Bill Browder - Putins Piesacker
Einst der größte ausländische Investor in Russland, bekämpft der Amerikaner heute verbissen Wladimir Putin. Es geht um 230 Millionen Dollar und einen Todesfall, der nie vor Gericht kam.
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von Alexander Sturm, Euro am Sonntag
Bill Browder steht in der Mittagshitze unter einem Flachdach vor einer Menge schwitzender Anzugträger und tut das, was er am zweitbesten kann: Er feilt an seiner eigenen Legende. Es ist ein Freitag, die Sonne brennt auf Bad Homburg im Taunus, niemandem könnte man die vorzeitige Flucht ins Wochenende verdenken. Doch keiner geht. Alle hören Browder zu. Mehr noch: Sie hängen an seinen Lippen. Denn er erzählt eine schier unglaubliche Geschichte.
Sie handelt von einem jungen Amerikaner, der mit Mut, Ehrgeiz und etwas Glück zum größten ausländischen Investor in Russland wurde, Milliarden verdiente, sie fast wieder verlor und dann einem gewissen Wladimir Putin in die Quere kam. Der ging gegen Browders Firma vor, warf ihn aus dem Land und ließ wohl seinen engsten Mitarbeiter umbringen. Seither fühlt sich Browder nirgendwo mehr sicher vor Russlands Präsidenten - und sinnt trotzdem auf Rache gegen Putin.
Am Ende seines Vortrags sagt Browder: "Falls ich umgebracht werde, wissen Sie, wer dahintersteckt." Jüngst hat der 51-Jährige ein Buch über sein Leben veröffentlicht. "Wie ich Putins Staatsfeind Nr. 1 wurde", heißt es großspurig. Es handelt von dem, was Browder am besten kann: Milliarden verdienen.
Auf in den Wilden Osten
Dabei scheint Bill Browder zunächst nicht für eine große Karriere bestimmt. Geboren als Sohn einer vor dem Holocaust geflüchteten Jüdin aus Österreich, rebelliert er gegen seine linkspolitische Familie. Sein Großvater bringt es zum Chef der Kommunistischen Partei der USA, sein Vater mit 20 zum Doktortitel in Mathematik in Princeton. "In meiner Familie hatte man nur als Wunderkind eine Daseinsberechtigung", schreibt Browder. Als Schuljunge beschließt er, "einen Anzug mit Krawatte anzuziehen und Kapitalist zu werden. Damit würde ich sie richtig treffen."Browder schreibt sich an einer Universität in Colorado ein, die vor allem für Partys bekannt ist. Doch bald sieht er ein, dass er es mit Feiern nie zum großen Kapitalisten bringen wird. Fortan büffelt er Tag und Nacht und schafft es an die Eliteuni Stanford. Im Sommer 1989 zieht er nach London, um einen Job als Unternehmensberater anzutreten. Wenig später fällt die Berliner Mauer, der Zusammenbruch des Kommunismus in Europa nimmt seinen Lauf.
Browder reizt der Wilde Osten, in den kaum ein westlicher Investor einen Fuß zu setzen wagt. "Mein Großvater war der größte Kommunist in Amerika. Ich nahm mir vor, der größte Kapitalist in Osteuropa zu werden." Eine erste Chance erhält er in Polen. Dort soll er im Auftrag seiner Firma bei der Privatisierung eines Busunternehmens beraten. Er sieht, dass es die Regierung gerade einmal zum halben Jahresgewinn verkaufen will. Browder steckt all seine Ersparnisse von 2.000 Dollar in Aktien der Firma. Nach der Privatisierung verzehnfachen sie sich. Den Rausch der schnellen Rendite nennt Browder die "Finanzversion des Crack-Rauchens". "Wenn man es einmal gemacht hat, will man es immer wieder tun." Und Browder raucht kräftig weiter.
Später heuert er bei einer Investmentbank als Russland-Experte an. Mit Ende 20 reist Browder im Alleingang in das Land, um lukrative Deals zu finden. In Murmansk sieht er, wie eine Schiffsflotte im Wert von über einer Milliarde Dollar für wenige Millionen privatisiert werden soll. Es ist kein Einzelfall.
Die Jahrhundertchance
Die Regierung von Boris Jelzin verteilt Anfang der 90er-Jahre an jeden russischen Bürger einen Privatisierungsschein im Wert von 20 Dollar. Alle Coupons zusammen lassen sich gegen 30 Prozent der Anteile an allen russischen Firmen tauschen. Hochgerechnet ist die Wirtschaft des Landes so mit zehn Milliarden Dollar bewertet - ein Schnäppchen. Nur sieht das kaum jemand. Viele einfache Bürger tauschen die Coupons gegen Wodka oder Schweinefleisch.Browder kauft Coupons im großen Stil auf und tauscht sie gegen spottbillige Aktien. "Es war eine der größten Chancen in der Geschichte des Finanzsystems", sagt er im Gespräch mit €uro am Sonntag am Rand einer Fondskonferenz. "So etwas wird es zu meinen Lebzeiten nicht noch einmal geben."
