Hans Neuendorf: Der ewige Kunstrebell

Er war einer der Goldgräber der New Economy und mit seiner Internetbörse Artnet der einflussreichste Player im deutschen Kunsthandel. Doch anders als andere machte er sich nicht aus dem Staub.
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von Peter Balsiger, €uro am Sonntag
Sein erstes Geschäft machte Hans Neuendorf mit neun Jahren: Er tauschte die weggeworfenen Filzstiefel deutscher Kriegsheimkehrer bei einem Bauern gegen eine Weihnachtsgans. Zur Kunst kam er dank eines Koffers, den ein Untermieter in der Wohnung seines Vaters zurückgelassen hatte. "Schau mal nach, ob da nicht was Ordentliches drin ist", sagte der Vater. In dem Koffer fand Neuendorf ein Aquarell mit Segelbooten. Es stammte vom deutsch-amerikanischen Maler Lyonel Feininger, einem der bekanntesten Künstler der klassischen Moderne, dessen Werke im Nationalsozialismus als entartete Kunst galten. Das Bild brachte Neuendorf 3000 Mark ein - und markierte den Beginn seiner Karriere als Kunsthändler.
Sein Studium der Philosophie und Kunstgeschichte in München finanzierte Neuendorf mit dem Kunsthandel. So lieh er sich von seinem Vater 300 Mark und fuhr in den Semesterferien per Autostopp nach Paris, wo er sich Grafiken von Matisse und Picasso besorgte und sie zu Hause an Rechtsanwälte und Zahnärzte zum doppelten Preis verkaufte.
1964 gründete er in Hamburg seine erste Galerie. Konkurrenz gab es damals in Deutschland kaum, es existierten gerade mal ein Dutzend Galerien. Neuendorf gehörte zu denen, welche die Pop-Art nach Deutschland brachten. Anfänglich ohne großen Erfolg. Die Rauschenbergs, Lichtensteins, Warhols und Jasper Johns, die er in einem geliehenen Lastwagen in Paris holte, fanden keinen Käufer.
1969 konnte er dann zum ersten Mal richtig Geld verdienen. In Italien besorgte er elf Bilder des amerikanischen Avantgardisten Cy Twombly. Die Preise: zwischen 2000 und 2500 Dollar. Auf dem Kunstmarkt in Köln erlöste er 20.000 Mark pro Bild.
Das große Geld ruft
Mitte der 80er-Jahre zog er samt seiner Galerie um. "Frankfurt schwamm im Geld", so Neuendorf. Er wollte im Zentrum des bundesdeutschen Kapitalismus, im Reich der Banken und des größten Flughafens, ein "ganz großes Rad drehen", schrieb "Der Spiegel". Von Geld sei Neuendorf immer mehr fasziniert gewesen als von Kunst, erzählt sein ehemaliger Geschäftspartner Rudolf Zwirner: "Er hatte diesen Tick mit dem großen Geld." Neuendorf mietete eine Villa für 9200 Mark im Monat, seine Frau flog regelmäßig zum Friseur nach Paris, er kaufte ein 13 Hektar großes Gelände auf Mallorca und ließ darauf von einem englischen Stararchitekten eine gewaltige, burgähnliche Villa mit 600 Quadratmeter Wohnfläche bauen.
Aber das große Geld floss in Frankfurt nicht, Neuendorf konnte bald die Kredite nicht mehr bedienen, musste seine Bilder unter Wert verkaufen. Als Ende der 80er-Jahre der Siegeszug des Internets begann, schloss er seine Galerie und gründete Artnet, eine Webplattform für den internationalen Kunstmarkt. Aus dem Kunstinvestor wurde jetzt ein Geschäftsinhaber. Neuendorf war überzeugt, dass der Verkauf von Kunst über Artnet schneller, transparenter und vor allem kostengünstiger sei als in einem Auktionshaus.
Mit Artnet, das seinen Sitz in New York hatte, baute er nun ein Galeriennetzwerk auf, sammelte und verkaufte Daten über Preise, Preisentwicklungen und Galerieangebote und ermöglichte sogar Onlineauktionen.
"Die Idee war einfach: Wir wollten Werke schnell und kostengünstig verkaufen. Kunst krankt ja daran, dass man sie meist nicht kurzfristig zu Geld machen kann, die Transaktionskosten sind extrem hoch", erklärte er dem Magazin "Impulse". "Die Schwierigkeit des Wiederverkaufs ist eine starke Behinderung des Kunsthandels. Das wollten wir ändern." Bis dahin hatte der Kunstmarkt von einer Aura der Exklusivität profitiert. "Er lebt von den Hinterzimmern, dem Unter-sich-Sein, der wohlplatzierten, gezielten Indiskretion. Transparenz oder die offene Indiskretion, wie Neuendorf sie betreibt, ist der Kunstwelt ein Graus. Sie gilt als billig, plebejisch, niveaulos", stellte "Der Spiegel" fest.
