Euro am Sonntag

Börsenhistorie: Teure Versuchung

22.12.17 03:00 Uhr

Börsenhistorie: Teure Versuchung | finanzen.net

Vor 20 Jahren feierte der Neue Markt sein erstes aufsehenerregendes Erfolgsjahr. So ging es weiter, bis 2000 der Absturz begann.

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von Peter Balsiger, Euro am Sonntag

Einhundert Prozent Plus innerhalb von neun Monaten - das ist Ende 1997 das sensationelle Ergebnis des jüngsten Börsenstars in Deutschland namens Neuer Markt. Mit einer derartigen Kursrally rechnet kaum einer am 10. März 1997, als auf dem Frankfurter Parkett die Sekt­korken das erste Mal knallen. Mit dem Börsengang des Telekommunikationsanbieters Mobilcom, der dem Ex-Monopolisten Deutsche Telekom mit Call-by-Call-­Tarifen ("19 Pfennig pro Minute") Konkurrenz machen will, wird das neue Segment eröffnet.



Es ist der Startschuss für die deutsche Antwort auf die Nasdaq, das erfolgreiche Wachstumssegment in den USA: ­Innovative Unternehmen aus den Branchen Umwelttechnik, Telekommunikation, Biotechnologie und vor allem In­ternet sollen sich über den Neuen Markt mit Risikokapital versorgen können.

Die Deutschen hatten ein paar Monate zuvor die Aktie entdeckt. TV-Star Manfred Krug ("Liebling Kreuzberg") hatte in einem massiven Werbefeldzug für den Börsengang der Deutschen Telekom getrommelt. Die Nachfrage war gigantisch, die T-Aktie wurde zur "Volksaktie": Statt der geplanten 100 Millionen Papiere platzierte die Deutsche Telekom 600 Millionen. Bereits am ersten Tag stieg der Kurs um 16 Prozent.


Der Grundstein für eine neue deutsche Aktienkultur war gelegt. Viele neue Kleinaktionäre begeisterten sich für diese wundersame Form der Geldvermehrung ohne Arbeit. Hausfrauen und Rentner wurden zu Börsenfreaks.

Am Premierentag des neuen Segments geht es noch beschaulich zu. Neben Mobilcom ist nur der Autozulieferer Bertrandt gelistet. Der erste Kurs der ­Mobilcom-Aktie liegt 50 Prozent über dem Ausgabekurs. Im ersten Jahr wird er um sagenhafte 2.800 Prozent in die Höhe schießen. Die Aussicht auf ähnliche Gewinne lockt nun Zigtausende aufs Parkett, die vorher nie etwas mit Aktien zu tun hatten.


"Die New Economy glaubte an Wachstum, war beflügelt von der beginnenden Globalisierung", erklärte später ­Mobilcom-Gründer Gerhard Schmid. Auf einmal sind Aktien von Versicherungen, Chemiefirmen oder Autoherstellern langweilig. Das ist Old Economy. Gefragt sind die aufregenden Werte der New Economy, alles dreht sich um Computer, Internet und E-Commerce. Das Börsensegment wächst rasant. Ende 1997 sind 17 Firmen gelistet, im Mai 1998 sind es über 100. Schon bald wird ein eigener Index für den Neuen Markt eingerichtet, der Nemax. Er startet im April 1997 bei 500 Punkten, schnellt binnen drei Jahren auf knapp 8.600 Punkte nach oben und übertrifft zu diesem Zeitpunkt sogar den DAX.

In kurzer Zeit drängen immer mehr wagemutige junge Entrepreneure an die Börsen. Ende 1999 sind bereits 201 Unternehmen mit einem Gesamtwert von umgerechnet 112 Milliarden Euro am Neuen Markt ­notiert. Fernsehsendungen wie n-tv-"Telebörse" oder "3satbörse" erreichen Einschaltquoten wie nie zuvor. Selbst ernannte Börsengurus geben heiße Aktientipps und preisen Werte an, mit denen sie sich zuvor selbst eingedeckt haben. Vergeblich warnt die Börsenlegende André Kostolany, dass sich "so mancher noch eine blutige Nase am Neuen Markt holen wird".

Die Wirtschaft hat endlich Stars

Die New Economy bringt regelrechte Stars hervor. "Es waren Gründer, Unternehmer und Manager eines ganz besonderen Schlags, die die Szene des Neuen Markts beherrschten", schrieb später die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". "Anders als ihre Vorgänger, die bodenständigen Bosse der Nachkriegszeit oder die langweiligen Manager der Großkonzerne, inszenierten sich die Unternehmer der New Economy mit Vorliebe schillernd, schräg und ein bisschen verrückt. Die Wirtschaft hatte plötzlich etwas, das sie in Deutschland bis dahin nicht kannte: Stars."

Einige dieser brillanten Selbstdarsteller entpuppen sich als Glücksritter und Betrüger. Bodo Schnabels Firma Comroad, ein Hersteller von Telematik­systemen, hat 95 Prozent der Umsätze schlicht erfunden. Der Softwareentwickler Infomatec gaukelt mithilfe betrügerischer Ad-hoc-Meldungen Millionenaufträge vor, die es gar nicht gibt.

