unternehmen, bei denen eine Short-Attacke mittels Manipulationsvorwürfen lohnt. Wie lukrativ das sein kann, zeigt der Fall Ströer. Hat Muddy Waters beim Timing der Aktienverkäufe und -rückkäufe alles richtig gemacht, blieb dem Hedgefonds vor Abzug von Gebühren ein Gewinn von über 30 Millionen Dollar.


Doch nicht nur in Deutschland werden Firmen angegriffen. Mit der fran­zösischen Supermarktkette Casino und dem skandinavischen Mobilfunker ­TeliaSonera schießt sich Muddy Waters auf europäische Konzerne ein. Firmengründer Carson Block hatte schon Ende 2015 erklärt, auf den alten Kontinent zu schauen. Europäische Unternehmen seien wegen ihrer hohen Schulden und zahmen Aktionäre "reif für Leerverkäufe".

Die Anti-Aktivisten

Mit dieser Taktik ist der studierte Jurist der komplette Gegenentwurf zum gängigen aktivistischen Investor. Denn üblicherweise klagen Hedgefonds Konzernvorstände der Unfähigkeit an und Sitze im Aufsichtsrat ein. Das Ziel: Einfluss auf die Firmenstrategie und den Kurs über Sparprogramme oder Aktienrückkäufe nach oben treiben.

Auch Block und seine Kollegen erheben vor aller Welt Anschuldigen, doch steigende Börsenwerte oder Einfluss im Unternehmen sind ihnen herzlich egal. Ihr Anliegen ist es, den Kurs einer Aktie zum Einsturz zu bringen. Dazu suchen sie nach Firmen, bei denen sie frisierte Bilanzen und getäuschte Anleger vermuten. Fündig werden die Leerverkäufer dabei nach eigenen Aussagen oft bei Firmen mit unklarer Strategie, komplizierten Strukturen und undurchsichtigem Zahlenwerk. "Auch bei Unternehmen mit deutlich höheren Margen als bei ihren Wettbewerbern werden wir häufig fündig", erklärt Dan David, Mitgründer von Geoinvesting, einem der erfolgreichsten Leerverkäufer der vergangenen Jahre.


Auf den Anfangsverdacht folgt eine teils monatelange Recherche. Bei ihren Untersuchungen nehmen die Aktivisten die Unternehmenszahlen mithilfe von Finanzermittlern auseinander, engagieren Detektive, befragen Exmitarbeiter oder lassen Fabriken per Videoaufzeichnungen überwachen. Doch so rechtschaffen die Jagd nach Finanzbetrügern erscheinen mag, das höhere Anliegen hat ein deutliches Geschmäckle. Denn an Enthüllungen allein verdienen die Aktivisten nichts. Erst wenn die Aktien des verdächtigten Unternehmens zuvor leer verkauft wurden, machen die Hedgefonds Gewinn.

Vor Veröffentlichung der Ermittlungsergebnisse wird daher stets eine Short-Position aufgebaut, nach Möglichkeit im Geheimen. Ziel der Analysen ist es daher weniger, Betrug aufzudecken, als vielmehr andere Investoren zum Verkauf der Aktie zu bewegen und den Kurs so abstürzen zu lassen. Den Hedge­fonds wird daher ein klares Eigen­interesse an einer möglichst dramatischen Darstellung ihrer Anschuldigungen vorgeworfen.


Hinzu kommt, dass die Schuldfrage an der Börse im ersten Moment keine Rolle spielt. "Statt Zeit mit der Überprüfung der Vorwürfe zu verschwenden, ist das Hauptinteresse der meisten Investoren im Fall einer Short-Attacke, die Aktie schnell abzustoßen und ihre Verluste zu begrenzen", erklärt David ­Lewis von dem auf Leerverkäufe spezialisierten Datenanbieter FIS Astec Analytics. Statt harter Beweise können für eine erfolgreiche Short-Attacke daher schon einfache Verdachtsmomente ausreichen.

Der Erfolg gibt ihnen recht

Doch trotz der Möglichkeit, die Börse allein durch scharfzüngige Behauptungen auszutricksen, lagen die Leerverkäufer in der Vergangenheit erstaunlich oft richtig. Laut einer aktuellen Untersuchung aller Short-Attacken in Amerika von 2006 bis 2011, die von der New Yorker Universität durchgeführt wurde, endeten die Angriffe zu 50 Prozent darin, dass die Beschuldigten durch die Finanzaufsicht von der Börse genommen wurden. Bei 47 Prozent wurde der Wirtschaftsprüfer ausgewechselt und etwa ein Fünftel musste seine Ergebnisse korrigieren. Zwar sind neuere Daten rar, doch laut den Forschern bringen nur Leerverkäufer, die wiederholt richtig liegen, Anleger dazu, ihre Aktien zu verkaufen. Weniger überzeugend wirken die Hedgefonds laut der Studie jedoch auf Analysten. Demnach rückt die große Mehrheit der Investmentprofis erst gut ein Jahr nach einer Short-Attacke von ihrer Kaufempfehlung für die entsprechende Aktie ab.

