Euronext-Chef Attia: "Wir sind auf den Aktienmarkt fokussiert"
Der Vorstandschef der Börse Euronext in Paris, Anthony Attia, will eine Nasdaq Europas erschaffen. Warum Attia gerade in Deutschland spannende Technologie-Unternehmen sucht.
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von Birgit Haas, Euro am Sonntag
An der Wirtschaftselitehochschule HEC südlich von Paris schwirren Hunderte Menschen zwischen Frühstücksbuffet und Rezeption hin und her. Koffer verstauen, Namensschildchen abholen, Bekannte begrüßen, dazwischen ein Croissant nebst einem Petit Café - und das alles, bevor im großen Vorlesungssaal der erste Vortrag zum Thema Börsengang beginnt.
Die Euronext hat den Nachwuchs eingeladen: Vertreter von 135 Start-ups aus acht Ländern sind angereist, um am neunmonatigen Coaching- Programm Tech-Share teilzunehmen. Allein 23 deutsche Firmen sind anwesend. Denn im Nachbarland wirbt die französische Euronext dem Platzhirsch Deutsche Börse seit einem Jahr potenzielle Börsenkandidaten ab.
Das Ziel: Die Euronext will sich zur europäischen Nasdaq mausern - und sich, wie der US-Konkurrent, auf Technologiefirmen spezialisieren. Schon heute sieht Anthony Attia, Vorstandschef der Euronext in Paris und konzernübergreifend für Aktiennotierungen zuständig, sein Haus in Europa federführend. Allerdings blieb eine Reihe der jüngsten Börsengänge hinter den Erwartungen von Anlegern zurück.
Nach der Begrüßung der Euronext-Schützlinge im Audimax erklärt Attia gegenüber €uro am Sonntag die Gründe dafür - und seinen Masterplan zur Entwicklung einer europäischen Technologiebörse.
€uro am Sonntag: Sie machen der Deutschen Börse Konkurrenz: Die Mehrländerbörse Euronext lockt an die Börse strebende deutsche Unternehmen an. Wieso sollten die Firmen zu Ihnen kommen?
Anthony Attia: Wir sprechen vor allem wachstumsstarke Technologie- und Biotechunternehmen an. Die brauchen beim Börsengang ein spezielles Umfeld und internationale, spezialisierte Investoren. Euronext ist nicht nur eine französische, belgische, niederländische, irische oder portugiesische Börse. Sie ist eine paneuropäische Plattform und bietet im Wettbewerb mit amerikanischen Börsen die richtige Größe. Wir glauben, dass die europäische Positionierung für diese Unternehmen ein Schlüsselfaktor ist. Die Zerstückelung der Aktienmärkte in Europa ist nicht gut für Technologieunternehmen. Das Interesse am aktuellen Tech-Share- Programm ist daher entsprechend groß und deutsche Unternehmen sind stark vertreten.
Ist Tech-Share nicht vergleichbar mit dem Joint-Venture-Network der Deutschen Börse für Start-ups?
Das Angebot der Deutschen Börse will vor allem Start-ups mit Risikokapitalgebern und Private-Equity- Investoren zusammenbringen. Das ist nicht unser Ansatz. Tech-Share ist ein kostenfreies Ausbildungs- und Beratungsprogramm. Wir wollen junge Unternehmer zur Entscheidung befähigen, den Schritt aufs Parkett zu wagen - oder eben nicht. Unser Ziel ist nicht, sie unbedingt an die Börse zu lotsen. Wenn sie sich reif fühlen, können sie sich auch im deutschen Wachstumssegment Scale listen lassen. Allerdings treffen sie bei uns auf spezialisierte internationale Anleger und müssen keine starren Voraussetzungen hinsichtlich Umsatz oder Profitabilität erfüllen. Entscheidend sind Geschäftsmodell und Wachstumspotenzial.
Zu günstigeren Gebühren?
