ROUNDUP/Ukraine-Friedenstruppe: Starmer prescht vor, Scholz bremst

17.02.25 15:12 Uhr

PARIS/LONDON/BERLIN (dpa-AFX) - Großbritannien und Frankreich drängeln, Deutschland bremst: Vor ihrem Pariser Gipfel zum Ukraine-Krieg zeigen sich die Europäer uneins in der Frage einer Friedenstruppe zur Sicherung eines möglichen Waffenstillstands. Der britische Premierminister Keir Starmer preschte kurz vor dem Treffen vor und zeigte sich "bereit und willens", notfalls Soldaten in das von Russland angegriffene Land zu entsenden. In einem Gastbeitrag für den "Telegraph" schrieb er, Großbritannien könne bei der Arbeit an Sicherheitsgarantien für die Ukraine eine "führende Rolle" übernehmen.

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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hält die Debatte dagegen für verfrüht. "Es ist ganz wichtig, dass wir uns klar machen, da sind wir leider noch lange nicht", sagte Scholz vor seiner Abreise nach Paris in Kassel. Es gehe jetzt um die Frage, wie Frieden gewährleistet werden könne, ohne dass über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg entschieden werde.

Ukraine-Gipfel von acht europäischen Ländern

Am Nachmittag kommen in Paris auf Einladung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron die Staats- und Regierungschefs von acht europäischen Ländern zusammen, um eine gemeinsame Linie in der Ukraine-Politik zu suchen, darunter auch Starmer und Scholz. Außerdem sind Italien, Polen, Spanien, die Niederlanden und Dänemark vertreten sowie die Spitzen von EU und Nato.

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Die Europäer wollen beraten, wie sie mit dem Kurswechsel der US-Politik im Ukraine-Krieg umgehen. US-Außenminister Marco Rubio und ranghohe Vertreter Russlands wollen Berichten diese Woche in Saudi-Arabien über ein Ende des russischen Angriffskriegs sprechen - ohne Beteiligung der Ukraine oder anderer europäischer Vertreter.

US-Präsident Donald Trump will möglichst bald Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über ein Ende des Krieges beginnen. Die USA haben aber gleichzeitig klargemacht, dass sie keine Soldaten zur Sicherung eines Waffenstillstands in die Ukraine entsenden wollen.

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Frankreich berichtet über sehr konkrete Gespräche

Macron treibt das Thema einer europäischen Friedenstruppe schon länger voran. Bereits Mitte Dezember, sechs Wochen vor dem Amtsantritt Trumps, gab es Berichte über entsprechende Pläne der Regierung in Paris. Frankreichs Außenminister Jean-Noël Barrot berichtet nun von sehr konkreten Gesprächen "auf verschiedenen Ebenen", bei denen es um die Entsendung von Truppen insbesondere aus Frankreich, Großbritannien und Polen - den "drei großen Armeen" Europas - gehe. Die Friedenstruppe solle einen künftigen Waffenstillstand und einen "dauerhaften Frieden" in der Ukraine gewährleisten, sagte er in einem Interview des Senders LCI.

Deutschland, das nach den USA, der Türkei, Polen und Frankreich laut offizieller Nato-Statistik die fünftgrößte Armee des Bündnisses hat, erwähnte Frankreichs Außenminister nicht. Großbritannien liegt nur auf Platz sieben noch hinter Italien.

Scholz' rote Linie: Keine Beteiligung ohne USA

Scholz steht seit Beginn der Debatte über eine Friedenstruppe auf der Bremse. Sein Argument: Zunächst einmal müsse es ein Verhandlungsergebnis unter Beteiligung der Ukrainer geben, erst dann könne es um eine Sicherung eines Waffenstillstands gehen. "Trump etwas für einen Deal zuzusagen, den wir nicht einmal kennen, wäre fahrlässig", heißt es aus deutschen Regierungskreisen.

Für die Entsendung von Truppen gibt es für den Kanzler eine rote Linie: Ohne eine Beteiligung von US-Truppen kommt dies für ihn nicht infrage, weil es aus seiner Sicht die Nato spalten würde: "Wir werden uns in diesem Zusammenhang nicht an Szenarien beteiligen, in denen europäische und amerikanische Sicherheit auseinanderfallen, also beispielsweise europäische Soldaten ohne volle US-Involvierung eingesetzt werden."

Deutschland will lieber die ukrainische Armee aufrüsten

Dem Kanzler wäre es ohnehin viel lieber, die Ukrainer in die Lage zu versetzen, selbst für ihre Sicherheit zu sorgen. "Für mich ist ganz klar, dass im Mittelpunkt stehen muss eine sehr starke ukrainische Armee, auch in Friedenszeiten", sagt er in Kassel. Die Europäer und Amerikaner sieht er dabei eher als Geldgeber und Ausrüster. "Das wird eine große Aufgabe sein für Europa, für die USA und internationale Bündnispartner."

Vor einem Waffenstillstand ist die Entsendung von Nato-Truppen für Scholz komplett ausgeschlossen, weil das Bündnis aus seiner Sicht damit in den Krieg hineingezogen würde. Allerdings ist unklar, ob nach der Bundestagswahl von einer neuen Bundesregierung andere Akzente gesetzt würden.

Polen zurückhaltend - Niederlande und Schweden offen

Anders als vom französischen Außenminister dargestellt, plant auch Polen keine Entsendung von Soldaten - unterstützt aber den Ansatz Macrons und Starmers. Vor seinem Abflug nach Paris sagte Polens Regierungschef Donald Tusk: "Wir haben nicht vor, polnische Truppen in die Ukraine zu schicken, aber wir werden die Länder, die in Zukunft solche Garantien geben wollen, auch logistisch und politisch unterstützen." Polnischen Medien zufolge ist die Regierung in Warschau bislang auch aus historischen Gründen zurückhaltend: Vor dem Zweiten Weltkrieg gehörten Teile der heutigen Westukraine zu Polen.

Offen für eine Entsendung von Truppen in die Ukraine haben sich dagegen auch die Niederlande und Schweden gezeigt. Spanien und Dänemark schlossen einen solchen Schritt zuletzt zumindest nicht mehr kategorisch aus.

Truppenstärke noch unklar

Wie viele europäische Soldaten nach einer möglichen Friedensvereinbarung in die Ukraine geschickt werden könnten, ist derzeit noch unklar. Wie die Deutsche Presse-Agentur aus Verhandlungskreisen erfuhr, wird über eine fünfstellige Zahl gesprochen. Demnach ist eine von dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ins Spiel gebrachte Truppenstärke von 200.000 Soldaten unrealistisch. Zu Beginn der Debatte im Dezember war über rund 40.000 Soldaten spekuliert worden.

Nach Angaben von Diplomaten wird derzeit vor allem darüber gesprochen, ob und wenn ja europäische Soldaten für die Ausbildung ukrainischer Streitkräfte im westlichen Teil des Landes stationiert werden könnten. Als äußerst unwahrscheinlich gilt demnach auch, dass sie direkt an die Frontlinie geschickt würden, um dort die Einhaltung einer möglichen Friedensvereinbarung zu überwachen./mfi/DP/jha