Ölmarkt-Expertin Kneissl: "Wir wissen schlicht nicht, wie es weitergeht"
Die OPEC muss handeln! Was der Nachfrageeinbruch für Erdölproduzenten bedeutet und warum die Preis-Achterbahn allen schadet, erklärt Ölmarkt-Expertin Karin Kneissl.
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von Julia Groß, Euro am Sonntag
Die gesamte Weltwirtschaft wurde von der Corona-Pandemie getroffen, doch kaum einen Bereich hat es so durcheinandergewirbelt wie den Ölmarkt. Über die weitreichenden Konsequenzen des globalen Nachfrageeinbruchs und die Perspektiven für die kommenden Monate und Jahre spricht €uro am Sonntag mit Karin Kneissl. Die ehemalige österreichische Außenministerin und Autorin (ihr neues Buch "Diplomatie Macht Geschichte - Die Kunst des Dialogs in unsicheren Zeiten" erscheint im Juni) gilt als ausgewiesene Expertin für Energiepolitik und den Nahen Osten.
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Plus500: Beachten Sie bitte die Hinweise5 zu dieser Werbung.€uro am Sonntag: Frau Kneissl, wie kann man den aktuellen Nachfrageeinbruch auf dem Ölmarkt einordnen?
Karin Kneissl: Dass wir grundsätzlich einen Nachfragerückgang erleben, war den Erdölproduzenten seit Langem bewusst. Die OPEC hat dies zuletzt in ihrem World Oil Outlook vom November 2019 aufgegriffen, infolge der Tendenz weg vom Verbrennungsmotor. Selbst in China, seit Langem das Zugpferd der Ölnachfrage, ging die Entwicklung seit 2014 stärker in Richtung Dienstleistung, wo weniger fossile Energien gebraucht werden. Zu Beginn des Jahres lag die Weltölproduktion bei rund 100 Millionen Barrel pro Tag. Niemand, wirklich niemand hat sich so etwas wie einen globalen Stillstand vorstellen können. Wir sprechen aktuell von einem Erdölverbrauch von geschätzt 30 bis 40 Millionen Barrel pro Tag weniger. Die größte Förderkürzung aller Zeiten, die im April von den OPEC+-Staaten getätigt wurde, reicht nicht, um das auszugleichen. Das war ein Szenario, das weder die Internationale Energieagentur IEA noch die OPEC-Statistiker noch irgendeine nationale Behörde in der Breite erahnen konnte.
Die IEA ist zuletzt etwas optimistischer geworden. Sie geht jetzt, aufs Jahr betrachtet, von einem Nachfrageminus von 8,6 statt 9,3 Millionen Barrel pro Tag aus. Der Ölpreis ist daraufhin gestiegen. Wie sicher sind diese Prognosen?
Wir wissen schlicht nicht, wie es weitergeht. Zum einen haben wir die Gesundheitsbehörden, die vor einer zweiten und dritten Infektionswelle warnen. Auf der anderen Seite gibt es politische Stimmen, die, wie ich meine, zu Recht sagen, einen zweiten Shutdown können wir uns nicht leisten. Und dann gibt es natürlich noch die Hoffnung auf wirksame Medikamente oder sogar einen Impfstoff innerhalb der nächsten Monate. Allein diese drei Szenarien würden ja zu ganz unterschiedlichen Folgen in der Energienachfrage führen.
Was denken Sie, was passiert?
Man kann sich da nur vortasten. Wenn wir einmal nur bei der Mobilität bleiben: Etwa 37 Prozent der Tageserdölproduktion gehen in die Mobilität. Eines ist, glaube ich, jetzt schon klar: Die Luftfahrt wird an dem aktuellen Einschnitt massiv leiden, für längere Zeit. Der Tourismus wird nicht so schnell anspringen. Und viele Führungsetagen haben gesehen: Es geht auch ohne Reisen. Nicht alles lässt sich per Videokonferenz erledigen, aber vieles eben schon. Dann der Automobilsektor, der bereits seit zwei Jahren große Probleme hat und diese zusätzliche Belastung so nötig gebraucht hat wie einen Kropf. Auch das wird Folgen haben für die Berechnung der Erdölnachfrage. Ich sehe den Knackpunkt aber nicht darin, ob es am Ende sieben, acht oder doch 15 Millionen Barrel am Tag weniger sind. Sondern darin, was man sich als Förderunternehmen leisten kann. Dort müssen die Entscheidungsträger überlegen, wie viel sie investieren, um im Herbst oder im nächsten Frühjahr genug Öl zu produzieren, damit es dann keine Engpässe gibt, wie es in den letzten 30 Jahren immer wieder der Fall war.
Aber dann könnten sie ihr Öl doch teurer verkaufen, wäre das so schlecht?
Erinnern wir uns an die Dekade 1999 bis 2008: Da war der Ölpreis mal bei zehn, mal bei 150, dann wieder bei 60 Dollar. Solche Achterbahnfahrten sind schlecht für Produzenten und für Konsumenten. Allein die Expats, die Ausländer, die in den Golfstaaten arbeiten und Geld in ihre Heimatländer schicken - verlieren sie ihren Job, hat das weitreichende Konsequenzen infolge des Wegfalls ihrer Geldtransfers und führt beispielsweise wieder zu mehr Migration.
