Euro am Sonntag

Die Öl-Chance: Warum der Ölpreis wieder steigt

06.02.16 20:01 Uhr

Die Öl-Chance: Warum der Ölpreis wieder steigt | finanzen.net

Der Preisverfall sorgt rund um den Globus für Turbulenzen an den Märkten. Warum die Reaktion übertrieben ist, welche Chancen für Anleger warten.

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von Julia Groß, Euro am Sonntag

Ein Lachs kostet in Norwegen mehr als ein Barrel Öl, die Bohrinseln in der Nordsee werden abgewrackt, und dass der Grundstoff für Benzin und unendlich viele andere Produkte so billig ist wie seit zwölf Jahren nicht mehr, versetzt die Aktienmärkte seit Wochen in Panik. Vor ein paar Jahren wäre das noch der Stoff für einen wirklichkeitsfernen Roman gewesen. Jetzt ist es Realität, allem Anschein nach eine Realität, die Investoren zutiefst verunsichert.

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Ein niedriger Ölpreis galt immer als höchst wirksame Konjunkturmaßnahme, die den Konsum ankurbelt, weil Verbraucher weniger Geld für Benzin und Heizung ausgeben müssen. Die Ölproduzenten verlieren zwar, können jedoch auf ihre Reserven zurückgreifen, so lautete bisher die Theorie. Nun - so signalisieren es die Aktienmärkte - soll der niedrige Ölpreis plötzlich Indikator für eine Wachstumseintrübung sein. Er schürt die Angst vor Deflation und einer neuen Kreditkrise. Dazu kommt das Reizwort "Iran", das sofort eine breite Spanne an negativen Assoziationen weckt, von politischen Spannungen und fanatischen Ayatollahs bis hin zum Golfkrieg.

Einer realistischen Betrachtung halten die Ängste der Anleger jedoch nicht stand. Einige der Bedenken sind zwar nicht von der Hand zu weisen. Doch Turbulenzen in der Größenordnung, wie sie die Märkte seit Jahresanfang in Atem halten, rechtfertigen sie nicht. "Schlechte Nachrichten werden überbewertet, gute verlieren dagegen schnell an Wirkung", beschreibt Harald Preißler, Chefvolkswirt der auf sicherheitsorientierte Anlagen spezialisierten Bantleon Bank, die Situation.

Chancen wahrnehmen

Derart übertriebene Reaktionen sind aber typischerweise die beste Grundlage für eine Erholung - in diesem Fall sowohl beim Ölpreis als auch auf den Aktienmärkten. Wer in der aktuellen Situation Angst und Realität zu unterscheiden weiß, kann deshalb nach vorn schauen und die Chancen wahrnehmen, die sich durch die allgemeine Nervosität bieten.

Der heftige Verfall des Ölpreises liegt in erster Linie am Überangebot. Saudi-Arabien pumpt, was das Zeug hält. Der Irak hat allein im vergangenen Jahr seine Fördermenge um eine Million Barrel pro Tag erhöht. Mit der Ende 2014 begonnenen expansiven Förderpolitik will das OPEC-Kartell Wettbewerber wie die nordamerikanischen Schieferölproduzenten aus dem Markt drängen. Das Kalkül: Das Ölgeschäft der Amerikaner lohnt sich, ebenso wie Tiefseebohrungen und die Ausbeutung des kanadischen Ölsands, nur bei Ölpreisen deutlich über 50 Dollar. Wenn die Golfstaaten, die wesentlich billiger produzieren, nur lange genug durchhielten, würden die Konkurrenten aufgeben müssen, die Scheichs könnten ihren Marktanteil vergrößern und den Ölpreis wieder allein diktieren.

Doch die Taktik hat sich als weniger schlagkräftig erwiesen, als es die Araber vermutlich ­erwartet hatten. Die "anderen" Ölfördernationen schwanken, aber sie fallen nicht um: In den USA ist zwar die Zahl der Förderanlagen um über die Hälfte zurückgegangen und 42 Ölfirmen mussten 2015 bereits Insolvenz anmelden. Doch die Menge des produzierten Öls ist dank Produktivitätssteigerungen trotzdem kaum geschrumpft. Aufgrund des Technologiefortschritts und erheblicher Sparmaßnahmen können viele Unternehmen immer noch kostendeckend produzieren.

Auch in Russland steigt die Ölfördermenge, anstatt zu fallen. Zwar leiden Produzenten und Staatshaushalt, doch der Absturz des Rubels mildert die Folgen des Ölpreisverfalls. Brasilien profitiert ebenfalls von der Abwertung des Real: Die Einbußen fallen in Lokalwährungen nicht so extrem aus, wie die Ölpreisentwicklung in US-Dollar annehmen lässt.

Die Folge: Es wird seit Monaten erheblich mehr Öl aus der Tiefe geholt, als verbraucht wird. "Die Welt droht in Öl zu ersaufen", konstatierte die Internationale Energieagentur IEA vor einigen Tagen in ungewöhnlich drastischen Worten. Nach dem überraschend frühen Ende der UN-Sanktionen will nun der Iran endlich wieder ins Geschäft einsteigen - das Land, das weltweit mit am billigsten produzieren kann. Das hat die Panik an den Märkten weiter angeheizt.