1996 legt Browder seinen eigenen Hedgefonds auf: Hermitage Capital. Er will lieber selbst das große Geld machen. Als Finanzier gewinnt er den libanesischen Milliardär Edmond Safra, der 25 Millionen Dollar beisteuert. Mit Wagemut und Zahlenbesessenheit kauft Browder Aktien einer kaum bekannten Ölfirma, die später 600-mal teurer von British Petrol übernommen wird. Binnen zwei Jahren wächst Hermitage auf eine Milliarde Dollar an. 900 Millionen davon verliert Browder in der Rubelkrise 1998. Doch aufgeben will er nicht.
Gefährlicher Verbündeter
Ein Coup bei Gazprom hilft ihm. Gerüchte machen die Runde, dass korrupte Manager fast alle Ölreserven des Energiekonzerns gestohlen haben. Browder findet heraus, dass nur wenige Prozent fehlen, und kauft ein Fünftel der Aktien. Dann informiert er die Medien über den Diebstahl. Der Fall schlägt weltweit Wellen und Wladimir Putin, damals Ministerpräsident unter Jelzin, feuert die Chefetage von Gazprom. Die Gazprom-Aktie steigt am Tag danach um 134 Prozent. Binnen zwei Jahren verhundertfacht sie sich.Fortan arbeitet Browder als aktivistischer Investor. Er kauft sich bei Firmen mit Korruptionsfällen wie Sberbank oder dem Stromversorger UES ein und macht diese publik. Putin räumt dann im Management auf, Browder streicht die Gewinne ein. Zum Schutz gegen die angeschwärzten Oligarchen beschäftigt er 15 Bodyguards. Die Superreichen glauben indes, der Amerikaner stehe unter dem Schutz Putins. 2005 erreicht Hermitage Capital ein Rekordvolumen von 4,5 Milliarden Dollar.
Doch dann macht er einen großen Fehler - er unterschätzt Putin. Dem wird Browders Erfolg zu groß. "Ich war naiv genug zu glauben, dass Putin im Interesse Russlands handelt", sagt Browder. Sein mächtigster Verbündeter, den er zuvor noch ausdrücklich gelobt hatte, wird nun sein schlimmster Feind.
Im November 2005 wird Browder die Einreise am Moskauer Flughafen verweigert. Drei Jahre später durchsuchen Steuerfahnder seine Firma in Moskau und beschuldigen ihn der Steuerhinterziehung. Tatsächlich veruntreuen sie selbst 230 Millionen Dollar Steuern von Hermitage. Browders Anwalt Sergei Magnitski beweist das - und büßt dafür. Er wird inhaftiert und stirbt 2009 unter mysteriösen Umständen im Gefängnis. Browder findet viele Indizien für Folter und Mord, die russischen Behörden sprechen von Herzversagen als Todesursache. Eine Autopsie gab es nie. Der Tod von Magnitski ändert alles in Browders Leben.
Kampf für Gerechtigkeit
Er schließt seinen Fonds für Investoren und fliegt seitdem um die Welt, um mit Politikern, Diplomaten und Menschenrechtsorganisationen zu sprechen. Sein Ziel: Gerechtigkeit für Magnitski und Rache am System Putin. Selbst die Angst vor dem Präsidenten, der bei Interpol dreimal vergeblich einen Haftbefehl gegen ihn erwirken wollte, schreckt ihn nicht.Von London aus betreibt Browder die Internetseite www. russian-untouchables.com, auf der er den Mord an Magnitski und die Täter anprangert. Die "Unantastbaren" wurden in Russland nie vor Gericht gestellt. Browder tut es medial. Über eine Kampagne erreicht er 2012 in den USA den "Magnitsky Act", ein Gesetz, das den Tätern die Einreise in die USA verwehrt und ihre Konten dort sperrt. Die Sanktionen lassen die Beziehungen zwischen den USA und Russland auf den Gefrierpunkt sinken. Browders Kampf wird zum Lackmustest für westliche Investoren in Russland.
Heute ist es Browders Ziel, ein ähnliches Gesetz in Europa zu erreichen. Das Europäische Parlament hat 2014 dafür plädiert. Doch die Zustimmung von Staatschefs fehlt. Angela Merkel etwa konnte Browder trotz vieler Versuche nie sprechen. "Es ist wie beim Anstieg auf einen hohen Berg", sagt Browder über seine Arbeit. "Man muss auf den Boden schauen und einen Schritt nach dem anderen gehen. Irgendwann sieht man auf und merkt, dass man schon den halben Weg geschafft hat."
Sich selbst sieht er als Menschenrechtsaktivist. Der Kampf für Magnitski und dessen Witwe sei seine große Motivation. Wer mit Browder spricht, nimmt ihm das ab. Indes leidet er auch unter schweren Schuldgefühlen. Schließlich hatte er Magnitski einst auf den Betrug der Steuerbehörden angesetzt.