Wir konkurrieren nicht mit Börsengebühren, das macht keinen Sinn. Diese spielen bei der Entscheidung für einen Börsengang und dessen Gesamtkosten auch eher eine untergeordnete Rolle.
Vergangenes Jahr haben Sie, zwei Jahre nach Start des Programms, nicht nur in Deutschland Büros eröffnet, sondern auch in der Schweiz, Italien und Spanien - ohne eine Börsenlizenz zu haben. Was steckt hinter der Strategie?
Nicht alle Börsen sind gleich. Manche Börsen, vor allem in den USA, legen Wert auf viele Listings mit einer möglichst großen Marktkapitalisierung. Andere machen vor allem Geschäft mit Derivaten, Wertpapierservice oder dem Clearing. Wie der US-Handelsplatz Nasdaq sind wir aber auf den Aktienmarkt fokussiert. Darin sind wir gut. Dazu gehört, dass wir junge Unternehmen mit Potenzial beobachten und fördern. Mit Tech-Share haben wir dafür eine einmalige Plattform geschaffen. An ihren Heimatbörsen und bei den Banken erhalten Techunternehmen oft nicht die richtige Aufmerksamkeit, deshalb bieten wir ihnen ein internationales Netzwerk von Investmentbanken, Wirtschaftsprüfern und anderen Kapitalmarktpartnern. Manche Börsen sind auch per se keine Technologie-Enthusiasten, ihnen ist das Risiko vergleichsweise zu hoch. Deshalb bleibt der Technologiesektor in Europa im Vergleich mit den USA und Asien untergewichtet. Schauen Sie sich die Börsengänge der Euronext in den vergangenen Jahren an, stehen wir aber gut da: In den ersten neun Monaten 2018 gab es an der Euronext insgesamt 23 Börsengänge, davon allein 18 aus dem Technologiesektor.
Und Sie wollen es schaffen, dass Europa hier im Vergleich zu den USA aufholt?
Europa hinkt hinterher, aber wir haben durchaus eine nennenswerte Anzahl von gelisteten Techwerten. Von über 740 an der Euronext notierten kleinen und mittelgroßen Unternehmen sind rund 350 dem Bereich zuzuordnen. Wenn Sie an die Nasdaq in den USA oder in nordische Länder schauen, haben die einen ähnlich hohen Anteil. Es ist eine Frage der Größe und des Wachstums. In den USA sind die Skalierungen viel größer. Bei uns geht es langsamer voran. Aber es gibt ermutigende Signale: Die vielen erfolgreichen Privatplatzierungen von europäischen Techunternehmen in der letzten Zeit lassen hoffen, dass es auch hier wieder mehr sogenannte Einhörner, also Unternehmen mit einer Bewertung von über einer Milliarde Euro vor dem Börsengang, geben könnte. Man denke an das kaum zehn Jahre alte Fintech Adyen, das schon vor dem Börsengang diese magische Marke überschritten hatte.
Vergangenes Jahr haben Sie eine Menge Börsengänge deutscher Unternehmen an der Euronext für dieses Jahr angekündigt. Allerdings war der des Halbleiterkonzerns X-Fab vorletzten April der letzte aus Deutschland. Wann geht es weiter?
Unsere Pipeline ist nach wie vor gefüllt. Aber es braucht wohl noch Zeit, wir drängen niemanden. Wenn sich die Unternehmen erst in drei Jahren für einen Börsengang entscheiden, werden wir auch dann für sie da sein. Aber es stimmt, dass man am deutschen Markt einen langen Atem braucht. Wir haben zuletzt drei Börsengänge von Unternehmen aus Italien und Spanien an der Euronext gesehen.
Wie erklären Sie das?
Die Deutschen sind einfach vorsichtiger, obwohl der Aktienmarkt hier in den letzten anderthalb Jahren ein Comeback vollzogen hat. Unternehmen, Banken und Investoren für einen Börsengang zu begeistern, braucht eine Menge Zeit. Ein anderer Grund ist, dass sich insgesamt die Umstände verändert haben.
