Energiekrise in der EU

Blackouts im Winter abgewendet: Ist die Energiekrise in Europa nun vorüber?

30.06.23 22:59 Uhr

Energiekrise: Wie europäische Länder sich auf den Winter vorbereiten | finanzen.net

Die Energiekrise, die im vergangenen Winter aufgrund einer Gas-Knappheit und dem erhöhten Preisdruck drohte, konnte in den kalten Monaten abgewendet werden. Doch wie sieht es im nächsten Winter aus - und wie schützen sich die europäischen Länder vor einer weiteren Zuspitzung?

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• Russischer Gas-Lieferstopp
• Milder Winter 2022
• Maßnahmen auf EU-Ebene zeigen Wirkung

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Winter 2022 stand in Europa im Zeichen der Energiekrise

Mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der seit Februar 2022 wütet, und den damit einhergehenden Sanktionen Europas gegen Russland, die auch die Lieferungen von Öl und Gas betreffen, ist Energie ein knappes Gut geworden. Im September letzten Jahres stellte der russische Staatskonzern GAZPROM seine Gaslieferungen über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 ein, was anfangs mit Wartungsarbeiten begründet, dann aber mit westlichen Sanktionen erklärt wurde. "Wir wissen nicht, wie die Reparaturarbeiten durchgeführt werden sollen, weil die Sanktionen dies verhindern", rechtfertigte Kremlsprecher Dmitri Peskow den Lieferstopp laut der Nachrichtenagentur Interfax. Ende September wurden dann insgesamt vier Lecks an den beiden Nord Stream-Pipelines entdeckt, wodurch tagelang ununterbrochen große Mengen Gas austraten. Zwar waren Detonationen, die die Leitungen beschädigten, noch nicht umfassend geklärt, jedoch häuften sich Hinweise auf einen Anschlag. "Europa sieht sich einer Energieerpressung durch Russland gegenüber, und die weltweite Nachfrage nach Gas ist höher als das Angebot", äußerte sich EU-Energiekommissarin Kadri Simson im Herbst besorgt. "Wir müssen entlang der gesamten Kette arbeiten, um die Herausforderung anzugehen."

Winter erfolgreich überstanden

So war die Furcht vor einer Energieknappheit im Winter und damit einhergehenden Blackouts groß. Aufgrund einer Kombination aus politischen Entscheidungen, der Entwicklung des Rohstoffmarkts, und dem vergleichsweise milden Winter konnten solche Schreckszenarien jedoch verhindert werden. Im Frühling zog EU-Kommissarin Kadri Simson ein positives Resümee: "Heute, zu Beginn des Frühlings, können wir sagen, dass wir den Winter gut überstanden haben. Da wir mit halb gefüllten Speichern abschließen, haben wir die erste Schlacht des Energiekriegs mit Russland erfolgreich hinter uns gebracht", so die EU-Politikerin gegenüber "Euronews".

Gasbedarf 2022 stark rückläufig

Und tatsächlich: 2022 sank der Gasbedarf der EU um 13 Prozent bzw. 55 Milliarden Kubikmeter, so die Internationale Energieagentur (IEA) laut Euronews. Dies sei der stärkste Rückgang, der in der EU bisher verzeichnet wurde. Die Einsparungen seien vor allem auf die Industrie zurückzuführen, da es hier vermehrt zu eingeschränkter Produktion und dem Import von Enderzeugnissen gekommen sei. Aber auch praktische Lösungen wie niedrigere Raumtemperatur, kürzere Duschzeiten und der Einbau von Wärmepumpen haben dazu beigetragen, dieses Ziel zu erreichen. "Die Verhaltensreaktion wurde durch das Preisniveau und die Angst davor, wie sich die Preise auf das eigene Leben auswirken werden, angetrieben", bestätigte auch Energieforscherin Elisabetta Cornago. "Diese Ängste und Befürchtungen haben die Verbraucher dazu veranlasst, konservativ zu bleiben und zu versuchen, die Heizungsstunden zu begrenzen."

