Japan-Wahl: Auf Biegen und Brechen
Am Sonntag wird Shinzo Abe wohl zum neuen Premierminister gewählt. Ein erstaunliches Comeback. Und vermutlich der Beginn dramatischer Veränderungen - nicht nur in Japan.
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von Martin Blümel, Euro am Sonntag
Der „Prinz“ ist zurück. So wird Shinzo Abe in Japans Medien genannt, seit er 2006 zum starken Mann des Landes aufstieg. Zunächst als Chef der Liberaldemokratischen Partei LDP, dann gar als Ministerpräsident Japans und Nachfolger des überaus populären Junichiro Koizumi. Doch die Ära Abe war damals kurz. Anfangs auffallend populär wurde der „bestangezogene Mann des Landes“ bald wegen seiner zögerlichen Politik verlacht. Im September 2007 gab der damals jüngste Premier der japanischen Nachkriegszeit entnervt auf. Nach nur einem Jahr Amtszeit, mit vielen Entschuldigungen und anscheinend geplagt von Magengeschwüren. Und seine Partei ging mit ihm unter. Zwei Jahre nach Abes unrühmlichem Abgang verlor die LDP die Macht an die Demokratische Partei DPJ, die davor über 50 Jahre lang nur die harte Oppositionsbank gedrückt hatte.
Doch Abe ist zurück. Am Sonntag stehen Neuwahlen in Japan an. Und ausgerechnet er, der Entnervte, gilt als aussichtsreichster Kandidat. Abe soll willensstärker sein als damals, ausgesprochen fit, fest entschlossen. Man mag es ihm und Japan wünschen — fünf Premiers hat das Land seit seinem Abgang 2007 verschlissen. Doch jetzt könnte dem bisher verhinderten Regierungschef etwas gelingen, was in Nippon eigentlich undenkbar ist: Er bekommt wohl eine zweite Chance. Abes Aussichten sind hervorragend, sämtliche Umfragen gehen von einem Wahlsieg des inzwischen 58-Jährigen aus.
Was nicht weiter wundert, denn Noch-Amtsinhaber Yoshihiko Noda von der DPJ, einst mit viel Hoffnung gestartet, gilt als schwach. Einen Umschwung in dem von Staatsschulden, Überalterung, Konjunktursorgen und den Folgen der Katastrophe von Fukushima geplagten Land hat auch er nicht hinbekommen. Noda hat zu viele Wahlversprechen gebrochen. Und was weit schwerer wiegt: Die hartnäckige Deflation — ein Gemisch aus sinkenden Preisen und Löhnen bei wirtschaftlicher Stagnation — konnte er ebenfalls nicht beseitigen. Japan hat daher genug von Noda. Ohnehin ist man recht ungeduldig geworden mit den Politikern in den vergangenen Jahren. Abe wird das zu spüren bekommen, sollte er die Wahl gewinnen.
Zumal er Unerhörtes verspricht: Auf Biegen und Brechen müsse das Wirtschaftswachstum auf drei Prozent gehievt werden. Abes Idee: Mit drastischen Maßnahmen soll die seit Jahren viel zu starke Landeswährung Yen geschwächt werden, um der Exportnation Japan zu besserer Wettbewerbsfähigkeit zu verhelfen. Die jahrzehntelange Stagnation des Landes soll so beendet werden.
Negativzinsen gegen die Krise
Unerhört auch die Mittel zum Zweck: Die Pläne, die in Japan schon „Abe-nomics“ genannt werden, soll vor allem die Notenbank umsetzen, die Bank of Japan. Wenn nötig mit negativen Zinsen. Bedeutet: Statt Zinsen zu bezahlen, bekämen Kreditnehmer welche ausbezahlt. Abe will die Notenbank dazu zwingen, wenn es denn sein muss. In die Karten spielt ihm dabei, dass die Amtszeit des bisherigen Notenbankchefs Masaaki Shirakawa im April abläuft. Den hält Abe für zu lasch, und es dürfte nicht wundern, wenn er bei der Neubesetzung des Postens ein gewichtiges Wörtchen mitreden wird. Unter seiner Regierung, so Abe jedenfalls, werde die Notenbank „unbegrenzt Geld in die Wirtschaft pumpen“. Die Notenbank soll ein festes Inflationsziel von zwei oder drei Prozent vorgeben, statt der bisher angepeilten Jahresteuerung von lediglich einem Prozent. Außerdem werde seine Regierung ein Konjunkturprogramm starten. Von umgerechnet zwei Billionen Euro in den kommenden zehn Jahren ist die Rede — eine Zahl mit zwölf Nullen.
Klar ist: Die drittgrößte Volkswirtschaft auf dem Globus würde durch derartige Aktionen plötzlich wieder relevant für die Börsenwelt. Denn gelingt es Abe tatsächlich, den Wert des Yen zu drücken, dürften Gegenmaßnahmen in den USA, Europa und Asien nicht lange auf sich warten lassen. Manch einer befürchtet deswegen gar einen „Krieg der Währungen“. In Südkorea etwa, dem vielleicht bedeutendsten Konkurrenten Japans im Exportgeschäft, wird jetzt schon laut über Devisenmarktinterventionen nachgedacht.
