Vielen großen Arbeitgebern in Deutschland bescheren die historisch niedrigen Zinsen ärgerliche Nebenwirkungen.
Der Vorteil des billigen Geldes verkehrt sich bei der betrieblichen Altersvorsorge ins Gegenteil. Die Rücklagen für die Renten werfen immer weniger ab, weil die Anlagen längst nicht mehr die Renditen vergangener Zeiten erwirtschaften. Die Folge: Viele Konzerne müssen Milliarden zuschießen, wie eine Umfrage der Nachrichtenagentur dpa ergab. Doch nicht alle großen Arbeitgeber haben dasselbe System für die Betriebsrenten - manche müssen sich um niedrige Zinsen nicht scheren und keine Zuschüsse leisten, was zum Wettbewerbsvorteil wird.
Beim Autobauer Daimler etwa verschlingt das Problem Milliarden. Im Geschäftsbericht der Schwaben heißt es: "Die erwartete Rendite der Liquidität orientiert sich am Geldmarktzinssatz." Die Bewegung der Zinsen hat also direkten Einfluss auf Daimlers Pensionskosten.
Der
DAX-Konzern nennt den Faktor auch in seinem Risikobericht. So seien Teile der Pensionsverpflichtungen "nicht vollständig durch Planvermögen gedeckt". Die Lücke ergebe sich aus den Verpflichtungen abzüglich des Zeitwertes der Planvermögen. Bei Daimler stieg das Minus seit Ende 2007 von knapp 2 und fast 6,5 Milliarden Euro. Der Konzern steuerte bereits gegen und schoss im vergangenen Jahr 2 Milliarden Euro zu. Zur Tragweite des Problems hält
Daimler fest: Die von den eigenen Pensionsfonds erzielten Erträge brachen 2011 gewaltig ein und rutschten von 835 Millionen Euro im Vorjahr auf 42 Millionen.
Das Gebilde der Vorausberechnung ist fragil. "Selbst geringe Änderungen", schreibt der Stuttgarter Konzern, "könnten die Verpflichtungen ansteigen lassen". Daimler nennt bei den möglichen Stellschrauben neben
Aktien auch "festverzinsliche Wertpapiere". Die Schwaben betonen aber, in ihren Pensionsfonds schlummerten keine wesentlichen Anlagen in Anleihen von Ländern, die gegenwärtig von der europäischen Staatsschuldenkrise besonders betroffen sind. Doch auch die Schuldscheine von Staaten mit Top-Bewertung - wie Deutschland - verzinsen sich schon lange nicht mehr zum Niveau alter Zeiten. Auch bei der Diakonie - mit etwa 400 000 Mitarbeitern einer der größten privaten Arbeitgeber Deutschlands - ist das Thema längst auf der Tagesordnung. Die regional eigenständigen diakonischen Werke regeln ihre Altersvorsorge dezentral. In einem Rundschreiben der Kirchlichen Zusatzversorgungskasse KZVK aus dem mitgliederstarken Rheinland-Westfalen hieß es Anfang des Jahres: "Die steigende Lebenserwartung und die dauerhaft niedrigen Zinsen führten zu Steigerungen der Kosten." Die Folge: Erstmals müssen sich die Arbeitnehmer beteiligen und seit Juni dieses Jahres 0,3 Prozent ihres versorgungspflichtigen Entgelts als Sanierungsbeitrag zuschießen. Die niedrigen Zinsen treffen also mittlerweile auch den Geldbeutel der Arbeitnehmer. Im Kampf gegen die Entwicklung stieg der Pflichtanteil in der KZVK für die Arbeitgeber spürbar von 4,0 auf 4,8 Prozent.
