Börse Frankfurt-News: "Jens Weidmanns Rückzug ist ein Fanal"
FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Fondsmanager Frank fragt kritisch, was aus der, seiner Ansicht nach essentiellen, Unabhängigkeit der Notenbanken von der Politik geworden sei.
1. November 2021. FRANKFURT (pfp Adisory). Jens Weidmann mag nicht mehr. Der Bundesbankpräsident hat um seine vorzeitige Entlassung aus dem Amt gebeten. Damit wird er de facto auch aus dem EZB-Rat ausscheiden, dem Beschlussorgan der Europäischen Zentralbank. Im offiziellen Statement ist von persönlichen Gründen die Rede, gleichzeitig schimmern jedoch deutlich auch andere Facetten durch. So verweist Weidmann darauf, es sei ihm immer wichtig gewesen, "dass die klare, stabilitätsorientierte Stimme der Bundesbank deutlich hörbar bleibt". Auch der Hinweis auf die "schwierigen Diskussionen der vergangenen Jahre" innerhalb des EZB-Rats ist unmissverständlich, ebenso wie die Mahnung, die Geldpolitik solle "ihr enges Mandat" achten und "nicht ins Schlepptau der Fiskalpolitik" geraten. Was man eben als Geldpolitiker gerade noch so in einer offiziellen Stellungnahme schreiben kann, ohne einen Eklat zu riskieren.
In Würdigung dieser Aussagen verwundert der Rückzug Weidmanns nicht. Denn unabhängig ist die Geldpolitik meines Erachtens schon lange nicht mehr. Mit Christine Lagarde steht seit 2019 eine Person an der Spitze der EZB, die im Gegensatz zu ihren drei Vorgängern keinen wirtschaftswissenschaftlichen Hintergrund hat und sich augenscheinlich bewusst und eng mit den politischen Spitzenkräften abstimmt.
Ein solches Vorgehen wäre in der deutschen Tradition der Bundesbank geradezu als anrüchig wahrgenommen worden. In der Ära der Deutschen Mark waren Unabhängigkeit und Geldwertstabilität geradezu heilig und die Bundesbanker sozusagen die Hohepriester - frei nach dem Bonmot Jacques Delors, dem ehemaligen Präsidenten der Europäischen Kommission, nach dem nicht alle Deutschen an Gott glaubten, aber alle an die Bundesbank. Ältere Investoren wie ich erinnern sich noch daran, als vor 25 Jahren der damalige Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer den seinerzeitigen Finanzminister Theo Waigel verbal abwatschte, weil dieser mit dem Goldschatz der Bundesbank tricksen wollte. In einer öffentlichen Stellungnahme verbaten sich die Geldwächter diesen "Eingriff in die Geldpolitik der Bundesbank". Mit Erfolg: Waigel musste die "Operation Goldfinger" widerwillig abblasen.
Eine vergleichbare Reaktion kann ich mir vom derzeitigen Personal der Europäischen Zentralbank (ohne Jens Weidmann) schwerlich vorstellen. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, die Notenbank sei längst zum Erfüllungsgehilfen der Politik mutiert - ein Zustand, vor dem Jens Weidmann wiederholt gewarnt hatte. Statt ihrer traditionellen Rolle als Zähmer der Inflation nachzukommen, kümmern sich die Notenbanken neuerdings um Klimaneutralität (Europäische Zentralbank) oder Verteilungsgerechtigkeit (Federal Reserve). Im Gegenzug wurden die stark anziehenden Inflationsraten zunächst ignoriert, dann verharmlost.
Es mag ja sein, dass wir für eine neue Zeit auch neue geldpolitische Konzepte brauchen, aber mich als geldpolitischen Laien überzeugen sie bisher nicht. Inflation achselzuckend als gegeben hinzunehmen oder "wegzuerklären", ist für mich keine seriöse Notenbankpolitik. Ebenso wenig sehe ich die Hauptaufgabe der EZB darin, den Staaten der Eurozone möglichst günstige Refinanzierungsmöglichkeiten zu bieten. Das ist eine ganz andere EZB als die, die uns Anfang der neunziger Jahre versprochen wurde.
Vielleicht hat Jens Weidmann ähnlich gedacht und am Ende schlicht keine Lust mehr gehabt, als einsamer Mahner gegen Windmühlen zu kämpfen. Er ist ja auch nicht der erste Deutsche, der bei der EZB das Handtuch wirft, weil er mit deren schleichenden Neuausrichtung nicht einverstanden ist. Axel Weber, Jürgen Stark und möglicherweise auch Sabine Lautenschläger sind prominente Vorgänger.
Nach dem Rückzug Weidmanns dürfte es für die EZB noch einfacher werden, ihre ultralockere Geldpolitik fortzusetzen. Geht es nach den Vorstellungen der geldpolitischen Tauben, dürften die Leitzinsen wohl lange bei null Prozent bleiben und Anleihekaufprogramme nicht so schnell eingestellt werden. Das hat auch Konsequenzen für die EU insgesamt. Der Zeitgeist weht unverkennbar Richtung Transfer- und Haftungsunion, die Corona-Pandemie wirkt auch hier als Trendbeschleuniger (Stichwort Corona-Hilfsfonds). Mit den Versprechungen zum Start des Euro lässt sich diese Entwicklung nicht in Einklang bringen.
von: Christoph Frank, 1. November 2021, © pfp Advisory
Christoph Frank ist geschäftsführender Gesellschafter der pfp Advisory GmbH. Gemeinsam mit seinem Partner Roger Peeters steuert der seit über 25 Jahren am deutschen Aktienmarkt aktive Experte den DWS Concept Platow (WKN DWSK62), einen 2006 aufgelegten und mehrfach ausgezeichneten Stock-Picking-Fonds, sowie den im August 2021 gestarteten pfp Advisory Aktien Mittelstand Premium (WKN A3CM1J). Weitere Infos unter www.pfp-advisory.de. Frank schreibt regelmäßig für die Börse Frankfurt.
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