EURO-INTERVIEW

Hochtief-Chef Lütkestratkötter: Wir wollen nicht arrogant sein

26.02.10 06:00 Uhr

Deutschlands größter Baukonzern Hochtief macht nur noch 15 Prozent seines Umsatzes in der Heimat. Vorstandschef Herbert Lütkestratkötter über Sitten auf deutschen Baustellen und die Lust an Geschäften im Ausland.

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€uro: Herr Lütkestratkötter, kürzlich hat die Mediengruppe RTL ihr neues Domizil in den alten Kölner Messehallen übernommen – mit mehr als zwei Jahren Verzögerung und jeder Menge Verärgerung über die Baufirma Hochtief. War dieses Projekt symbolisch dafür, wie schwierig das hiesige Baugeschäft auch für Ihr Unternehmen ist?
Herbert Lütkestratkötter: Ja und nein. Letzteres, weil dieses Projekt nicht repräsentativ für unsere hiesigen Baustellen ist. In Köln mussten wir moderne Einrichtungen in teils historische und denkmalgeschützte Bausubstanz integrieren, was extrem anspruchsvoll war. Dabei gab es tatsächlich Verzögerungen, die aber bei Weitem nicht so lang waren, wie sie von einigen dargestellt wurden.

Jetzt müssen Sie noch das Ja erklären.
In Deutschland ist eben häufig die Baufirma der Buhmann, wenn auf einer Baustelle etwas nicht sofort klappt wie geplant. Frei nach dem Motto: Die Firma bekommt ja Geld fürs Bauen, da kann sie sich auch gleich noch dafür beschimpfen lassen. Hierzulande tut man sich schwer, gute Bauleistungen gebührend anzuerkennen. In der öffentlichen Wahrnehmung scheint das Baugeschäft als völlig beliebig zu gelten.

Woran liegt das?
Vermutlich auch daran, dass sich in Deutschland mehr als 75000 meist kleinere Baufirmen einen fast ruinösen Wettbewerb liefern, indem sie beinahe um jeden Preis Aufträge annehmen. Aber wir machen da nicht mit.

Was macht Hochtief stattdessen?
Im Wesentlichen haben wir uns zwei Regeln gesetzt: Hochtief muss Margen verdienen können, die für unsere Leistungen und Risiken angemessen sind. Zudem müssen die Risiken zwischen allen am Projekt Beteiligten fair aufgeteilt werden.

Können Sie uns ein Beispiel geben?
Nehmen wir nur das Materialpreisrisiko: 2007 boomte die Baukonjunktur in vielen Ländern, so dass beispielsweise die Aluminium-, Baustahl- und die Glaspreise explodierten. In Deutschland hatten Baufirmen oft bei Vertragsabschluss viel zu niedrige Baustoffpreise als Festpreise kalkuliert. Pech gehabt. Die Baufirmen waren somit die Versicherung gegen Materialpreisanstiege, ohne dass dafür eine Versicherungsprämie gezahlt wurde. Das geht doch nicht.

Und was geht?
Seit Längerem enthalten unsere Verträge Eskalationsklauseln, die Vertragsanpassungen erlauben. Oder der Auftraggeber kauft bestimmte Materialien selbst – um nur zwei Möglichkeiten einer partnerschaftlichen Vertragsgestaltung zu nennen.

Machen da alle potenziellen Kunden mit? Die meisten Bauherren stehen genau so unter Kostendruck wie Sie.
Wir wenden viel Zeit und Mühe auf, um unsere neuen Vertragsmodelle im Markt zu erklären. Denn Hochtief will auf keinen Fall arrogant wirken. Wir spüren viel Verständnis.

Aber doch nicht bei allen potenziellen Auftraggebern. Ihr Umsatz im deutschen Hochbau hat sich von 2007 bis 2009 auf rund 700 Millionen Euro halbiert.
Wenn wir unsere Vertragsmodelle nicht durchsetzen können, geben wir keine Angebote für die jeweiligen Projekte mehr ab. Und weil wir das diszipliniert durchziehen, ist unser deutsches Hochbaugeschäft trotz der Wirtschaftskrise 2009 wieder profitabel geworden.

Wie profitabel?
Wir hatten uns ein Prozent Vorsteuergewinn zum Ziel gesetzt. Mittelfristig sollen es drei Prozent werden.

