Philosoph Michael Shaoul: Der Wahn hält nicht ewig
Der promovierte Philosoph Michael Shaoul leitet mit einem Partner, der im Nebenberuf Dichter ist, den derzeit erfolgreichsten Fonds der USA. Seine Strategie, seine Lieblingsaktien.
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von Nele Husmann, Euro am Sonntag
Marketfield Capital ist die im Augenblick heißeste Fondsgesellschaft der Vereinigten Staaten. Michael Shaoul (47) und sein Partner Michael Aronstein (60 ) erzielten seit 2007 eine Rendite von 70 Prozent, dreimal so viel wie der US-Aktienmarkt. Im vergangenen Jahr verfünffachten sie ihr Fondsvolumen und verzeichneten die größten Mittelzuflüsse aller Geldverwalter. Michael Shaoul über Emotionen, Naivität und Märkte, die er mag.
€uro am Sonntag: Ein Philosoph und ein Poet schlagen zusammen die Märkte. Helfen Geisteswissenschaften an der sonst von Zahlenfanatikern geprägten Wall Street?
Michael Shaoul: Sie schaden nicht. Für mich ist der Aktienmarkt menschliche Emotion, die sich in einem Preis ausdrückt. Die Veränderungen der Stimmungen sind nicht anders als in der Mode oder bei Autos. Man muss kein Philosoph sein, um Märkte zu verstehen, aber mir persönlich hilft es. Sogar was als allgemeingültige Wahrheit gilt, ändert sich im Laufe der Zeit.
Wie sind Sie als Philosoph an der Wall Street gelandet?
Eigentlich aus Versehen. Ich war Philosoph an der Universität, stieg ins Immobiliengeschäft ein und kam so zum Finanzmarkt. Als ich an der Wall Street begann, hatte ich nicht die geringste formale Ausbildung. Anfangs verließ ich mich auf das, was meine Kollegen sagten, und erwartete naiv, dass der Markt dem folgen würde. Doch wenn ich selbst logisch nachdachte, konnte ich vieles nicht nachvollziehen. Schließlich investierte ich meinen philosophisch gewonnenen Ideen folgend — und merkte, dass ich meist besser lag als Ökonomen.
Wie würden Sie Ihren Investmentansatz beschreiben?
Mein Partner, Michael Aronstein, und ich sind beide sehr gut darin zu erkennen, wann man gegen die Mehrheitsmeinung halten muss. Und darin zu verstehen, dass sich der gesunde Menschenverstand oft täuscht. Niemand würde Auto fahren und dabei nur in den Rückspiegel gucken. Doch genau das machen die meisten an der Wall Street. Sie fragen sich, was im vergangenen Jahr am besten gelaufen ist und kaufen das.
Das hat Sie nicht davon abgehalten, 2007 nahe dem Hoch des Aktienmarkts ihren Fonds zu eröffnen.
Wir hatten über das Timing keine Kontrolle. Wir bekamen das Okay der Aufsichtsbehörde genau an dem Tag Anfang Oktober 2007, als der S & P sein damaliges Allzeithoch erreichte. Wir waren uns bewusst, dass der Markt sehr gefährlich war, als wir einstiegen.
Und Sie verloren Geld.
Wir verloren 2008 12,8 Prozent. Das war nicht toll, aber wiedergutzumachen. Wir hatten Bear Stearns und Lehman Brothers als die verwundbarsten Banken identifiziert, aber nicht damit gerechnet, dass man eine Großbank pleitegehen lassen würde. Nach der Lehman-Pleite war am wichtigsten, die US-Zentralbank im Auge zu behalten — denn dann erkannte man, dass das Problem bald behoben sein würde. Viele haben die Einstiegschance im März 2009 verpasst.
Eine Ihrer Regeln lautet: „Investiere nie mit Mr. Angry.“ Was meinen Sie damit?
Als Fondsmanager durchlebt man eine Menge Gefühle. Arrogante oder verängstigte Fondsmanager können sich fangen — aber ein wütender Fondsmanager hat den Markt zu lange bekämpft. 2008 war Mr. Angry ein Fondsmanager, der viel zu viele Bankaktien besaß. 2009 waren das die Fondsmanager, die weiter aggressiv gegen den S & P 500 wetteten. In diesem Sommer gab es die Mr. Angrys im Gold. Die Kurse fallen in solchen Situationen immer weiter.
Wann kommt für Sie das Einstiegssignal?
Ein Wahn hält nicht ewig an. Man muss zwischen Meinung und Allokation unterschieden. Viele bleiben lange, nachdem sie verkauft haben, negativ, haben aber nichts mehr zu verkaufen. Wenn eine starke Meinung von starker Allokation gedeckt ist und ein Argument dagegen spricht, dann ist das eine echte Chance für uns — das passiert am Hoch- und Tiefpunkt des Markts. Am Top liebt jeder den Markt und hat gekauft, aber unter der Oberfläche spricht die Geldpolitik dagegen. Dass war 2000 so und auch 2007 und in Brasilien 2011.
Seit fünf Jahren ist das Schlagwort New Normal sehr angesagt — es meint, dass Emerging Markets die Industrienationen überholen.