Inwiefern?
Wie viele Börsen sind wir in diesem Jahr mit einer der besten Pipelines gestartet, die wir je hatten. Aber wegen des Handelskonflikts zwischen den USA und China und des anstehenden Austritts der Briten aus der EU waren die Investoren seit Jahresanfang sehr wählerisch. Sie haben zwar immer noch jede Menge Geld zur Verfügung, aber der Druck auf die Bewertungen ist gestiegen. Die Pipeline hat sich zwar nicht verändert, aber ich erwarte keine Trendwende bis zum Jahresende. Es wird ein ordentliches, aber nicht das beste Jahr.
Also werden wir 2018 keinen mit dem des niederländischen Bezahldienstleisters Adyen vergleichbaren Börsengang mehr sehen? Adyen konnte zwölf Milliarden Euro einsammeln.
Das kann ich natürlich nicht kommentieren. Es ist Sache der Unternehmen, wann sie ihre Börsenpläne kommunizieren.
Wie sorgen Sie bei nachlassendem Investoreninteresse in unruhigen Zeiten gerade bei kleinen Werten für ausreichend Handelsvolumen im Wachstumssegment?
Wir managen Liquidität auch über Finanzprodukte. Wir stellen etwa Indizes für Banken und Vermögensverwalter zusammen, die Basis für passive Fonds, also ETFs, und strukturierte Produkte sind - vor allem auf den AEX in Amsterdam und den CAC 40 in Frankreich. Im CAC 40 sammeln sich im Vergleich zu den anderen nationalen Börsen der EU die meisten Investorengelder, nur der Index Euro Stoxx hat mehr. Allerdings treibt vor allem die steigende Nachfrage nach nachhaltigen Werten und Technologien das Geschäft. Bei kleineren Werten ist die Liquidität naturgemäß schwächer. Da müssen wir noch eine Menge Arbeit erledigen, um aufzufallen.
Also können Sie bei kleinen Aktientiteln keine Liquidität garantieren?
Nein, wir stellen ja lediglich Technologie, Plattform und Informationen bereit und sorgen für Transparenz. Aber wir haben das Marktmodell angepasst. Die kleinen Unternehmen werden nur in zwei Auktionen am Tag gehandelt und das in Blöcken. Das hilft uns, Investitionen in das zentrale Orderbuch zu kanalisieren. Der Handel unterscheidet sich also von dem mit großen Aktien, die oft Hunderttausende Mal am Tag gehandelt werden. Die Liquidität der bei uns gelisteten Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von weniger als einer Milliarde Euro beträgt rund das 1,3-Fache des Streubesitzes. Das ist im Vergleich zu anderen europäischen Börsen ein hoher Wert, im Vergleich mit US-Börsen aber verschwindend gering. In den USA haben viele Vermögensverwalter anders als hier auch kleine Unternehmen auf dem Schirm. Die Europäische Union hat einiges getan, um das anzukurbeln, aber längst nicht genug.
Italien fördert Investitionen in das dortige Wachstumssegment steuerlich. Fänden Sie das für den gesamten Euroraum erstrebenswert?
Wir sind sehr zurückhaltend, Märkte und Liquidität über Steuern fördern zu wollen. Das ist meist keine langfristige Sache. Endet die Förderung, gibt es einen Crash, und das wollen wir nicht. Wir würden lieber einige regulatorische Hürden senken, sodass Pensionsfonds, Versicherer und Vermögensverwalter keinen Kapitalbeschränkungen unterliegen, wenn sie am Aktienmarkt investieren. Das wäre nachhaltiger, als Privatanleger mit Steuererleichterungen zu locken. Wir müssen das Geld befreien.
Sind Sie in diesem Zusammenhang mit den Reformen des französischen Ministerpräsidenten Emmanuel Macron zufrieden?