Dennoch: Das deutsche Baugeschäft trägt nur mehr vier Prozent zum Konzernumsatz bei. Warum lassen Sie die Finger nicht komplett von dieser Quälerei?
Das kommt nicht in Frage. Hochtief braucht seine Hochbaukompetenz. Durch dieses Geschäft sind wir beispielsweise ein begehrter Arbeitgeber für gut ausgebildete Bauingenieure, die wiederum auch wichtig für unser Dienstleistungsgeschäft sind. Wenn wir als Betreiber von Flughäfen, Schulen oder Kasernen auftreten, reden wir über Vertragslaufzeiten von bis zu 30 Jahren. Da ist die Bausubstanz der bewirtschafteten Einrichtungen ein wesentliches Risiko. Zu dessen Bewertung brauchen wir eigene Hochbauspezialisten. Außerdem ist unser Geschäftsmodell nicht entweder der Bau oder die baunahe Dienstleistung, sondern die Vernetzung dieser beiden Bereiche.

Auf der folgenden Seite lesen Sie, was Lütkestratkötter vom Bau-Mindestlohn in Deutschland hält, warum er nicht dem Konkurrenten Bilfinger Berger nacheifert und was die geplatzte Immobilienblase in Dubai für Hochtief bedeutet.

Schlagen Sie Ihre neuen Vertragsmodelle auch bei Ausschreibungen im Ausland vor?
Ja, sie gelten weltweit. Die separate Kalkulation diverser Risiken ist allerdings insbesondere in den USA, Kanada, Großbritannien und Australien normal. Dort werden Bauleistungen auch viel mehr wertgeschätzt als hierzulande.

Aber machen sich die deutschen Baufirmen nicht selbst kaputt, indem sie auf ihrem Heimatmarkt einen Preiskrieg führen?
Ihr Ehrgeiz, sich gegenseitig zu unterbieten, spielt sicher eine wichtige Rolle. Die westdeutsche Baubranche befindet sich seit 20 Jahren fast ununterbrochen in einer Rezession. Zigtausende mittelständische Baufirmen, die nicht wie Hochtief in attraktivere Länder und Geschäftsfelder ausweichen können, schnallen seit einer halben Ewigkeit den Gürtel enger. Die Beschäftigtenzahl der Branche hat sich seit Mitte der 90er Jahre halbiert. In einem solchen Überlebenskampf steigt auch die Neigung zur Selbstausbeutung.

Ist der Bau-Mindestlohn in Deutschland angesichts dessen kontraproduktiv?
Ich halte ihn für richtig. Unser Land tut gut daran, dafür zu sorgen, dass ehrliche Arbeiter von ihrem Lohn leben können.

Ihr Konkurrent Bilfinger Berger will seinen weltweiten Bauumsatz halbieren und dafür – wie Hochtief – im rentableren Dienstleistungsbereich expandieren. Ist eine Halbierung des weltweiten Bauvolumens auch für Ihr Unternehmen eine Option?
Nein, auf keinen Fall. Hochtief ist in attraktiven Märkten wie den USA, Australien, der Golfregion und anderen asiatischen Ländern sehr gut positioniert. Die sind für uns verlässliche Gewinnbringer. Dort expandieren wir eher im Baugeschäft, als dass wir es aufgeben. Zum Beispiel haben wir 2007 die US-Firma Flatiron gekauft. Nun profitiert dieser Straßen- und Brückenbauspezialist von den Konjunkturspritzen der US-Regierung. Da haben wir alles richtig gemacht.

Ihr Baugeschäft in Amerika – diese Region ist für Hochtief am Umsatz gemessen nach Asien/Pazifik der zweitgrößte Zielmarkt – ist 2009 deutlich geschrumpft. Wie wird es 2010 dort laufen?
Wir sind optimistisch, da das Gros der US-Staatsgelder zur Konjunkturbelebung in den Bau von Verkehrswegen und öffentlichen Gebäuden fließt. Das ist die Domäne unserer anderen US-Tochter. Der Construction-Manager Turner ist übrigens die Nummer 1 im US-Hochbau. In den USA tut sich also etwas! Die deutschen Konjunkturprogramme hingegen sind bislang überwiegend Handwerkern und kleinen Unternehmen zu Gute gekommen.