In Wahrheit machen diese zusätzlichen 0,5 Millionen Barrel - Experten bezweifeln ohnehin, dass diese Menge so schnell realisierbar ist - bei einem weltweiten Ölangebot von über 95 Millionen Barrel pro Tag nicht viel aus. Doch für die Saudis ist Iran ein weiterer, historisch gesehen auch ein besonders wenig geschätzter Konkurrent. Die Beziehungen zwischen den beiden Golfstaaten sind nach der Hinrichtung eines schiitischen Geistlichen in Saudi-Arabien an einem neuen Tiefpunkt.

Obwohl die Rhetorik der Ölproduzenten in der vergangenen Woche deutlich versöhnlicher geworden ist, halten Rohstoffexperten deshalb eine schnelle Einigung auf eine Kürzung der Förderung für so gut wie ausgeschlossen. Dazu müsste außerdem auch Russland mitmachen. Dort gilt eine Drosselung im Winter jedoch als schwierig, weil Frostschäden an den Anlagen drohen. Auf politischer Seite kommt erschwerend hinzu, dass Putin und die Saudis im Syrien-Konflikt auf verschiedenen Seiten stehen.

Die Wende wird kommen

Veränderungen werden aber zwangsläufig kommen: "Die Entwicklung ist endlich, auch den Saudis gehen in spätestens fünf Jahren die Geldreserven aus", sagt Bantleon-Experte Preißler. Dazu kommt: Weltweit wurden im Ölsektor 400 Milliarden Dollar an Investitionen gestrichen. "Das wirkt sich zwar erst längerfristig aus, dafür aber unwiederbringlich", sagt Eugen Weinberg, Rohstoffanalyst bei der Commerzbank. "Wir steuern auf eine massive Unterdeckung des Marktes zu, denn die Ölnachfrage wird weiter steigen."

Die Nachfrageseite ist dabei ein Thema, das ebenfalls viele Missverständnisse birgt. Es stimmt zwar, dass Effizienzsteigerungen etwa bei Autos und die Wachstumsschwäche in China sich negativ auswirken. "Global betrachtet wächst die Ölnachfrage aber, und daran wird sich auch so bald nichts ändern", erklärt Weinberg.

Wie viele Experten rechnet er mit einer Stabilisierung der Preise - ob bald oder erst im Lauf des Jahres, darauf möchte sich aber kaum jemand festlegen. Auch einen weiteren Crash auf 20 oder sogar zehn Dollar halten Beobachter für möglich. Doch dann, spätestens 2017, erwarten die meisten einen Anstieg Richtung 40 bis 70 Dollar. Die Weltbank prognostizierte am vergangenen Mittwoch, dass sich der Ölpreis in den kommenden Monaten unter 40 Dollar einpendeln wird.

Die neue Welt des billigen Öls wird also voraussichtlich noch eine Weile erhalten bleiben. Und anders, als es zurzeit den Anschein macht, hat das durchaus positive Folgen. "Das sind gute Nachrichten für Verbraucher und die Konjunktur, schlechte dagegen für die Leute an der Wall Street, die Geschäfte mit dem Ölsektor machen", sagt Richard Woolnough, Manager des M & G Optimal Income Fund.

Denn der billige Rohstoff kurbelt das Wachstum in Industrie- und rohstoffarmen Schwellenländern an - nur ist der Effekt aufgrund von Steuern oder langjährigen Treibstoffsubventionen vielleicht nicht so deutlich und unmittelbar, wie es die Ökonomen gewohnt waren. "Dass der Automarkt in den USA 2015 einen neuen Absatzrekord aufgestellt hat und auch in Deutschland die Neuzulassungen kräftig zugelegt haben, ist der beste Beleg für die stützende Wirkung", erklärt Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ Bank. "Ein schockartiger Anstieg des Ölpreises wäre daher derzeit sicherlich das größte Risiko für die Weltwirtschaft."

Die Gefahr, dass andererseits Ölexporteure wie Brasilien, Venezuela oder Russland politisch in Schieflage geraten, ist zwar gegeben. "Doch so weit ist es noch nicht", so Bielmeier. Auch die Verwerfungen im Anleihemarkt, die durch Zahlungsausfälle der stark kreditfinanzierten Fracking-Firmen entstehen können, gelten unter den meisten Marktbeobachtern als beherrschbar.

Von Deflation weit entfernt

Die fallenden Energiekosten bremsen allerdings die Inflation. Die EZB befürchtet offenbar eine Verfestigung der deflationären Tendenzen: EZB-Präsident Mario Draghi hat bereits eine weitere Lockerung der Geldpolitik in der Eurozone angedeutet, was sich grundsätzlich positiv auf Aktienkurse auswirken sollte. "Von einer richtigen Deflation sind wir aber noch weit entfernt, weil die Kernrate noch deutlich über der Nulllinie liegt", sagt Stefan Bielmeier.