Der Vorstandssprecher der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe, Günther Barenhoff, erklärt, dass die tariflichen Regeln den Pflichtversicherten für deren Altersvorsorge einen Zins von 6,25 Prozent in Aussicht stellten. "Da diese Tarifbindung zusammen mit den öffentlichen Versorgungskassen geregelt ist und die Gewerkschaft Verdi sich seit Jahren weigert, den Satz den tatsächlichen Realitäten anzupassen, könnten wir bald ein nicht unerhebliches Problem haben." Die 6,25 Prozent seien ohne Zockerrisiko nicht mehr zu erreichen. Aktuell stehe die Kapitaldeckung der Vorsorge bei etwa 77 Prozent. Die Erhöhung des Arbeitgeberanteils als Instrument gegen den Negativtrend bedeute für manche Einrichtungen neue Kosten in Millionenhöhe. Zumindest an einer Stelle kann die KZVK aber beruhigen: Laut Barenhoff liegt nur eine verschwindend geringer Anteil des Versorgungskapitals im Feuer der Euro-Krisenstaaten. Das katholische Gegenstück zum Diakonie-Wohlfahrtsverband, die Caritas, konnte wegen Urlaubszeiten zuständiger Experten keine Angaben machen. Allerdings berichtete die Katholische Zusatzversorgungskasse KZVK - sie hat nach eigenen Angaben 500 000 Pflichtversicherte in der Betriebsrente - schon 2009 über eine Erhöhung des Beitragssatzes und schrieb: "Lag die Verzinsung von festverzinslichen Wertpapieren bester Bonität mit 15-jähriger Laufzeit 2001 noch bei 6 Prozent, so liegt sie derzeit unter 4 Prozent." Ob Besserung eintrete, sei "vollkommen ungewiss". Anders ist das System bei Europas größtem Softwarehersteller
SAP. Der Dax-Konzern regelt die betriebliche Altersvorsorge extern über eine Unterstützungskasse, hinter der ein Versicherungskonsortium steht. "Die Rückdeckung erfolgt durch jährliche Einmalbeiträge, so dass sich die sich verändernden Rahmenbedingungen auf zukünftige Ansprüche aller Mitarbeiter auswirken", teilt ein SAP-Sprecher mit. Die individuellen Beiträge seien an das Gehalt gekoppelt. "Die gesamte Lösung ist nicht auf höchstmöglichen Output, sondern auf größtmögliche Sicherheit ausgerichtet", beschreibt er das System. Zahlen für Deutschland nennt das Unternehmen nicht. Es gibt auch keine Angaben dazu, ob SAP erwägt, die Beiträge wegen des schlappen Zinsniveaus anzupassen. 2011 flossen weltweit 176 Millionen Euro in die SAP-eigenen Pensionspläne, weitere 244 Millionen Euro wurden weltweit für die obligatorischen staatlichen Altersvorsorgen fällig. Andere Unternehmen setzen weniger auf im Voraus geparktes Geld und greifen für die Finanzierung der Ansprüche einfach in die Kasse des laufenden Geschäftes. Die Pensionsverpflichtungen der Telekom etwa betrugen Ende 2011 brutto rund sieben Milliarden Euro. Diesen Verbindlichkeiten, die sich an internationalen Bilanzvorschriften (IFRS) orientieren, stehen nach Telekom-Angaben gut 12 Prozent (Planvermögen: 860 Mio Euro) an ausgegliedertem Vermögen gegenüber. Allerdings ist das Soll der sieben Milliarden Euro im Vergleich zu anderen DAX-Konzernen auch verhältnismäßig klein. Dass die
Telekom so wenig ausfinanziere, hänge an ihrem Geschäftsmodell - der Geldfluss ist stetig und hoch, die Ertragskraft vergleichsweise konstant. "Folglich können Renten gut kalkulierbar aus dem operativen Geschäft gezahlt werden", erklärt ein Sprecher. Der Faktor sei klein. "Der Anteil der nicht aus Planvermögen erbrachten Renten am operativen Cashflow betrug im Geschäftsjahr 2011 gerade mal 2,2 Prozent." Die extern geparkten Werte von 860 Millionen Euro seien unterteilt in die Kategorien Eigenkapitalpapiere (etwa Aktien) mit 20 Prozent, Schuldverschreibungen (66 Prozent), Immobilienanlagen (5 Prozent) und "Sonstiges" (9 Prozent). Die Streuung werde regelmäßig überprüft. Ähnlich ist das Bild bei Europas größtem Autobauer