Welche Margen erreichen Sie im Baugeschäft außerhalb Deutschlands?
Je nach Geschäftsmodell und Risikoprofil der Aufträge in den USA 1,5 bis über vier Prozent. In Australien, insbesondere bei Infrastrukturprojekten, sind mehr als fünf Prozent möglich. Auch in der Golfregion ist ein Mehrfaches der Margen in Deutschland realistisch, obwohl die Konjunkturkrise auch Dubai und seine Nachbaremirate erwischt hat.

Dort waren Sie gerade. Wo genau?
Unter anderem in Katar. Unsere Hochbausparte Hochtief Construction hat dort vor einiger Zeit den größten Auftrag ihrer Geschichte bekommen: den Bau einer mehr als acht Kilometer langen Einkaufs-, Büro- und Wohnstraße nahe der Hauptstadt Doha mit einem Umsatzvolumen von 1,3 Milliarden Euro. Da dieses Mega-Projekt sehr wichtig für uns ist, schaue ich mir den Baufortschritt von Zeit zu Zeit vor Ort an. Und ich kann sagen: Es läuft gut.

Bleibt der Nahe Osten für Hochtief eine Wachstumsregion, obwohl Dubai unter einer Immobilienkrise leidet?
Ich habe auch unsere Baustellen in Dubai besucht. Dort haben wir ebenfalls keine Probleme. Die Immobilienblase in Dubai ist zwar geplatzt und das Bauvolumen zurückgegangen. Allerdings auf ein Niveau, das in Deutschland als Hochkonjunktur bejubelt würde. Für uns bleibt die Region, inklusive Abu Dhabi und Katar, attraktiv. Auch wenn wir vorerst keine neuen Rekorde melden können, sind wir dort gut im Geschäft und werden uns definitiv nicht zurückziehen.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, warum die krisengeschüttelten USA für Hochtief ein Wachstumsmarkt ist – und Asien sowieso.

Schon seit Jahren weitet Hochtief sein Dienstleistungsgeschäft, das zweite Geschäftsfeld, aus. Welche Margen verdienen Sie hier?
Der Bereich gehört wie das Baugeschäft zu unserem Lebenszyklusansatz. Das heißt, wir wollen unsere Kunden ab ihrem ersten Gedanken an ein Projekt beraten, sind Projektentwickler, Baufirma, Projektbetreiber, manchmal sogar Mitgesellschafter. Im Dienstleistungsbereich wollen wir mindestens vier Prozent Vorsteuergewinn erwirtschaften.

Wie ist das Verhältnis von Bau- und Dienstleistungsumsätzen bei Hochtief?
Das trennen wir nicht in der Bilanz, weil Dienstleistungen oft kaum von Bautätigkeiten unterscheidbar sind.

Ein Beispiel?
Lütkestratkötter:
Unsere US-Tochter Turner managt den Bau von Gebäuden, baut sie aber nicht selbst. Dies ist eine Dienstleistung. Oder Leighton, unsere australische Tochter: Als weltweit größter Minenbetreiber fördert sie jährlich mehr als 100 Millionen Tonnen Kohle und noch mehr Erz. Es ist Unsinn zu sagen, Dienstleistungen sind das einzig Wahre, der Bau ist out. Wir vernetzen die beiden Bereiche mit nachhaltigem Erfolg.

Ihr Konzernergebnis hängt stark von Leighton ab. 2009 gab die Firma eine Gewinnwarnung ab. Sind weitere negative Überraschungen zu erwarten?
Die Gewinnwarnung war durch bilanzielle Wertberichtungen börsennotierter australischer Infrastrukturprojekte bedingt, deren Aktienkurse wegen der Finanzkrise eingebrochen waren. Operativ gab es keine Probleme.

In Asien/Pazifik erwirtschaften Sie zurzeit rund 45 Prozent des Konzernumsatzes und drei Viertel des Vorsteuergewinns. Der Auftragsbestand kommt zu 60 Prozent von dort. Wann werden Sie die Rekordergebnisse dieser Region aus dem Jahr 2008 übertreffen?
Wie gesagt: Die Region entwickelt sich stabil für uns. Einige Länder planen einen gewaltigen Ausbau ihrer Infrastrukturen, um sich als Wirtschaftsstandort zu stärken. Davon werden wir profitieren. Das belegen auch die guten Halbjahreszahlen, die Leighton gerade vorgelegt hat. Außerdem wurde der Ausblick für das Geschäftsjahr sogar leicht angehoben.