Umfassender EU-Maßnahmenkatalog

Um sich der Herausforderung auf dem Energiemarkt zu stellen, und sich dennoch wirtschaftlich von Russland zu distanzieren, wurden im vergangenen Jahr auf EU-Ebene einige Maßnahmen umgesetzt. So sollen nicht nur steigende Energiepreise eingedämmt, sondern auch der Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigt werden. So wurde im Sommer 2022 ein Gas-Notfallplan ins Leben gerufen, dem zufolge die EU-Staaten ihren Gasverbrauch um 15 Prozent senken sollen. Bereits im September 2022 einigten sich die Länder darauf, Gewinne von Stromerzeugern, die kein Gas anbieten, zu besteuern, wenn sie über einen bestimmten Betrag steigen. Im Rahmen des achten Sanktionspakets gegen Russland wurden Anfang Oktober 2022 außerdem die rechtlichen Bedingungen für einen Preisdeckel für russische Ölimporte beschlossen, wie die Deutsche Presse-Agentur berichtete. Damit soll Russland Öl für einen deutlich niedrigeren Preis an Kunden wie Indien verkaufen müssen, wodurch die Einnahmen Moskaus gesenkt werden sollen, durch die der Krieg mitfinanziert wird.

Deutscher "Doppelwumms" zur Entlastung der Verbraucher

Aber nicht nur auf EU-Ebene wurden Maßnahmen gegen hohe Energiepreise beschlossen. In Deutschland kündigten Bundeskanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner Ende September 2022 nicht nur drei Entlastungspakete in Höhe von 95 Milliarden Euro an, sondern auch einen 200 Milliarden Euro schweren "Abwehrschirm". Mit diesem "Doppelwumms", wie Scholz die beiden Pakete nannte, sollen sowohl Verbraucher als auch Unternehmen unterstützt werden. Zu den Maßnahmen zählt auch die Strom- und Gaspreisbremse. Privatpersonen und kleine bis mittelständische Unternehmen erhalten damit Strom und Gas zu einem subventionierten Sondertarif, aber nur bis zu einer bestimmten Grenze. Alles was über den Preisdeckel geht, muss dann zum Marktpreis erworben werden. Damit will die Bundesregierung den Energieverbrauch senken, die Verbraucher aber trotzdem nicht im Regen stehen lassen. Eine ursprünglich für den 1. Oktober angekündigte Gasumlage, im Rahmen derer Verbraucher je Kilowattstunde 2,419 Cent zusätzlich bezahlen hätten müssen, wurde nach großer Kritik auf Eis gelegt.

Unterstützung sicherte Deutschland aber auch dem Gasimporteur Uniper zu, der finanziell schwer angeschlagen ist. Im September wurde beschlossen, dass die Fortum-Tochter zu 99 Prozent in die Hände des Bunds fällt. Die Vereinbarung beinhaltete auch eine Kapitalerhöhung in Höhe von acht Milliarden Euro, die ebenfalls durch die Bundesregierung gestemmt wird. Konzernchef Michael Lewis plant aber bereits, den ins Straucheln geratenen Konzern wieder aus dem Staatsbesitz zu befreien und in Privatbesitz übergehen zu lassen.