Fazit: Die ganze Panik hat also bei genauerem Hinsehen nur in Teilen Substanz. Sicher scheint: Der Ölpreis wird wieder steigen, der Zeitpunkt ist jedoch schwer zu prognostizieren. Wetten auf einen höheren Ölpreis sind deshalb nur sehr eingeschränkt zu empfehlen.

Das alte Niveau von über 100 Dollar wird Rohöl jedoch wohl so schnell nicht mehr erreichen. Das sollte sich positiv auf die Konjunktur der Industrieländer auswirken, besonders konsumgetriebene Unternehmen können davon profitieren. Auch energie­intensive Volkswirtschaften stehen auf der Gewinnerseite. Indien etwa importiert über 70 Prozent des im Land benötigten Öls. Eine Einschätzung zu Öl fördernden Unternehmen und ihren Zulieferern finden Sie auf der nächsten Seite.

Anleihen
Die Angst vor Ansteckung

Die amerikanische Fracking-Branche finanzierte ihr enormes Wachstum größtenteils über Hochzinsanleihen. Rund 15 Prozent des US-High-Yield-Markts entfallen auf Bonds aus diesem Sektor. Kollabieren die Unternehmen, können die Papiere nicht mehr bedient werden. Im vergangenen Jahr meldeten 42 Firmen Insolvenz an, im laufenden Jahr könnte es weit mehr Pleiten geben. Diese Erwartung hat ­bereits im vergangenen Dezember zu Einbrüchen am Junkbond-Markt geführt, als mehrere auf das Segment spezialisierte Fonds geschlossen wurden. ­

Privatanleger sollten einen Bogen um Anleihen der kleineren Ölfirmen machen. Manche Beobachter befürchten, dass Investoren beginnen, auch Junkbonds aus anderen Branchen zu meiden und sogar Anleihen von Firmen mit besserer Kreditwürdigkeit zu verkaufen. Das könnte in Schwierigkeiten für alle Unternehmen münden, sich Geld für Investitionen zu beschaffen - ähnlich wie nach dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers. "Das Ansteckungsphänomen ist durchaus da, der High-Yield-Markt in den USA steht schon seit 2014 unter leichtem Stress", sagt Harald Preißler von Bantleon.

"Die Dimension ist aber wesentlich kleiner als zu Lehman-Zeiten." Ein weiteres Risiko für den Anleihemarkt ist der Verkauf von Assets aus den Staatsfonds der Ölförderländer. Analysten von JP Morgan schätzen, dass diese 2016 Anleihen im Wert von 110 Milliarden Dollar abstoßen werden, mehr als doppelt so viel wie 2015. Nach den Erfahrungen mit Verkäufen aus den chinesischen Währungsreserven können solche Transaktionen an einzelnen Handelstagen heftige Zinsanstiege auslösen. Für Langfristanleger bedeutet das jedoch in der Regel keine Gefahr.

Investor-Info

Ölpreisentwicklung
Der tiefe Fall

Mitte 2014 begann der Preis für die Ölsorte Brent, der sich zuvor rund drei Jahre lang beinahe durchgehend über 100 Dollar gehalten hatte, zu bröckeln. Der folgende Einbruch war heftig und könnte noch etwas andauern.

Regionale Gewinnschwellen
Investitionen lohnen nicht

Lediglich im Nahen Osten lässt sich auf dem aktuellen Preisniveau noch Geld mit der Ölförderung verdienen. In den US-Schieferölgebieten produzieren zwar manche Firmen auch jetzt kostendeckend, doch im Durchschnitt liegt die Gewinnschwelle über 60 Dollar.

Investments
Richtigen Einstieg wählen

Während ausgewählte Ölaktien schon heute gute Einstiegschancen bieten, sollte man bei Profiteuren der niedrigen Energiepreise wegen der Marktturbulenzen abwarten. Erst wenn eine Stabilisierung eintritt, ergeben sich hier echte Chancen für Anleger. Zum Beispiel bei europäischen Konsumtiteln (Comstage Stoxx 600 Europe Retail, ISIN: LU 037 843 687 6). Oder, riskanter, in Indien (Lyxor MSCI India, FR 001 036 168 3). Wetten auf einen steigenden Ölpreis sind momentan äußerst spekulativ, weil niemand weiß, wann die Wende kommt. Außerdem erwartet man auch an den Terminbörsen für die Zukunft teureres Rohöl. Das bedeutet, dass bei dem monatlichen Wechsel in den nächsten, teureren Öl-Future, den ein ETC- oder Zertifikate­emittent vornimmt, Rollverluste entstehen und Anleger unterproportional von steigenden Preisen profitieren. Rolloptimierte Zertifikate wie das von BNP Paribas sollen diesen Effekt minimieren (DE 000 AA1 HXV 8).

Bildquellen: 1971yes / Shutterstock.com, Georgi Roshkov / Shutterstock.com

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