Spanien: Gute Zeit für erste Investments
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Seit Beginn der Eurokrise zählte Spanien zu den Ländern mit gewaltigen Problemen bei der Wirtschaft. Jetzt geht es auf der iberischen Halbinsel wieder bergauf.
von Benjardin Gärtner, Gastautor von Euro am Sonntag
Während ganz Europa wechselweise auf die Agenda des neuen US-Präsidenten Donald Trump, den Fortgang des Brexit und auf die anstehende Verfassungsreform in Italien schaut, hat sich im Windschatten der politischen Großereignisse in einem weiteren bedeutenden europäischen Staat Erfreuliches zugetragen. Wohl in keinem anderen Land aus der Gruppe der einstigen Sorgenkinder haben der politische Wille zur Reform und die unternehmerischen Aufräumarbeiten derart Früchte getragen wie in Spanien.
Dem hat noch nicht einmal der zwischenzeitliche politische Stillstand, als das Land eine zähe Phase der Regierungsbildung aus einem zersplitterten Parlament heraus erdulden musste, Einhalt geboten. Mittlerweile steht der neue Ministerpräsident fest: Mariano Rajoy führt das Land im Prinzip seit 2011, war aber seit den Wahlen im Dezember 2015 und der Neuwahl im Juni 2016 nur geschäftsführend im Amt. Seit Ende Oktober leitet der Chef der konservativen Partei PP (Partido Popular) eine Minderheitsregierung.
Spitzenposition in Sachen
Wachstum in Westeuropa
Die verbesserten Bedingungen in Spanien lassen sich an einer Reihe einzelner Punkte festmachen. Die stärksten Veränderungen sieht man am Arbeitsmarkt. Rund eine Million Jobs wurden in den vergangenen zwölf Monaten geschaffen. Die Arbeitslosenquote liegt zwar nach wie vor auf einem vor allem für deutsche Verhältnisse hohen Niveau, ist aber seit einigen Monaten deutlich rückläufig. Die Verbesserungen zeugen von einer dynamischeren Konjunktur, denn in der Tat wächst die Wirtschaft stärker als in anderen Volkswirtschaften Europas. Im laufenden Jahr sollte das Wachstum nach den Prognosen von Union Investment 3,2 Prozent, im kommenden Jahr noch 2,3 Prozent betragen.
Zum Vergleich: In Italien wird mit einer Zunahme der konjunkturellen Dynamik von 0,8 (0,7) Prozent für die Jahre 2016 und 2017 gerechnet. Deutschlands Wirtschaft sollte 2016 um 1,8 und 2017 um 1,3 Prozent wachsen.
Getragen wird die Entwicklung von unterschiedlichen Faktoren. Zum einen ist die Wirtschaft nach dem einmaligen Boom aus der Zeit vor der Finanzkrise - im Jahr 2006 waren in Spanien mehr Baukräne als in den gesamten USA im Einsatz - und dem folgenden bitteren Crash wieder einigermaßen auf die Beine gekommen. Verglichen mit der Bankenlandschaft in Italien stehen die oft konservativ geführten spanischen Institute mittlerweile wieder ganz gut da und sind aufgrund ihrer Kapitalstruktur und ihrer Bilanz auch in der Lage, kräftig Kredite auszureichen.
Aufgrund der positiven Dynamik am Arbeitsmarkt stellt der Konsum derzeit die Stütze des spanischen Aufschwungs dar. Die Logik dahinter liegt auf der Hand: Mehr Menschen in Lohn und Brot bedeuten ein höheres ausgabefähiges Einkommen, aber auch mehr Sicherheit und Planbarkeit für die Zukunft. Dem folgend dürften sich spanische Konsumtitel positiv entwickeln, aber auch Medienunternehmen, die auf einen verbesserten Werbemarkt von Santander bis Sevilla hoffen können.
Doch auch im Industriebereich tut sich einiges. Der Anteil der Unternehmen, die davon ausgehen, ihre Investitionsausgaben hochzufahren, liegt in Spanien deutlich höher als etwa in Frankreich, Italien oder Deutschland.