Volkswagen, der die Ansprüche auch überwiegend aus dem laufenden Geschäft bedient: Nach VW-Angaben ist die aktuelle Situation für den Dax-Konzern daher weniger kritisch, da nur ein geringer Anteil der Verbindlichkeiten über den Volkswagen Pension Trust e.V. am Kapitalmarkt investiert ist. "Auf die niedrigen Zinsen im Euroraum und in den USA haben wir mit der Aufnahme neuer diversifizierender Anlageinstrumente reagiert", erklärte er. Je nach Bedarf werde weiter angepasst. Der Technologiekonzern und weltgrößte Autozulieferer Bosch hat sein Vorsorgesystem vor einigen Jahren umgestellt. Die Schwaben finanzieren die bis 2005 aufgelaufenen Altersversorgungsansprüche wie bis dahin üblich mit Direktzusagen und entsprechende Rückstellungen. Neuerdings greift ein firmeneigener Pensionsfonds, in den seit 2006 der Arbeitgeber verpflichtend und die Arbeitnehmer freiwillig und in Grenzen flexibel einzahlen dürfen. Die Höhe der späteren Leistungen aus dem Pensionsfonds bestimmt sich aus den eingezahlten Beiträgen als garantierter Mindestanspruch und der Rendite, die der Fonds über die Jahre erwirtschaftet. Dabei unterteilt Bosch in Mitarbeiter über und unter 55 Jahren. Für die Jüngeren fließen die Beiträge weltweit gestreut etwa zur Hälfte in Aktien und festverzinsliche Wertpapiere. Im Schnitt schaffte der Fonds bisher 5,7 Prozent Zuwachs pro Jahr. Im ersten Halbjahr 2012 erreichte die Verzinsung sogar 10,1 Prozent. Für die Über-55-Jährigen fließt das Geld überwiegend in festverzinsliche Wertpapiere. Dabei kam der Fonds bisher auf durchschnittlich 4,4 Prozent Plus im Jahr. Zwischen Januar und Ende Juni dieses Jahres ergaben sich 8,1 Prozent. Bei der Deutschen Post standen die Pensionsverpflichtungen Ende 2011 bei 13,3 Milliarden Euro. Der Deckungsgrad betrug 56 Prozent. Die Post bestätigt die Tendenz, dass die niedrigen Zinsen für Druck sorgen. "Aufgrund versicherungsmathematischer Effekte - vor allem gesunkener Diskontierungszinsen - sind die Pensionsverbindlichkeiten im Vergleich zum Jahresende 2011 gestiegen", teilte ein Sprecher mit. "Gleichzeitig konnten die Planvermögen gute Renditen erwirtschaften und so ebenfalls erhöht werden." Die Ertrags- und Finanzkraft sei von diesen rechnerischen Bilanzeffekten aber nicht berührt. Der Baudienstleister
HOCHTIEF nennt einen jüngst leicht gesunkenen Deckungsgrad, der aber im Vergleich zu den Dax- und
MDAX-Konzernen "sehr komfortabel" sei. Die Entwicklung sei "derzeit kein zu großes Problem". Mindestdeckungen für das Soll seien nicht definiert. Ganz andere Hausnummern gibt es beim Energieriesen
RWE. Laut Halbjahresbericht hat der Konzern die Rückstellungen für Pensionen und ähnliche Verpflichtungen in diesem Jahr um 52,2 Prozent auf 5,85 Milliarden Euro erhöht. Der Schuldenstand hat sich gleichzeitig im Konzern unter anderem wegen dieser Rückstellungen von 30 auf 34 Milliarden Euro erhöht und damit stärker als geplant, wie RWE im Bericht schreibt. Auch dort derselbe Mechanismus: "Hintergrund ist, dass die Pensionsrückstellungen wegen einer marktbedingten Absenkung der Diskontierungssätze nach oben angepasst werden mussten." RWE rechnet aber laut Halbjahresbericht mit einer Entspannung der Lage. Übrigens ist Europa mit dem Thema nicht allein. Auch in den USA sorgen Betriebsrenten für Kopfzerbrechen. Beim Autokonzern General Motors als einem der größten Arbeitgeber des Landes klafft eine Lücke von 24 Milliarden
Dollar (gut 19 Mrd Euro). Vor einem Jahr lag die Unterdeckung erst bei 20,8 Milliarden Dollar. Um die Pensionslast unter Kontrolle zu kriegen, hat die Opel-Mutter rund 42 000 seiner Rentner das Angebot gemacht, ihnen mit einem Schlag ihre komplette Altersversorgung auszuzahlen. Der Rivale
Ford hat seinen Rentnern eine ähnliches Offerte unterbreitet. Wie gefährlich die Pensionslast gepaart mit der Gesundheitsversorgung der ehemaligen Mitarbeiter werden kann, zeigt sich bei der amerikanischen Post. Der staatliche US Postal Service hat mehrfach davor gewarnt, ihm drohe die Pleite. Für eine Überweisung von 5,5 Milliarden Dollar am 1. August fehlte der Post schlicht das Geld. Auch eine weitere Zahlung von 5,6 Milliarden Dollar am 30. September wird sich das Unternehmen nach eigener Aussage nicht leisten können. Nun soll der US-Kongress für finanzielle Erleichterung sorgen./loh/DP/zb STUTTGART/BERLIN (dpa-AFX)
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