Asien-Experte: "Asiaten lieben das Internet"
Auch für 2011 erwartet Bruce Bowers, Asien-Chef des Versicherungskonzerns Allianz, starke Zuwächse beim Volumen der Versicherungsprämien. Warum diese Entwicklung anhalten wird, erklärt er im Interview.
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von Klaus Schachinger, Euro am Sonntag
Aus Taiwan, dem weltweit sechstgrößten Markt für Lebensversicherungen, ziehen sich viele westliche Versicherer zurück, weil sie die hohen Zinsen aus den Jahren um die Jahrtausendwende nicht mehr bedienen können. Die Allianz nicht. Sie profitiert vom Rückzug der Konkurrenz.
Euro am Sonntag: Herr Bowers, mit 40 Prozent Wachstum in der ersten Jahreshälfte 2010 hat das Lebensversicherungsgeschäft der Allianz in Asien stark zugelegt. Konnten Sie das Tempo halten?
Bruce Bowers: Der positive Trend hat sich fortgesetzt. Im dritten Quartal lag unsere Wachstumsrate in Asien sogar bei 45 Prozent. Das ist ein sehr gutes Ergebnis.
Und für 2011? Sind 40 Prozent Plus für das Gesamtjahr angesichts der dynamischen wirtschaftlichen Entwicklung in Asien realistisch?
Das wäre wünschenswert. Derzeit gehe ich jedoch nicht davon aus, dass wir die 40-Prozent-Plus-Marke 2011 nochmals erreichen werden. Ein solides zweistelliges Wachstum sollte allerdings möglich sein.
Welches waren die stärksten Regionen für 2010?
Besonders stark zugelegt haben wir in Taiwan, dem weltweit sechstgrößten Markt für Lebensversicherungen. Sehr gefragt sind dort Lebensversicherungspolicen, mit denen die Menschen Geld für die Ausbildung ihrer Kinder anlegen. Aus unserer Sicht ist Taiwan der Markt, aus dem sich das zukünftige Potenzial des chinesischen Markts am besten einschätzen lässt.
Derzeit ziehen sich dort viele großen Versicherer zurück, weil sie die hohen Zinsen, von zum Teil mehr als sechs Prozent aus den Jahren um die Jahrtausendwende, im aktuellen Niedrigzinsumfeld nicht mehr bedienen können. Wie stark ist die Allianz dort von niedrigen Zinsen betroffen?
Unser Portfolio aus dieser Zeit ist sehr klein. Seit 2003 verkaufen wir keine Produkte mit hohen Zinsgarantien mehr und haben unser Neugeschäft komplett auf fondgebundene Versicherungen und Risikoversicherungen umgestellt. Die Altverträge mit hohen Zinsgarantien machen heute etwa 15 Prozent unserer Gesamtverpflichtungen in Taiwan aus. Für die gesamte Branche im Lande ist diese Zahl um ein Vielfaches höher. Wir profitieren vom Rückzug der Konkurrenz.
Sehen Sie in Asien Chancen für Zukäufe?
Gegenwärtig nicht. Wir setzen den Fokus auf organisches Wachstum. Während der vergangenen fünf Jahre haben wir aus eigener Kraft in Asien ein organisches Prämienwachstum von drei Milliarden Euro erreicht. Mit dieser Entwicklung sind wir sehr zufrieden.
Versicherungsriesen aus Korea und Japan haben zuletzt über große Kapitalerhöhungen erhebliche Summen eingesammelt. Braucht die Allianz in Asien ebenfalls zusätzliches Kapital?
Das ist kein Thema für uns. Alle Landesgesellschaften der Allianz in Asien erfüllen sowohl die gesetzlich vorgeschriebenen Kapitalanforderungen in den 16 verschiedenen Ländern als auch die höheren Anforderungen in der Konzerngruppe.
Gehen Sie davon aus, dass auch die asiatischen Märkte die Kapitalanforderungen aus den Solvency II Bestimmungen für Europa bald übernehmen werden, sobald diese verabschiedet werden?
Singapur, Malaysia und Taiwan sehen sich diese Anforderungen sehr genau an, denn das ist natürlich auch für die asiatischen Märkte ein wichtiges Thema. Ich kann allerdings nicht sagen, ob und wann diese Staaten Solvency II einführen werden.
Mit 87,7 Prozent Schaden-Kosten-Quote in der Sachversicherung im dritten Quartal hat die Allianz in Asien einen guten Profitabilitätswert erreicht. Können Sie das Niveau halten, wenn große Schäden ausbleiben?
Ich denke, wir können das Niveau halten. Die Belastung durch Schäden aus Naturkatastrophen verändert die Quote im Zehn-Jahres-Durchschnitt um plus/minus zwei bis drei Prozentpunkte. Der größere Hebel für Profitabilität liegt in der Schadensabwicklung.
Wie hoch wird das Wachstum in der Sachversicherung für 2010 und das kommende Jahr sein?
Ich erwarte, dass das Wachstum jeweils zweistellig bleiben wird. Es wird im Vergleich zum Wachstum im Lebensversicherungsgeschäft aber deutlich geringer bleiben, weil wir Risiken in der Sachversicherung sehr selektiv zeichnen.
Wo erwarten Sie das stärkste Wachstum im Sachversicherungsgeschäft?
