"Zutiefst enttäuscht"

Goldman Sachs-Experte: Die ESG-Branche hat Mitschuld an der Energiekrise

05.09.22 22:39 Uhr

Goldman Sachs-Experte: Die ESG-Branche hat Mitschuld an der Energiekrise | finanzen.net

Mit dem Ukraine-Krieg, den Sanktionen gegen Russland und den verminderten Gaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 hat sich die Situation rund um die Energieversorgung in Europa deutlich verschlechtert. Eine Mitschuld an der jetzigen Energiekrise tragen jedoch auch ESG-Anleger, sagt ein Analyst der US-Investmentbank Goldman Sachs.

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• ESG-Branche in vergangenen Jahren von Verboten geprägt
• Fehlende Investitionen in Alternativen zu Kohle
• Kohleverbrauch steigt wieder

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Die Gewährleistung der deutschen Energieversorgung im Winter ist momentan eines der großen Themen am Markt und in der Politik. Um die Versorgungslücke zu schließen, die hauptsächlich durch die reduzierten Gaslieferungen aus Russland entstanden ist, und eine möglichst hohe Energiesicherheit zu gewährleisten, wird dabei auch auf Brennstoffe zurückgegriffen, die äußerst klimaschädlich sind. Wie "Bloomberg" berichtet, geht die Internationale Energieagentur IEA davon aus, dass die Nachfrage nach Kohle 2022 im Bereich des Allzeithochs aus dem Jahr 2013 liegen und im kommenden Jahr noch weiter ansteigen wird. Die Nutzung von Kohle zur Energieerzeugung führt jedoch zu einem doppelt so hohen Kohlendioxid-Ausstoß wie bei Erdgas, weshalb Kohle als schmutzigster fossiler Brennstoff gilt.

"Ich bin zutiefst enttäuscht, dass wir mehr Kohle verbrauchen", äußerte sich Michele Della Vigna, Leiter Rohstoffanalyse EMEA bei Goldman Sachs, kürzlich laut "Bloomberg". Della Vigna, der außerdem bei der US-Investmentbank das Forschungsprogramms "Carbonomics" ins Leben gerufen hat, das sich mit der Wirtschaftlichkeit hinter einem Übergang zu Netto-Null-Emissionen befasst, sieht den höheren Kohlebedarf als direkte Folge unzureichender Investitionen in Erdgas - und gibt vor allem der ESG-Branche eine Mitschuld an dieser Situation.

Experte: Unzureichende Investitionen in Erdgas führen nun zu höherem Kohleverbrauch

Laut Della Vigna hätten ESG-Anleger in den vergangenen Jahren durch eine Art Verbotskultur dafür gesorgt, dass sämtliche fossile Brennstoffe auf eine schwarze Liste gesetzt wurden und nun praxistaugliche Alternativen zu Kohle fehlen. "Vor ein paar Jahren, als ich mit ESG-Investoren sprach, lag der Schwerpunkt zu sehr darauf, in was man nicht investieren sollte. Kein Öl, kein Gas, keine Kohle. Und das führte zu einem Rückgang der Investitionen", kritisierte der Goldman Sachs-Experte laut "Bloomberg". "Hätten wir Erdgas früher als grünen Übergangskraftstoff gesehen, hätten wir in diesem Jahr mehr LNG zubauen können, das übrigens mit neuen verfügbaren Technologien wie Elektrifizierung und Kohlenstoffabscheidung mit geringeren CO2-Emissionen gebaut werden kann. Wir hätten die Verbrennung von mehr Kohle vermeiden können". Stattdessen habe man sich in den letzten fünf Jahren "etwas zu sehr auf die Reduzierung von Kohlenstoff konzentriert". Nun könne die Versorgungslücke jedoch nur noch mit Kohle ausgeglichen werden.

Energieinvestitionen steigen

Inzwischen scheint es jedoch wieder ein Umdenken zu geben. So sind die Investitionen in die Öl- und Gasförderung im ersten Halbjahr 2022 laut der Investmentbank zum ersten Mal seit 2015 wieder gewachsen - und zwar um rund 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 450 Milliarden US-Dollar. Die aktuelle Situation bringe damit "Energieinvestitionen zurück, die nach so vielen Jahren des Niedergangs endlich wieder zu steigen beginnen", so der Experte. Dabei erwartet Della Vigna nicht, dass die höheren Investitionen in Öl und Gas zu Lasten der Erneuerbaren Energien gehen könnten. Die Investitionen in Erneuerbare Energien seien im ersten Halbjahr mit 500 Milliarden US-Dollar noch höher gewesen, und auch die Wachstumsrate lag mit einem Plus von 20 Prozent über der von Öl und Gas. Allerdings sei das nicht ausreichend, um die Nachfrage zu decken.

"Höhere Kohlenwasserstoffpreise und Kapitalkostenvorteile beschleunigen die Entwicklung erneuerbarer Energien", sagte Michele Della Vigna laut "Bloomberg". "Aber auf der anderen Seite haben wir gesehen, wie Menschen mehr Geld in Öl und Gas gesteckt haben. Der Grund, warum dies wichtig ist, liegt darin, dass wir, so sehr wir saubere Energie wollen, immer noch Öl und Gas als Reserve benötigen, insbesondere für den saisonalen Bedarf. Deshalb müssen die allgemeinen Energieausgaben steigen", so der Rohstoffanalyst weiter. Laut Schätzungen von Goldman Sachs werde Europa noch 20 Jahre lang auf Erdgas angewiesen sein.

Erdgas als "Schlüssel" für Europas Energieversorgung - Atomkraft nicht "transformativ"

"Die größte Veränderung in diesem Jahr ist, dass wir jetzt vor einer doppelten Herausforderung stehen: Dekarbonisierung und erschwingliche Energie für die breite Öffentlichkeit", so Della Vigna laut "Bloomberg". Die Nutzung von mehr Nuklearenergie sieht der Analyst laut "CNBC" jedoch nicht als Lösung des Problems an. Zwar werde Kernenergie aufgrund der Energiekrise in den kommenden Jahren in Europa eine Rolle spielen und Investitionen in diesem Bereich sollten fortgesetzt werden, aber "es ist keine der transformativen Technologien, die wir uns für die Zukunft vorstellen". Stattdessen betonte der Goldman Sachs-Experte auch gegenüber "CNBC", dass Erdgas über die nächsten zwei Jahrzehnte der "Schlüssel" für Europas Energieversorgung bleibe. ESG-Investoren müssen daher ihre bisherigen Energiestrategien wohl überdenken - denn ganz ohne Erdgas kann die Energiekrise laut Della Vigna nicht gelöst werden.

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