Börsennotierte Energiekonzerne wie Total oder Exxon streichen aber gerade ihre Investitionen um ein Viertel oder sogar mehr zusammen.
Wenn ich heute in dem Umfang kürze, wird mich das irgendwann einholen. Die Firmen müssen sich jetzt wieder einmal neu erfinden. Die wirklich bedeutenden Konzerne sind ohnehin nicht mehr die europäischen, nordamerikanischen, obwohl die wichtig sind und immer wieder technologische Trends gesetzt haben, sondern Sinopec, CNOOC oder Gazprom. Letztendlich mischen sich in dem Geschäft immer wieder die fundamentale Fakten von Angebot und Nachfrage mit Geopolitik.
Saudi-Arabien ergreift recht drastische Sparmaßnahmen, verdreifacht die Mehrwertsteuer und streicht Zulagen für Staatsbedienstete. Was bedeutet die aktuelle Situation für die Golfstaaten?
Der frühere saudi-arabische Ölminister Ali Al-Naimi hat immer gesagt "Wir brauchen einen Erdölpreis von mindestens 90 Dollar pro Fass", obwohl Saudi-Arabien Förderkosten von nicht einmal neun Dollar pro Fass hat. Sie brauchen also einen Gewinn von mindestens 80 Dollar pro Fass, um ihren Wohlfahrtsstaat und ihre sehr teure Außenpolitik zu finanzieren. Allein der Jemen-Krieg, der im März 2015 vom Zaun gebrochen wurde, kostet gerüchteweise zwischen fünf und acht Milliarden Dollar pro Monat. Aber Saudi-Arabien hat sehr lange gezögert, irgendwelche Steuern oder Abgaben einzuführen, denn auch dort kennt man das Prinzip "no taxation without representation" - ich kann nicht anfangen, Leute zu besteuern, wenn ich ihnen kein politisches Mitspracherecht gebe. Das gibt es in Saudi-Arabien wirklich nur in sehr, sehr reduzierter Form. Das Erhöhen der Mehrwertsteuer, das Streichen bestimmter "Goodies", das hinterlässt Spuren.
Das heißt doch: Wenn die Golfstaaten auf Dauer keine demokratischen Zugeständnisse machen wollen, benötigen Sie einen höheren Ölpreis. Wie können sie das erreichen?
Es muss eine einvernehmliche Entscheidung innerhalb der 13 OPEC- und zehn Nicht-OPEC-Produzenten geben, die Produktionsquoten aufeinander abzustimmen. Daran werden wohl auch die USA mitwirken, wie dies nun schon der Fall war. Ich sage immer, Totgesagte leben länger. Die OPEC wurde schon Dutzende Male totgesagt und wird trotzdem wohl ihren 60. Geburtstag im Herbst feiern können.
Wo steht der Ölpreis am Jahresende?
Ich könnte mir vorstellen, dass Öl dann teurer ist als heute.
INVESTOR-INFO
ÖlMarkt
Schwankende Stimmung
Die Stimmung am Ölmarkt ist aktuell extrem wechselhaft. Nach dem Nachfrageschock durch die Corona-Beschränkungen fällt jetzt das Ölangebot der OPEC+-Länder und Nordamerikas deutlich. Gleichzeitig erholt sich die Nachfrage aus China. Deshalb hat sich Optimismus bei Rohstoffinvestoren breitgemacht. Commerzbank-Analysten halten die Erholung aber für überzogen, sie erwarten am Jahresende einen Brent-Ölpreis von 40 Dollar pro Barrel. Die nordamerikanische Fracking-Industrie ist dabei die große Unbekannte. Die hoch verschuldete Branche braucht höhere Ölpreise als etwa die Golfstaaten, um profi- tabel zu arbeiten. Doch die Schieferölfirmen haben auch früheren Einbrüchen getrotzt und erhalten jetzt zudem Unterstützung vom Staat. Insofern fällt ihre Produktion vielleicht weniger stark aus als erwartet, was einem starken Ölpreisanstieg entgegensteht. Anleger, die dennoch auf teureres Erdöl setzen wollen, sollten das Thema lieber über Aktien von Energiekonzernen oder Branchen-ETFs wie dem ComStage ETF 600 Oil & Gas (ISIN: LU 037 843 644 7) spielen als über ETCs. Hier begrenzen Rollverluste beim Wechsel in den nächsten, teureren Futures-Kontrakt die Gewinne.
Total
Zukunftsfähig aufgestellt
Sichere und hohe Dividendenrenditen waren immer ein gewichtiges Argument für Ölaktien. Das hat sich jetzt relativiert: Einige Konzerne haben die Ausschüttung wegen der niedrigen Ölpreise gekürzt oder gestrichen. Das französische Unternehmen Total hält seine Dividende trotz Gewinneinbruch stabil. Darüber hinaus ist der Konzern im Vergleich zur Konkurrenz breiter diversifiziert und sehr engagiert bei Gas und erneuerbaren Energien. Auch die Kostenstruktur stimmt. Das ist ein gutes Fundament für die Zukunft.
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