Als Dienstleister bewirtschaftet Hochtief auch staatliche Einrichtungen wie Maut-Straßen, Schulen und Rathäuser, aber auch Flughäfen. Kommt da noch mehr?
Wir erwarten beispielsweise, dass sich der deutsche Krankenhausmarkt für staatlich-private Gemeinschaftsunternehmen, Public-Private-Partnerships, öffnen wird. Daran wären wir interessiert. Wir können die Kliniken verlässlich betreiben, so dass die Mediziner den Rücken frei hätten für die Gesundheitsversorgung.

Auf der letzten Seite lesen Sie, wie Hochtief an eine Milliarde Euro Cash kommen könnte und was sich das Management ausgedacht hat, um vom Trend zu mehr Klimaschutz zu profitieren.

Sie bündeln solche Betreibermodelle in der Sparte Concessions, deren Börsengang im vergangenen Dezember platzte, weil Investoren wegen der Dubai-Krise kalte Füße bekamen. Werden Sie es 2010 nochmals versuchen?
Never say never. Die Idee bleibt gut. Hochtief Concessions investiert kräftig und würde einen eigenen Zugang zum Kapitalmarkt bekommen. Zudem würde der Wert des komplexen Betreibergeschäfts durch eine Börsennotiz transparenter. Man könnte ihn einfach vom Kurszettel ablesen.

Sie wollten durch die Börsennotierung von 49 Prozent dieser Sparte eine Milliarde Euro erlösen. Fehlt das Geld jetzt?
Durch die Absage des Börsengangs ist kein einziges Geschäft verloren gegangen. Wir haben immer gesagt, dass wir keinen finanziellen Druck haben und den IPO nur durchziehen, wenn die Investoren unsere Preisvorstellungen akzeptieren. Viele Analysten in New York, London und Frankfurt haben unsere konsequente Haltung gelobt.

Hochtief will auch vom Klimaschutz profitieren. Wo sehen Sie da Ihre Chancen?
Im energieeffizienten Bau. Aber auch in der Wartung und im Betrieb von Windkraftanlagen sowie im Schiffbau ...

Wie bitte?
... im Bau von Schiffen, die wiederum für den Windkraftanlagenbau auf See gebraucht werden. Wir haben schon eine Plattform in der Nordsee vor Borkum in Betrieb, die sich von anderen unterscheidet: Sie schwimmt nicht nur, sondern kann auch im Wasser stehen. Sie wird zu ihrem Standort gezogen, fährt dann ihre Beine bis zu 35 Meter aus, hebt sich so aus dem Wasser und kann auch bei Wellengang operieren. Plattformen ohne festen Stand können das nicht, weil deren Kräne bei Wellengang zu stark schwanken. Nun versuchen wir, die Plattformtechnik zu Schiffen weiterzuentwickeln, die wie Frachter mit Windrädern, Generatoren und anderem beladen werden und selbst zu ihren Einsatzorten fahren können.

Haben Sie schon Kunden dafür?
Wir vermarkten unsere Pläne derzeit mit unserem Partner Beluga und gehen davon aus, dass sie umsetzbar sind. Am liebsten würden wir die Schiffe in deutschen Werften bauen lassen. Durch die Nähe zu ihnen könnten wir den Bauprozess mit relativ wenig Aufwand kontrollieren. Im Laufe dieses Jahres werden wir mehr erfahren.

Analysten meinen, dass der Hochtief- Umsatz dieses Jahr auf unter 18 Milliarden Euro sinken, der Nettogewinn aber bei 180 Millionen stagnieren wird. Ist das realistisch?
Wir hatten im September 2009 den größten Auftragsbestand der Unternehmensgeschichte: rund 35 Milliarden Euro. Das zeigt, dass uns weder die Aufträge noch die Ideen ausgehen. Mehr zu 2010 sagen wir bei unserer Bilanzpressekonferenz zum abgelaufenen Geschäftsjahr am 25. März.

Herr Lütkestratkötter, vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte €uro-Redakteur Mario Müller-Dofel

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