Zudem profitiert das Land von seiner Beliebtheit als Reiseziel. Die Reisetätigkeit steigt drastisch an, 2016 dürfte ein neues Rekordjahr für den spanischen Tourismus gewesen sein, das legen Daten der Deutschen Flugsicherung nahe. Während Ägypten in den ersten sechs Monaten des Jahres Einbußen von 27 Prozent hatte, Tunesien von 30 und die Türkei von sieben Prozent (der Putsch dürfte den negativen Trend hinsichtlich der Türkei im zweiten Halbjahr deutlich verstärkt haben), konnte Spanien mit einem Zuwachs von acht Prozent punkten. Spanien ist nach Frankreich und den USA die beliebteste Destination der globalen Traveller, im Jahr 2015 besuchten gut 68 Millionen Menschen das Land - und gaben dabei kräftig Geld aus.
Dass der Trend noch eine Weile anhalten könnte, davon zeugen die starken Frühindikatoren: Der Einkaufsmanagerindex für den Dienstleistungsbereich liegt in Spanien bei 54,6 Zählern und damit weit über den 50 Punkten, die eine Expansion markieren. Der Index für die verarbeitende Industrie hatte sich auf 53,3 Punkte verbessert.
Bei allen positiven Signalen, die Spanien derzeit sendet: Es gibt eine durchaus nennenswerte Reihe an Risiken. Ministerpräsident Rajoy regiert ohne Mehrheit, seine Partei verfügt nur über 137 der 350 Sitze im Parlament. Das bedeutet, dass er für alle Gesetzesvorhaben auf Stimmen aus der Opposition angewiesen ist. Reflexhafte Kritik an Rajoys Haushaltsplan wurde schon laut, als sein Kabinett noch nicht einmal benannt war. Komfortables Durchregieren sieht anders aus, wichtige Initiativen könnten in den kommenden Jahren daher auf der Strecke bleiben.
Geschäftsbeziehungen zu
Lateinamerika als Risiko
Überdies leidet der spanische Markt wie alle Peripheriemärkte immer dann, wenn das Risikosentiment hoch ist. Sprich: Wenn den Investoren der Wind ins Gesicht bläst, landen spanische Assets meist schneller auf der Verkaufsliste als beispielsweise Wertpapiere aus Deutschland. An potenziellen Belastungsfaktoren dürfte im kommenden Jahr kein Mangel herrschen: Die Wahlen in Deutschland und Frankreich, der Fortgang der Brexit-Verhandlungen und die politische Agenda des neuen US-Präsidenten haben potenziell unmittelbare Auswirkungen auf die Risikoneigung der Anleger.
Einige Unternehmen haben die Konsequenzen der Wahl in den USA bereits zu spüren bekommen. Das liegt indes weniger an der Lage auf der iberischen Halbinsel als an der in Lateinamerika. Dort haben zahlreiche große spanische Konzerne wichtige Tochterunternehmen. Nach der Wahl Trumps ins Weiße Haus erwarten viele Marktteilnehmer steigende Zinsen und einen festeren US-Dollar - beides ist tendenziell negativ für Schwellenländer und damit auch für die lateinamerikanischen Ableger spanischer Unternehmen.
Derlei Risiken gilt es als Anleger abzuwägen und in die Titelselektion mit einzubeziehen. Nicht nur aufgrund der Geschäftsbeziehungen in Lateinamerika, sondern auch aus sektoraler Hinsicht sind die Risikoprofile der spanischen Konzerne sehr heterogen. Wer sich für die richtigen Namen entscheidet, hat allerdings durchaus Chancen auf überdurchschnittliche Kurssteigerungen.
Kurzvita
Benjardin Gärtner, Leiter Aktienfonds-
management bei Union Investment
Gärtner ist eines von sechs stimmberechtigten Mitgliedern des Union Investment Committee (UIC). Das UIC formuliert auf monatlicher Basis die Kapitalmarktstrategie von Union Investment.
Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken und mit aktuell mehr als 275 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen einer der größten deutschen Vermögensverwalter für private und institutionelle Anleger.
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