Strompreisbremse auch in Österreich

In Österreich wurde im September 2022 ebenfalls eine Strompreisebremse festgelegt. So wird der Netto-Strompreis ab 40 Cent je Kilowattstunde um bis zu 30 Cent subventioniert, wie Bundeskanzler Karl Nehammer mitteilte. Damit könne ein durchschnittlicher Haushalt mit drei Personen die Energiekosten um ungefähr 500 Euro pro Jahr senken. In Kraft trat die Maßnahme am 1. Dezember 2022, Schluss sein soll dann Ende Juni 2024. "Niemand in Österreich soll sich seinen Grundbedarf an Strom nicht leisten können. Das ist das wichtigste Ziel der Strompreisbremse, die wir im heutigen Ministerrat beschlossen haben. Damit setzen wir eine weitere Hilfsmaßnahme gegen die Teuerung um", erklärte Nehammer die Entscheidung der Regierung. "Die Kostenbremse wird bei der Stromrechnung ansetzen und für einen Grundbedarf von bis zu 2.900 Kilowattstunden gelten […]. Gleichzeitig ist das Modell so ausgelegt, dass alles, was über die 2.900 Kilowattstunden hinausgeht, dem normalen Stromtarif unterliegt."

Gefahr in der Schweiz vorerst gebannt

"Jede Kilowattstunde zählt", warnte der Schweizer Bundesrat im August 2022 vor einer Versorgungslücke bei Gas und Strom im Winter. Im Gegensatz zu Deutschland verfügt die Eidgenossenschaft zwar über viele Stauseen, die nach Angaben der "Neuen Zürcher Zeitung" etwa neun Terawattstunden Strom einspeichern können, aber auch hier müsse darauf geachtet werden, dass die Speicher zu Beginn des Winters prall gefüllt sind. Dies sei aber ebenfalls geglückt. Auch hier habe der milde Winter Schlimmeres verhindert. Schätzungen der Regierung, die der NZZ vorliegen, zeigen jedoch, dass der Gesamtstromverbrauch, der als Indikator für eine mögliche Strommangellage gilt, seit Beginn der Krise kaum reduziert wurde. Haushalte und Unternehmen haben ihren Stromverbrauch jedoch tatsächlich heruntergefahren, so die Daten.

Kernkraftwerke in Frankreich wieder mehrheitlich am Netz

Preisobergrenzen wurden darüber hinaus auch in Frankreich eingeführt. Da die Mehrheit der französischen Energieunternehmen in staatlicher Hand ist, fordert die Regierung von diesen ebenfalls, den Strom zu künstlich niedrigen Preisen anzubieten, aber nur bis zu einer festgelegten Grenze. Alles was darüber hinaus geht, wird dann ebenfalls zum Vollpreis fällig. Hier war von Präsident Emmanuel Macron allerdings Fingerspitzengefühl gefordert, wie die "Washington Post" schrieb. Zu Beginn von Macrons erster Amtszeit wollte dieser die Energiewende 2018 mit einer höheren Besteuerung von fossilen Kraftstoffen durchsetzen, was massive Proteste der Bevölkerung nach sich zog, die sich schließlich zur Gelbwestenbewegung hochschaukelten und erst wieder im Frühjahr 2019 abklangen. Daher versprach der französische Präsident der Bevölkerung im Zuge der Wahlen im April 2022, den Strompreis nicht um mehr als vier Prozent anzuheben und die Preise für Erdgas auf dem Niveau vom Herbst 2021 zu belassen. Auch nach der gewonnenen Wahl herrscht dieser Zustand. Die französische Premierministerin Élisabeth Borne erklärte außerdem, dass die Preiserhöhungen für Strom und Erdgas 2023 maximal 15 Prozent betragen würden. Zahlreiche Haushalte erhielten im Herbst außerdem Einmalzahlungen von bis zu 200 Euro. Darüber hinaus rief Borne die Bevölkerung zum Energiesparen auf. "Wenn jeder sich verantwortlich verhält und Energie spart, wird es keine Stromausfälle geben", so die Premierministerin laut der Deutschen Presse-Agentur. Trotz dieser vergleichsweise schlanken Maßnahmen kam die Grande Nation ebenfalls gut durch den Winter, wie das "Handelsblatt" berichtete. Dazu beigetragen habe auch, dass zahlreiche Atomkraftwerke nach einer Wartungsperiode wieder ans Netz angeschlossen wurden. Auch durch Windkraft konnte man die Krise überbrücken.