Das New Normal war albern. Die Idee, dass die Schuldenhöhe gemessen am Bruttoinlandsprodukt eine wichtige Kennzahl für Investoren darstellt, führte zu einer völligen Fehlallokation von Kapital. Leute besitzen viel zu viele Zinspapiere und Emerging-Markets-Titel und viel zu wenig Aktien aus Industrienationen. 2013 setzte der Umdenkprozess ein. Brasilien hat den Abschwung schon eingepreist, Indien steckt mittendrin. China ist ein großes Fragezeichen. Die Industrienationen erleben dagegen erstmals seit den 80er-Jahren eine synchronisierte Erholung der USA, Europas und Japans.
Aber wenn es den USA gut geht, besteht doch eine erhöhte Nachfrage nach Produkten aus China und auch nach mehr Rohstoffen aus Ländern wie Brasilien.
Das traf vor zehn Jahren zu. Doch hohe Rohstoffpreise haben die Produktion von Rohstoffen in der entwickelten Welt angetrieben. Teersand wird in Kanada abgebaut, mit Fracking fördern die USA nun Öl und Gas aus vorher nicht erschlossenen Quellen. Deswegen erwarten wir keinen starken Anstieg der Energiepreise. Aber die globale Nachfrage wird die Rohstoffpreise stabil halten. Schwierig ist aber für die Schwellenländer die interne Nachfrage. Das Problem ist das Auseinanderdriften der Geldpolitik. In den USA, in Europa und Japan ist die Geldpolitik extrem locker, in den Emerging Markets sind die Zügel zu stramm angezogen. Das dürfte die Aktienmärkte extrem gegensätzlich laufen lassen.
Hätte eine Krise in einem großen Schwellenland wie China nicht gravierende Folgen für die Weltwirtschaft?
Wenn China vier Prozentpunkte BIP-Zuwachs verliert, kann das von den USA, Deutschland, Italien, Großbritannien und Japan locker aufgefangen werden. Wir haben auch die 90er-Jahre überstanden, als Japan am Spielfeldrand stand.
Sie haben Brasilien, Indien und China leer verkauft, um von fallenden Preisen zu profitieren. In Mexiko dagegen sind Sie engagiert.
Mexiko ist ökonomisch betrachtet der 51. Bundesstaat der USA. Die mexikanische Wirtschaft läuft im Gleichklang mit den USA. Auch Osteuropa und Israel haben sich von anderen Emerging Markets losgekoppelt. Entsprechend weniger verwundbar sind diese Märkte.
Sie wenden sich jetzt Leerverkäufen in Anleihen zu.
Die zweite große Divergenz besteht zwischen den Aktien- und den Anleihemärkten. Auf dem Golfplatz wirkt man nicht smart, wenn man von seinen zehnjährigen Anleihen redet, während der Aktienmarkt um 20 Prozent steigt. Die Gier übernimmt wieder. Wir spekulieren gegen US-Staatsanleihen, US-Unternehmensanleihen, deutsche Bundesanleihen und Schwellenländeranleihen. Wir glauben, dass die Renditen bald synchron steigen.
Welche Ideen haben Sie derzeit auf der positiven Seite Ihres Fonds, welche Märkte und Aktien finden Sie attraktiv?
Zum ersten Mal seit Mitte 2009 besitzen wir einige Rohstoffwerte. Uns gehören einige Düngemittelunternehmen und Industriemetallunternehmen. Das ist eine Wette darauf, dass die Leute zu pessimistisch geworden sind. Sie vermissen das chinesische Wachstum, rechnen aber nicht mit überraschender Nachfrage aus Europa und Japan.
Welche deutschen Aktien finden Sie aktuell interessant?
In Europa ist die Geldpolitik korrekt für die Peripherie, aber zu locker für Deutschland. Entsprechend beschleunigt sich die Wirtschaftstätigkeit in Deutschland. BASF ist eine sichere Art, direkte Exposure zur deutschen Wirtschaft zu kaufen. Gäbe es große, börsennotierte deutsche Hausbaugesellschaften, besäßen wir sie auch.
Die Person
Philosoph und Fondsmanager
Michael Shaoul, 47 Jahre, ist Partner bei Marketfield Asset Management, einer Fondsgesellschaft, die nach jener Straße in New York benannt wurde, wo früher Vieh gehandelt wurde. 1992 kam der gebürtige Brite nach New York, wo er eine Immobilieninvestmentgesellschaft führte, ehe er 1996 zur Boutique-Investmentbank Oscar Gruss & Son wechselte. Shaoul studierte in Manchester und promovierte dort zum Doktor der Philosophie.
Der Fonds
Flexible
Aktienstrategie
In das Flaggschiff von Marketfield, den MainStay Fund, können nur US-Anleger investieren. Hier kaufen Shaoul und Aronstein Aktien, die sie positiv sehen. Zudem können sie für bis zu 50 Prozent des Fondsvolumens Aktien leer verkaufen, um so auf fallende Kurse zu setzen. Wegen der beeindruckenden Wertentwicklung — der Fonds liegt über ein, drei und fünf Jahre unter den besten zehn Prozent seiner Klasse — flossen in den MainStay Fund bereits
16 Milliarden Dollar. Derzeit setzen die Amerikaner verstärkt auf den deutschen Chemieriesen BASF, das Rohstoffunternehmen CRH sowie mexikanische und italienische Aktien.
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