Der unbestrittene Superstar des Neuen Markts aber ist Thomas Haffa, früher Schreibmaschinenverkäufer. Er startete Ende der 80er-Jahre zusammen mit seinem Bruder Florian als Vermarkter von Merchandising-Rechten. Ende der 90er geht seine Firma EM.TV an die Börse, er macht wie im Höhenrausch große Deals, kauft zu maßlos überteuerten Preisen die Henson Company ("Muppets Show") und 50 Prozent an der Formel-1-Vermarktung. EM.TV ist jetzt mit einer Börsenkapitalisierung von in der Spitze 14 Milliarden Euro ein internationaler Shootingstar. Die Haffa-­Brüder feiern auf Jachten in Cannes, blasen zur Jagd auf den Disney-Konzern. Am 22. Juli 1999 lassen sie sich bei der Hauptversammlung in der Frank­furter Festhalle von Tausenden Kleinanlegern bejubeln. Wer beim Börsengang 1997 EM.TV-Aktien gekauft hat, kann sich in diesem Sommer über ein Kurs­plus von 16.000 Prozent freuen. Ein Einsatz von 6.000 Euro zur Emission 1997 hätte gereicht, um Millionär zu werden.

Aber im Sommer 1999 ist der Neue Markt längst außer Kontrolle geraten. "Die Kurse steigen bar jeder Rationalität", urteilt "Der Spiegel". "Oft schießen die Aktien von neuen Unternehmen schon bei der Emission in die Höhe, verdoppeln ihren Wert innerhalb weniger Stunden. Das Unternehmen schreibt Verluste und hat kein sinniges Ge­schäftsmodell? Kaufen!" Kein Zweifel, Deutschland ist im Börsenfieber. "Im Bus, auf Geburtstagspartys, im Wartezimmer beim Zahnarzt, überall redeten plötzlich ganz normale Menschen über Aktienanlagen", schrieb "Die Welt" später. "Viele prahlten mit ihren Gewinnen, 20 Prozent, 50 Prozent, 100 Prozent, die sie in wenigen Wochen erzielt hatten."

Am 10. März 2000, drei Jahre nach dem Start des Neuen Markts, schließt der Nemax All Share auf einem neuen Allzeithoch von 8.546,19 Punkten. Die Marktkapitalisierung der 229 gelisteten Unternehmen beträgt 234,25 Milliarden Euro. Der Nemax 50, der Bluechip-Index, in dem die größten 50 Unternehmen des Neuen Markts zusammengefasst sind, erreicht ein Allzeit­hoch von 9.665,81 Punkten.

Zauberwort Internet

Aber nur einen Tag nach seinem Geburtstag beginnt die Talfahrt des Segments. Trotzdem gehen in manchen Wochen noch bis zu zwölf Firmen an die Börse. Viele machen keinen Gewinn, manche nicht einmal Umsatz, werden aber trotzdem mit Milliarden Euro bewertet. Die Bilanzen hinterfragt niemand. "Das ist eben New Economy, hieß es dann", so der ehemalige ARD-Börsenreporter Frank Lehmann. "Daran hätten wir uns zu gewöhnen".

Ein Paradebeispiel ist Biodata. Der erste Kurs liegt bei 240 Euro und damit 433 Prozent über dem Ausgabepreis - der höchste Zeichnungsgewinn in der Geschichte des Neuen Markts. Mitentscheidend ist wohl auch der Name, der aus Begriffen der zwei Erfolgsbranchen besteht: Biotech und Internet. Allerdings entwickelt die Firma lediglich Software für Computer.

Aber der Begriff Internet lässt die Kurse explodieren. So ist der Softwareanbieter Intershop phasenweise mehr wert als die Lufthansa. Mobilcom-Gründer Gerhard Schmid Jahre später: "Die Banken haben doch jeden an die Börse gebracht, der einen ambitionierten Geschäftsplan vorgelegt und dabei das Wort Internet richtig geschrieben hat."

Die Boomstimmung erfasst auch die Banken. "Ob in den Firmen seriöse Manager, Stümper oder Kleinkriminelle am Ruder sitzen, ist auch den Kredit­instituten häufig egal", kritisiert "Der Spiegel". "Die versorgen die Start-ups mit Geld, den Rest erledigt die Fantasie der Aktionäre, egal wie abstrus die Geschäftsideen sind."

Berichte über aufgeblasene Bilanzen, über Insiderhandel und Kursbetrug machen jetzt die Runde und bringen den Neuen Markt als Zockerbörse in Verruf. Immer mehr Firmen können ihre hoch gesteckten Ziele nicht erfüllen, Skepsis macht sich in der Presse breit: "Hort der Gierigen" ("Die Zeit"), "Die Geldschluckmaschine" ("Der Spiegel"), "Von Schauspielern und Scharlatanen" ("Die Welt"). "Manche Firma bestand nur aus zwei Leuten, hatte kein operatives Geschäft und niemand wusste, was sie eigentlich machen", zitiert die "Berliner Morgenpost" einen Börsenexperten. In der Presse erscheinen die ersten "Todeslisten" mit potenziellen Pleitekan­didaten.