Teurer Erfolg

Den vergangenen Winter konnten die EU also weitgehend meistern. Der Erfolg hatte aber auch seinen Preis, wie Daten der IEA laut Euronews belegen. Demnach habe die Europäische Union 2022 Gas für nahezu 400 Milliarden Euro eingekauft, was fast dem Dreifachen des Betrags für 2021 entsprach. Darüber hinaus kamen Steuererleichterungen der EU-Länder in Bezug auf die Energiekrise auf einen Betrag von mindestens 657 Milliarden Euro. Allein Deutschland soll 265 Milliarden Euro an Unterstützung gezahlt haben.

Entspannter Winter 2023?

Doch was bringt der nächste Winter? Rystad Energy-Analystin Nikoline Bromander geht davon aus, dass sowohl weitere Einsparungen beim Gasverbrauch und Importe von Flüssigerdgas (LNG) dafür sorgen werden, dass die kommende kalte Jahreszeit entspannter verläuft als die letzte. "Europa geht mit einem besser ausbalancierten Markt ins Jahr 2023", so die Expertin laut Euronews. "Im Moment sieht es so aus, als ob die starken Angebots- und Lagerungsgrundlagen den kalten Wettervorhersagen entgegenwirken." Dennoch befinde sich nicht nur Europa auf der Käuferseite. 60 Prozent der LNG-Mengen, die Europa 2023 benötigen werde, sollen der Strategin zufolge über den Spotmarkt gehandelt werden, wodurch europäische Länder in Konkurrenz zum globalen Handel - darunter auch asiatischen Ländern - treten.

Weitere Herausforderungen erwartet

Die Gefahr sei also noch nicht gebannt. "Wir sollten uns jedoch nicht der Illusion hingeben, dass die Dinge einfach werden", gab Simson zu bedenken. "Dieses Jahr wird immer noch eine Herausforderung sein, und auch das nächste Jahr wird es in sich haben. Viele Unwägbarkeiten bleiben bestehen. Trotz der insgesamt guten Energiesituation müssen wir wachsam bleiben und hart arbeiten, um uns auf den kommenden Winter vorzubereiten". Auch andere Experten warnen vor verfrühter Entspannung, da nach wie vor kein ausgeglichenes Angebots- und Nachfrageverhältnis herrsche, was zum Teil heftige Preisschwankungen zur Folge haben könne. "Solange wir für die Wirtschaft von Gaslieferungen abhängig sind und die Energiewende nicht abgeschlossen ist, wird diese Anfälligkeit für Gaspreise oder die Entscheidungen der Gaslieferanten bestehen bleiben. Aus diesem Grund wird die Alarmbereitschaft bestehen bleiben", gab auch Cornago gegenüber Euronews zu bedenken. "Wir sind noch nicht über den Berg."

Nächste Phase der Energiekrise

Auch Ben McWilliams, der als Berater beim Thinktank Bruegel tätig ist, warnte vor verfrühter Euphorie. "Wir treten jetzt in eine neue Phase ein, in der die Gaspreise immer noch strukturell höher sind als noch vor zwei Jahren. Und ich würde sagen, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass sie wieder auf den Stand von vor zwei Jahren zurückkehren, zumindest in den nächsten Jahren", so der Experte laut dem Fernsehsender. "Das System wird weiterhin unter Druck bleiben. Wir befinden uns also immer noch in einer Krise." So habe Russland zwar nicht mehr die Macht, um den Markt beliebig zu manipulieren, die Energiekrise sei aber noch nicht beendet, sondern habe sich nur weiterentwickelt.

Simson rief ebenfalls dazu auf, das Ziel nun nicht aus den Augen zu verlieren: "Es ist jetzt wichtig, dass die Mitgliedstaaten den Kurs beibehalten und mit Maßnahmen fortfahren, die unsere beiden Ziele erreichen: Energiesicherheit und erschwingliche Preise."

Redaktion finanzen.net

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