Kontrolleur der Märkte

Leerverkäufern wird daher eine Kontrollfunktion für die Börse zugesprochen. Tatsächlich zeigen Forschungen, dass Aktienmärkte in Ländern, die Short zu gehen erlauben, seltener überbewertet sind. Den Grund für ihren Einfluss sehen die Hedgefonds selbst in den Abhängigkeitsverhältnissen zwischen Unternehmen, Wirtschaftsprüfern und Analysten. So bezahlen die Firmen ihre Prüfer, und Banken wollen mit ihren Aktienempfehlungen an möglichen Handelsumsätzen Geld verdienen.

Laut Block wird vielen Investoren ­immer klarer, "dass Wirtschaftsprüfer ihre Interessen nicht substanziell schützen". Aber Aktionärsschützer im Wolfspelz sind nicht überall willkommen. "Europa scheint gegenüber aktivistischen Short-Sellern fast schon feindlich eingestellt zu sein", beobachtet Block. Von den 213 Short-Attacken im vergangenen Jahr fanden nur zehn in Europa statt. Der Hegefondsmanager ist daher nicht sicher, ob es hierzulande zu mehr Leerverkaufskampagnen kommt.

Viele Shortseller setzen auch gar nicht auf Betrugsvorwürfe, sondern auf enttäuschende Marktentwicklungen oder Unternehmen, auf denen hohe ­Erwartungen lasten. So glauben viele Aktionäre offenbar nicht an eine Fusion der Deutschen und der Londoner Börse oder an den Turnaround bei Aixtron (siehe Tabelle). In den USA wiederum werden oft Konzerne wie Tesla oder Netflix von Aktivisten geshortet, da diese Firmen für ihre hohen Bewertungen fortlaufend starkes Wachstum zeigen müssen.

Weil die Börse in diesen Fällen jedoch um ein mögliches Scheitern weiß, sind die Kursreaktionen auf steigende Leerverkäufe meist gering. Dafür zeigen die Short-Positionen, wie sich die Stimmung unter den Anlegern entwickelt. Denn Leerverkäufe werden auch getätigt, um sich gegen das Risiko plötzlicher Kursverluste abzusichern.

Glossar

Leerverkauf: Eine Aktie leer zu verkaufen heißt aus dem Englischen kommend "Short" gehen. Dabei wettet ein Investor auf den Kursverfall einer Aktie, weil er etwa glaubt, dass die nächsten Quartalszahlen enttäuschen. Um von ­einem erwarteten Kursrückgang zu profitieren, leiht sich der Anleger die Aktien von einem anderen Investor gegen Gebühr aus. Dann werden die Papiere verkauft. Fällt anschließend der Kurs, kann die Aktie günstiger zurückgekauft werden. Die Differenz aus Verkaufs- und Rückkaufkurs wird als Gewinn eingestrichen. Je tiefer die Aktie fällt, desto größer der Profit. Steigt der Kurs aber, entsteht Verlust, denn die Aktien müssen zu einem höheren Kurs gekauft und zurückgegeben werden.

Investor-Info

Ströer
Entkräftete Vorwürfe

Der Angriff auf Ströer könnte die Erfolgsbilanz des aktivistischen Leerverkäufers Muddy Waters verschlechtern. Denn der Außenwerber reagierte umfassend auf die Attacke und wies sämtliche Vorwürfe zurück. Was der Angriff aber zeigt, ist, wie wichtig Übernahmen für das zukünftige Wachstum werden. Weil sich der Schlagabtausch fortsetzt, drängt sich ein Neueinstieg noch nicht auf.

Wirecard
Alle Jahre wieder

Weil Übernahmen die Struktur des Zahlungsabwicklers kompliziert und die Bilanz undurchdringlich machen, wurde Wirecard ­bereits 2008 und 2010 von Leerverkäufern angegriffen. Auf die Vorwürfe reagierte der Konzern mit einer Transparenzoffensive und bestätigte seine Jahresziele. Anleger, die stärkere Kursschwankungen aushalten, ­nutzen den Kurssturz zum Einstieg. Im Visier von Short-Sellern: Jetzt auch Zalando Die Tabelle zeigt deutsche Aktien mit hohen Positionen von Short-Sellern. Auf Rang 9 steht neuerdings Zalando.

Name Short-Position Anteil
Deutsche Börse 1840,0 Mio. € 12,8%
Volkswagen 662,5 Mio. € 1,7%
Wirecard 583,3 Mio. € 12,8%
K + S 516,7 Mio. € 12,3%
Allianz 465,4 Mio. € 0,7%
Lufthansa 408,7 Mio. € 6,9%
Metro 276,6 Mio. € 3,1%
Ströer 214,9 Mio. € 8,7%
Zalando 159,5 Mio. € 2,3%
Infineon 138,7 Mio. € 1,0%
Aktuelle Short-Positionen: Verkaufsposition mit Spekulation auf fallende Kurse (l.) und prozentualer Anteil am derzeitigen Marktwert (r.)Quelle: Bloomberg

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Bildquellen: arka38 / Shutterstock.com, HSBC

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