Neuendorf investierte Millionen in Artnet, er besaß 85 Prozent der Aktien und übernahm 1995 den Posten des CEO. Am 17. Mai 1999 wurde Artnet am Neuen Markt gelistet. Der Ausgabepreis betrug 46 Mark pro Aktie - "mehr als wir uns erträumt hatten", sagte Neuendorf. Er hielt 1,6 Millionen Aktien, verkaufte davon neun Prozent und erhielt so 6,6 Millionen Mark. Davon bezahlte er erst mal die Schulden aus seinem aufwendigen Lifestyle.
Artnet war durch den Börsengang um 26 Millionen Mark reicher geworden. Fast die Hälfte ging für die Online-Auktionen drauf, allein eine Million für aufwendige Marketingkampagnen. Artnet zog in neue Räume, stellte neue Mitarbeiter ein. Denn jetzt ging es darum, mit den großen Auktionshäusern wie Sotheby’s oder Christie’s konkurrieren zu können. Neuendorf: "Die Welt spielte damals verrückt: Es ging nur darum, Umsätze zu steigern, Gewinne spielten keine Rolle."
Der Kurs der Aktie schoss 1999 bis auf 67 Mark hoch. Aber bereits 2000, als in der Presse sogenannte Todeslisten der Dotcoms veröffentlicht wurden (Artnet nahm darauf den fünften Platz ein), verlor sie dramatisch an Wert, bis sie 2003 nur noch mit 25 Cent notierte.
Aber das Ende des Neuen Markts bedeutete nicht das Ende von Artnet. Jedoch: "Es dauerte Jahre, bis ich mich davon erholen konnte." Es kam der 11. September, später die Finanzkrise. Beide Ereignisse rissen den Kunstmarkt immer wieder mit in die Tiefe. Die Preise fielen, erst 2010 änderte sich die Richtung, und es scheint wieder keine Grenzen zu geben auf dem Weg nach oben.
"Kunst ist ein Statussymbol, ein Indiz für Macht und Ego, eine Aktie, die man sich an die Wand hängt", schreibt "Der Spiegel" und stellt einen "Ansturm des neuen Geldes auf die Kunst" fest - getrieben von vermögenden Russen und Chinesen.
Aber Neuendorfs Firma kam nur langsam voran. Während die Erfinder von Amazon oder Ebay längst zu den reichsten Menschen der Welt gehörten, musste Neuendorf sein Unternehmen immer wieder mit dem Verkauf von Kunstschätzen finanzieren, die er als Galerist in den 60er- und 70er-Jahren gesammelt hatte.
Heute bietet das Unternehmen Preisdatenbanken an, mit rund sieben Millionen Auktionsergebnissen von über 700 internationalen Auktionshäusern. Über die Datenbanken lassen sich online Marktpreise und langfristige Preisentwicklungen von Kunstwerken abrufen. Das zweite Kernprodukt ist das Galeriennetzwerk, zu dem rund 2000 internationale Adressen mit ihren Künstlern gehören. Sie zahlen für ihre Präsenz einen monatlichen Beitrag. Diese Dienstleistungen werden ergänzt durch die Online-Auktionsplattform, auf der Kunst ersteigert oder gekauft werden kann.
2012 ist Hans Neuendorf als Vorstandsvorsitzender zurückgetreten und hat Platz gemacht für seinen ältesten Sohn Jacob Pabst. Er ist nach wie vor felsenfest davon überzeugt, dass der gesamte Kunsthandel in Zukunft über das Internet abgewickelt werde. "Es ist nur eine Frage der Zeit."
Kurzvita
Leben für die Kunst
Hans Neuendorf wurde 1937 in Hamburg geboren. Nach dem Studium der Philosophie und Kunstgeschichte in München eröffnete er 1964 seine erste Galerie in der Hansestadt. 1967 war er einer der Mitgründer der Kunstmesse Art Cologne. Nach der Gründung der Onlineplattform Artnet war Neuendorf zunächst Aufsichtsrat und ab 1992 auch Hauptaktionär. Von 1995 bis 2012 war er Vorstandsvorsitzender der Aktiengesellschaft.
Kunst im Netz
Artnet gehört zu den ältesten Internetunternehmen in Deutschland. Die Aktie (ISIN: DE000A1K0375) des Dienstleisters für Recherche und Handel von Kunst im Internet legte in den jüngsten zwölf Monaten um über 65 Prozent zu, in den vergangenen fünf Jahren um rund 50 Prozent. Der Umsatz des Unternehmens unter Vorstandschef Jacob Pabst (l.) kletterte in den ersten neun Monaten 2017 um neun Prozent auf 15,3 Millionen US-Dollar, der Gewinn zog um 55 Prozent auf 72.000 US-Dollar an.
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Bildquellen: Sophieneuendorf CC BY-SA 4.0, iStockphoto
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