Am 10. März 2001 zählt das Segment 337 notierte Aktien. Die Aktionärszahl in Deutschland ist von 5,6 Millionen im Jahr 1997 auf einen Rekordstand von fast 12,9 Millionen nach der Jahrtausendwende angestiegen. Fast jeder sechste Deutsche zockt mit. Aber plötzlich geht alles ganz schnell: Drastische Gewinnwarnungen von Unternehmen, Verkaufsempfehlungen von Analysten, der tiefe Fall von einstigen Vorzeigefirmen. Die Gier schlägt in ­Panik um. Fluchtartig verlassen erst die Großanleger und schließlich auch die Kleinanleger den Neuen Markt. Auch Thomas Haffas EM.TV wird mit in den Strudel gerissen. Statt Gewinnen macht der Superstar nun Milliardenverluste.

"Moralisches Vakuum"

In seiner Rede zur Feier des fünften Geburtstags des Neuen Markts kritisiert Börsenchef Werner G. Seifert, dass Investoren dazu verführt wurden, Risiken zu akzeptieren, die sie nicht verstanden hätten, und gierige Manager und Geldgeber Risiken auf andere Leute abgewälzt hätten: "Venture Capitalists haben High-Risk-Start-ups an die Märkte gebracht, ohne die Investoren über die damit verbundenen Risiken zu informieren. Dadurch ist ein moralisches Vakuum entstanden, das keine klare Linie zieht zwischen akzeptablem und unakzeptablem Risiko." Knapp sechs Jahre nach seinem Start ist der Neue Markt endgültig gescheitert. Das einst hochgelobte Wachstumssegment wird am 21. März 2003 geschlossen, der Index ist auf 409 Punkte abgestürzt - ein Minus von 95 Prozent seit dem Allzeithoch.

Der Neue Markt hat wenigen Anlegern traumhafte Gewinne gebracht, den meisten aber schmerzliche Verluste. Und er hat vielen Deutschen die Lust auf Börse verleidet. Immerhin: Der Neue Markt hinterließ nicht nur ein Trümmerfeld, die Erfolgsgeschichte mancher Biotech- oder IT-Firmen sei ohne den Neuen Markt nicht denkbar, zitiert "Die Welt" Dirk Schiereck, Professor für ­Unternehmensfinanzierung an der TU Darmstadt: "Es sind eine ganze Reihe von Unternehmen dazugekommen, die den Kurszettel dauerhaft verlängert haben."

Investor-Info

TecDAX und Scale
Hohe Anforderungen

Der von Bilanzfälschungen und Insider­geschäften schwer erschütterte Neue-Markt-Index Nemax wurde 2003 eingestellt. Als Nachfolger installierte die Deutsche Börse im gleichen Jahr den TecDAX, in dem die 30 der 35 größten Technologiewerte unterhalb des DAX in Bezug auf Marktkapitalisierung und Umsatz enthalten sind. Obwohl erst 2003 eingeführt, dient als Basis der Berechnung der 30. Dezember 1997 mit einem Wert von 1000 Punkten. Etliche Firmen des einstigen Nemax 50 sind heute im TecDAX gelistet. Um Bilanzfälschungen zu verhindern, muss jede im TecDAX notierte Firma zum streng regulierten Prime Standard zugelassen sein, in dem die höchsten Transparenzanforderungen gelten. Damit sind für TecDAX-Unternehmen die gleichen Standards gültig wie für Firmen im DAX, im MDAX und im SDAX. Die Deutsche Börse prüft die Zusammensetzung des TecDAX zweimal im Jahr. Im März 2017 startete die Deutsche Börse das Segment Scale für kleine und mittlere Unternehmen. Die hier gelisteten Firmen müssen Mindeststandards entsprechen, sind aber weniger reguliert wie Firmen im Prime Standard.

iShares TecDAX ETF
Alle auf einen Streich

Mit dem ETF können Anleger kostengünstig auf die Werte im deutschen Technologieindex TecDAX setzen, der mit nachhaltig hohen ­Gewinnen glänzt. Die wichtigsten Indexwerte sind Wirecard, United Internet und Qiagen. Für risikobereite Anleger.

Mainfirst Germany
Heimische Small Caps

Auf Fünfjahressicht ist der MainFirst Germany der beste Fonds für deutsche Nebenwerte, und auch 2017 läuft es hervorragend. Ins Portfolio kommen Unternehmen, bei denen das Fondsmanagement mittelfristig ein ­deutlich überdurchschnittliches Wachstum erwartet. Derzeit stark gewichtet sind die ­Deutsche Pfandbriefbank, Hella und Sixt.

Ausgewählte Hebelprodukte auf Bertrandt

Mit Knock-outs können spekulative Anleger überproportional an Kursbewegungen partizipieren. Wählen Sie einfach den gewünschten Hebel und wir zeigen Ihnen passende Open-End Produkte auf Bertrandt

NameHebelKOEmittent
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Bildquellen: iStockphoto

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