Insgesamt wird an den Finanzmärkten jedenfalls so reagiert, wie man es seit einigen Jahren gewohnt ist, wenn Notenbanken, amtierende oder angehende Regierungen „unbegrenztes Geld“ versprechen. Japanische Aktien stehen seit Mitte November, seit Ankündigung der Neuwahlen, plötzlich wieder auf den Kauflisten der Anleger. Der Aktienindex Nikkei 225 hat seither um 13 Prozent zugelegt. Außerdem fällt, wie von Abe gewollt, bereits jetzt die Landeswährung Yen, die seit Anfang 2008 praktisch gegenüber allen Währungen schier unaufhaltsam gestiegen war. Binnen sechs Wochen ging es von 78 Yen für einen Dollar Richtung 83 Yen — eine Abwertung von mehr als sechs Prozent. Der Anfang einer kontinuierlichen Abwertung im Sinne des „Prinzen“ könnte gemacht sein. Der Schweizer Vermögensverwalter Felix Zulauf erwartet jedenfalls, dass die Währung „in den kommenden zwei, drei Jahren auf 100 Yen für einen Dollar abrutscht“.
Das Problem an Abes Plänen: Man entfernt sich immer weiter von dem Ziel, einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. Der Schuldenstand ist schon jetzt gut doppelt so hoch wie die Wirtschaftsleistung — und damit höher als in jedem anderen OECD-Land, und die jährliche Neuverschuldung liegt bei über zehn Prozent.
Auf der anderen Seite ist man gezwungen zu handeln. Pünktlich zur Wahl ist Japan erneut in die Rezession gerutscht. Zum fünften Mal in den vergangenen 15 Jahren. Nach einem Minus von 0,1 Prozent im zweiten Quartal des Jahres, ist die Wirtschaft im dritten Quartal um 3,5 Prozent geschrumpft. Nicht besser fällt die etwas längerfristigere Bilanz aus: In drei der vergangenen vier Kalenderjahre hat Japans Wirtschaft ein Minus verbucht. Für Noch-Oppositionspolitiker Abe Beweis genug, der bisherigen Regierung sowie der Notenbank „komplettes Versagen“ vorzuwerfen. Bleibt in seinem Sinn wohl nur eins: Geld drucken.
Unkluge Scharmützel mit China
Doch ob das allein reicht, um Japan wieder in die Spur zu bekommen? Es gibt ja noch andere Faktoren, die das Land belasten. Etwa
die demografische Entwicklung, die gegen eine langfristige Erholung spricht. Dass inzwischen mehr Windeln für alte Menschen verkauft werden als für Babys, spricht Bände.
Auch Japans Industrie kämpft mit Problemen: In der Elektronikbranche etwa haben die Konkurrenten aus Korea und den USA den Japanern den Rang abgelaufen. Sony oder Panasonic können mit Samsung und Apple nicht Schritt halten.
Und dann sind da all die Nebensächlichkeiten, in die sich das Land scheinbar so gern verstrickt. Vor allem das Verhältnis zum großen Nachbarn China ist kompliziert. Da ist dieser seltsame Konflikt um eine Handvoll steiniger Klippen im Ostchinesischen Meer — die Senkaku-Inseln. Und die häufigen Premierministerbesuche bei einem Schrein, in dem auch japanische Kriegsverbrecher verehrt werden, was in China für reichlich Unmut sorgt. Als Folge wird dann in der Volksrepublik demonstriert, japanische Flaggen werden verbrannt, japanische Waren boykottiert, die Gastarbeiter aus dem Nachbarland verängstigt. Scharmützel, die unklug erscheinen. Vor allem, da beide Länder wirtschaftlich verbunden sind wie nie zuvor. China ist wichtigster Handelspartner Japans. 20 Prozent aller Exporte des Landes gingen 2011 in Richtung Volksrepublik und 22 Prozent aller Importe kamen von dort über das Ostchinesische Meer. Es wäre wohl auch hier an der Zeit, Unerhörtes in die Wege zu leiten.
Investor-Info
Japan
Lieber währungsgesichert
Japans Börsenmalaise dauert seit den 90er-Jahren an. Trotzdem sind mit taktischen Investments immer wieder Gewinne drin, da sich Schwächephasen an der Börse in schöner Regelmäßigkeit mit längeren Aufschwüngen abwechseln. Am besten investiert man in Japan mit Fonds, ETFs oder Zertifikaten. Wichtig ist dieses Mal, auf Währungssicherungen zu achten. Denn geht Abes Plan mit der Abwertung des Yen auf, könnte ein Teil der Aktienkursgewinne vom Wertverlust des Yen aufgefressen werden. Auch wichtig: Gewinnt Abe am Sonntag die Wahl, dürfte es bei Yen und Nikkei vermutlich zunächst eine Konsolidierung geben — so war es bislang meist nach Wahlen in Japan. Doch genau das bietet gute Einstiegsmöglichkeiten.
Nachfolgend finden Sie eine Auswahl guter, währungsgesicherter Fonds.
Parvest Japan Small: LU0194438841
Aberdeen Japan Small: LU0476877054
Aberdeen Japan Equ.: LU0476876759
Fidelity Japan Advant.: LU0611489658
iShares MSCI Japan: DE000A0H08D2