Malaysia ist ein Markt, in dem die Sachversicherung zulegen wird, da wir ein starkes Wachstum der kleinen und mittelgroßen Unternehmen sehen. In Indonesien ist der Ausbau der Infrastruktur, sowie das Wachstum in der Öl- und Gasindustrie der wesentliche Treiber. Das Wachstum im Automarkt ist weiter bescheiden, denn die aufstrebende Mittelschicht in Indonesien fährt immer noch überwiegend Zweiräder. Beim Ausbau des Versicherungsgeschäfts für Infrastrukturprojekte in Asien steht für uns allerdings Indien mit großem Abstand an der Spitze.
Und wie sieht es in China aus?
Wir haben gerade eine Erhöhung unserer langfristigen Investition in CPIC bekannt gegeben. China Pacific Insurance Company ist der drittgrößte Versicherer in China. Damit bauen wir unsere Position in diesem wichtigen Wachstumsmarkt weiter aus. Im letzten Sommer konnten wir die Lizenz für unsere Filiale in der hundert Millionen Einwohner Stadt Guangzhou in eine Lizenz für eine Niederlassung konvertieren. Damit können wir über ein Netz mit eigenen Vertretern das Geschäft in der gesamten Provinz ausbauen.
Was treibt das Lebensversicherungsgeschäft in den asiatischen Schwellenländern und wofür schließen die Menschen dort Lebensversicherungen ab?
Treiber sind ein stetig steigender Wohlstand aber auch die demographische Entwicklung. Lassen Sie mich ein Beispiel geben: In Indien sind nur acht Prozent der Bevölkerung älter als 52 Jahre. Die schnell wachsende Mittelschicht finanziert damit den Kauf von Häusern, Autos oder die Ausbildung der Kinder an Schulen und Universitäten.
Wie hoch ist eine durchschnittliche monatliche Versicherungsprämie in den asiatischen Schwellenländern?
Im Durchschnitt liegt diese etwa bei 100 US-Dollar. Würden Sie das bei einer Bank anlegen, bekämen Sie dafür nicht mehr als die Zinsen eines Sparkontos. Als Versicherungspolice bekommen sie für den Betrag jedoch den Versicherungsschutz und über ein globales Investmentportfolio eine im Vergleich zur den Bankzinsen regelmäßige solide Rendite. Für diese Größenordnung bei den Prämien sind Lebensversicherungen in Asien gegenüber Bankguthaben klar im Vorteil.
Wie beeinflusst das Internet die Versicherungsbranche in Asien?
In Asien ist der Einfluss des Internets sehr hoch. Thailand stellt mit 5,5 Millionen Facebook-Nutzern bereits ein Prozent der weltweiten Facebook-Gemeinde. Die Frage ist deshalb, wo kaufen die künftigen Generationen ihre Versicherungspolicen? Heute werden 6,5 Prozent unserer Policen in Asien über das Internet abgeschlossen. Die Menschen recherchieren im Web. Dann rufen sie im Call Center an, wo sie über den persönlichen Kontakt, der in Asien besonders wichtig ist, die Versicherung mit ihrer Kreditkarte bezahlen. Persönliche Empfehlungen von Versicherungspolicen durch Facebook-Mitglieder haben schon heute einen starken Einfluss auf den Absatz des jeweiligen Produkts.
Also ein deutlicher Unterschied zu Europa?
Definitiv. Asiaten lieben das Internet und kaufen dort gerne ein. So auch Versicherungen, wenn sie den Vertrag über den persönlichen Kontakt im Call Center abschließen können.
Wie hat sich die Digitalisierung auf den Verkauf von Versicherungen über den klassische Allianz-Vertreter ausgewirkt?
Vor zehn Jahren wurden fast neunzig Prozent der Allianz-Policen in Asien über das Vertreternetz verkauft. Heute sind es noch 55 Prozent. Der Rest wird über das Internet, über Call Center, Direkt-Marketing und via Banken verkauft. Das starke Wachstum des alternativen Vertriebs in Asien ist beeindruckend. Diesen Trend haben wir frühzeitig erkannt und uns in diesen Vertriebskanälen entsprechend aufgestellt.
Wird die Allianz in Asien also künftig weniger in den Ausbau ihres Vertreternetzes investieren?
Nein. In Ländern wie China und Malaysia ist ein starkes Vertreternetz, auch aus kultureller Sicht, für uns sehr wichtig. Zudem hat sich während der Wirtschaftskrise gezeigt, dass viele Kunden wieder die klassische Geschäftsbeziehung bevorzugen und einen soliden und sicheren Partner suchen, dem sie vertrauen.
Zur Person:
Bruce Bowers ist bis Ende des Monats Vorstandsvorsitzender (CEO) der Allianz Asia Pacific Gruppe. Die Position hat der Australier seit August 2004 inne. Bowers hat mehr als 30 Jahre Erfahrung sowohl im Sach- als auch im Lebensversicherungsgeschäft, und hat in den vergangenen zehn Jahren in verschiedenen Tochterunternehmen der Allianz CEO Positionen wahrgenommen. Zum ersten Februar wird Bowers Nachfolger von Allianz-Manager Manuel Bauer und wird die Verantwortung für die Wachstumsregion Mittel- und Osteuropa, Mittlerer Osten und Nordafrika (CEEMA) übernehmen. Bauer rückt in den Vorstand der Allianz SE auf. Dort wird er für das Geschäft in den Schwellenländern, allen voran in Osteuropa und Asien zuständig sein.
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