Sowohl die Steuerreform als auch die Arbeitsmarktreform sind sehr gut für die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes. Die Wahrnehmung Frankreichs aus Perspektive der Investoren hat sich damit rapide gewandelt. Wir stehen in der Wettbewerbsfähigkeit nun nicht mehr hinter anderen europäischen Ländern zurück. Das ist toll.
Wie stellen Sie sicher, dass Börsengänge - trotz der Herausforderung des Marktumfeldes und der Liquidität - ein attraktiver Weg der Kapitalisierung bleiben?
Kleine wie große Unternehmen, insbesondere aus der Technologiebranche, brauchen Geld vom Kapitalmarkt, um wachsen zu können. Sie können das nicht nur mit Geld von Private-Equity-Fonds. Am Kapitalmarkt diversifizieren sie ihre Aktionärsstruktur und steigern ihre Sichtbarkeit. Sie erhalten also mehr Aufmerksamkeit. Dennoch haben wir in Europa einen unerschlossenen Pool an Unternehmen, die stark wachsen, aber nicht an die Börse gehen. Diese These ist schwer mit Zahlen zu belegen, aber jeder hat intuitiv dieses Gefühl. Ein Problem ist, dass viele verschiedene nationale Regeln etwa im Steuer-, Aktionärs-, Übernahme- und Insolvenzrecht gelten, und das Rechtsrisiken birgt. Investoren wollen das nicht in Kauf nehmen. Das bremst die Entwicklung eines gesamtheitlichen europäischen Aktienmarkts.
Wenn die Fusion zwischen Deutscher Börse und London Stock Exchange (LSE) im vergangenen Jahr gelungen wäre, wäre das eine Chance auf einen echten europäischen Aktienmarkt gewesen?
Fusionen werden selten von der Idee eines einheitlichen Aktienmarktes getrieben, sondern von dem Wunsch nach Größenvorteilen bei Derivaten oder Clearing. Wir gehen davon aus, dass wir den richtigen Weg gehen, wenn wir eine europäische Plattform organisch aufbauen.
Die Euronext war kein Fan der Fusion. Sind Sie erleichtert, dass der Plan gescheitert ist?
Das möchten wir nicht kommentieren. Euronext hat damals zur Komplettübernahme des französischen Parts der LCH-Gruppe - also der Clearing-Aktivitäten der London Stock Exchange - ein Angebot unterbreitet, das abhängig war vom Gelingen der Fusion zwischen der Deutschen Börse und der London Stock Exchange. Da die Fusion nicht zustande kam, haben wir eine andere Einigung mit London getroffen und unsere 2,3-prozentige Beteiligung an der LCH-Gruppe gegen eine Beteiligung von 11,1 Prozent an der französischen Sparte eingetauscht. Das war ein sehr guter Schritt für Euronext, denn natürlich sind die Clearing-Aktivitäten wichtig für uns.
Was sind Ihre weiteren Pläne, wen übernehmen Sie stattdessen?
Wir haben zuletzt die irische Börse ISE in Dublin gekauft, um für den Brexit positioniert zu sein. Nach der Integration und wenn wir wissen, wie die Regulierung aussieht, wollen wir eine Pforte für europäische und britische Firmen sein. Unsere Strategie zielt aber auf organisches Wachstum ab. Große Fusionen kann man nicht planen. Sie kommen, wenn sie kommen.
Vita
Eigengewächs
Anthony Attia ist seit Bestehen der Euronext dabei. Im Jahr 2000 schlüpften die Börsen in Amsterdam, Brüssel und Paris unter das Dach der niederländischen Holding. Der in Nizza geborene Attia kam vom französischen Vorgänger Société des Bourses Françaises. Drei Jahre zuvor hatte der Ingenieur und Absolvent der privaten Elite-Wirtschaftshochschule Insead dort seine Karriere gestartet. Attia blieb der Euronext Paris so lange treu, bis er es an die Spitze geschafft hatte. Er ist 44, verheiratet und Vater von drei Kindern.
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Bildquellen: EURONEXT
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