Sein Leben vermarktet Browder brillant. Er weiß um die Anziehungskraft seiner Biografie und erzählt sie gern - nicht frei von Eitelkeiten. Auch die Eigenbeschreibung als "Putins Staatsfeind Nr. 1" ist übertrieben - der hat einige mächtige Gegner. Finanziell kann sich Browder das neue Leben leisten. Allein 2006 soll er 200 Millionen Euro verdient haben. Spender für seine Mission hat er nicht.
Als Investor will Browder nicht mehr arbeiten. Die Börsen findet er ohnehin nicht attraktiv. Die Geldschwemme der Notenbanken habe eine künstliche Welt geschaffen, in der alles zu teuer sei, sagt er. Nur einen breit gestreuten Korb aus US-Immobilien würde er kaufen, als Inflationsschutz. In Russland würde er nicht investieren. Damals habe es dort an der Börse nur besser werden können. "Heute ist es andersherum."
Düstere Zukunft für Russland
Seiner früheren Wahlheimat prophezeit Browder eine düstere Zukunft. "In zwei Jahren ist Russland pleite", sagt er. Das Land könne dem Ölpreisverfall und den westlichen Sanktionen nicht standhalten. Er glaubt zudem, dass Putin keinen Plan bei der Invasion in der Ukraine hatte und nun in der Klemme steckt. "Die Annexion der Krim geschah aus purem Opportunismus", sagt Browder. Putin habe Russlands Stärke beweisen wollen, aber nicht mit der Geschlossenheit des Westens gerechnet.Hoffen auf die Feinde
Gleichwohl findet Browder die Sanktionen gegen Putin nicht hart genug. Er schlägt Waffenlieferungen an die Ukraine vor. Bedenken, so eine militärische Eskalation zu riskieren, wischt er beiseite. "Es wäre doch optimal für den Westen, wenn die Ukraine das Kämpfen übernimmt", sagt er lapidar.Ebenso könne man Russland vom globalen Zahlungsverkehr über das SWIFT-System ausschließen. Doch dafür fehle der politische Wille. "Großbritannien tut nichts wegen der reichen Russen in London", sagt Browder. Und die Deutschen hätten zu viel Verständnis für Russland. Immerhin nehme Angela Merkel im Zuge der Sanktionen hohe Kosten für die deutsche Wirtschaft in Kauf.
Sollten die Repressalien Putin nicht zu Fall bringen, hat Browder eine Hoffnung: Die Oligarchen könnten sich gegen ihn verbünden. Denn Putin habe sie beim Aufräumen in russischen Firmen zu einer Sondersteuer gezwungen und ihnen dafür Schutz vor weiterer Verfolgung versprochen, glaubt Browder. Mit Verweis auf das Schicksal des lange inhaftierten Ölmilliardärs Michail Chodorkowski habe die Erpressung gewirkt.
Doch die Zwangssteuer würden die Oligarchen nie vergessen. "Sobald Putin nicht mehr Präsident ist, ist er nicht mehr sicher", sagt Browder. Nur das Amt garantiere ihm Schutz. "Er kann gar nicht zurücktreten."
So kämpft Browder nicht nur allein gegen Putin, sondern er zählt ausgerechnet auf die Hilfe jener Oligarchen, deren Bereicherung an russischen Firmen er einst anprangerte. Das passt zwar nicht in sein Bild vom heldenhaften Feldzug gegen Putin. Doch letztlich dürfte es ihm
egal sein, wie genau sein ärgster Feind unter Druck gerät.
Bis dahin feilt Browder weiter an seinem Mythos. Und setzt Nadelstiche gegen Putin. An Verbissenheit fehlt es ihm nicht.
Früher:
Kapitalist
Bill Browder, geboren 1964, wuchs in Chicago auf. Er studierte Ökonomie in Stanford und arbeitete dann für die Beratungsfirma Boston Consulting Group. Später wechselte er zur Bank Salomon Brothers, wo er sich auf Russland spezialisierte. 1996 gründete er mit 25 Millionen Dollar seinen eigenen Hedgefonds Hermitage Capital. Mit Investments in unterbewertete russische Aktien war Browder zeitweise der weltweit beste Hedgefondsmanager für Schwellenländer. Investoren, die von Anfang an dabei waren, bescherte er 1.500 Prozent Rendite.
Heute:
Aktivist
Browders Erfolg stieß Wladimir Putin auf. 2005 wurde er aus dem Land verbannt und des Steuerbetrugs beschuldigt. Sein Anwalt, der sich gegen die Vorwürfe wehrte, wird verhaftet und stirbt unter ungeklärten Umständen im Gefängnis. Vieles spricht für Tod durch Folter. Seither kämpft Browder für Gerechtigkeit. 2012 erreichte er ein Einreiseverbot für die Täter in den USA. Nun will er selbiges in Europa erreichen.Ausgewählte Hebelprodukte auf BP
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Bildquellen: Pascal Le Segretain/Getty Images Cinema for Peace
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