Studie: Ohne Reformen droht bei der Rente finanzielle Not
Die Sozialversicherungsbeiträge in Deutschland drohen ohne eine Rentenreform im Jahr 2035 fast die Hälfte des Einkommens der Erwerbstätigen auszumachen. Das ergab eine Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung.
Der Status Quo des deutschen Rentensystems sei nicht nachhaltig. Daher sei ein Paket von Reformen notwendig, um der Alterung der Gesellschaft zu begegnen und die finanzielle Not des Staates zu vermeiden. Mögliche Hebel seien ein verstärkter Zuzug von Fachkräften, eine erhöhte Frauenerwerbstätigkeit und ein längere Erwerbstätigkeit.
"Die Alterung der Bevölkerung wird zu einer gefährlichen Belastungsprobe für Staatsfinanzen und Sozialsysteme", warnte Andreas Esche, Wirtschaftsexperte der Bertelsmann Stiftung. "Die Veränderungen kommen schleichend und verschleiern den Zeitdruck für notwendige Reformen." Im Auftrag der Bertelsmann Stiftung erstellte Martin Werding von der Ruhr-Universität Bochum die Studie "Demografische Alterung und öffentliche Finanzen: Wie geht es nach der Covid-19-Krise weiter?"
Derzeit machen die Beitragssätze der Sozialversicherungen 39,8 Prozent der beitragspflichten Einkommen aus. Ohne Reformen droht dieser Anteil laut Berechnungen der Studien bereits bis zum Jahr 2035 auf 47,9 Prozent zu steigen.
Mit dem jetzt beginnenden Übergang der Baby-Boomer-Generation in die Rente verschlechtere sich das Verhältnis von Beitragszahlern und Rentnern drastisch. Noch stünden 100 Menschen im erwerbsfähigen Alter etwa 35 Rentnern oder Pensionären gegenüber. Bis 2035 würden es bereits 48 Rentner auf 100 Erwerbstätige sein, so das Ergebnis der Studie.
Diese Entwicklung werde auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben. Denn wegen der höheren Sozialversicherungsabgaben dürften die Bruttolöhne und damit die Arbeitskosten stark steigen, so die Studie. "Trotz zunehmenden Fachkräftemangels droht dadurch eine sinkende Nachfrage nach Arbeitskräften. Die Arbeitslosigkeit würde dadurch deutlich zunehmen", warnte die Bertelsmann Stiftung. Schon innerhalb der kommenden 15 Jahre dürfte die Arbeitslosenquote auf dann 8 Prozent steigen, mit der Folge sinkender Einnahmen für alle Zweige der Sozialversicherung, so das Ergebnis der Studie.
Auch werde die Verschuldung der öffentlichen Haushalte aufgrund der Alterung der Bevölkerung zunehmen. Die Studie errechnet bis 2035 einen Anstieg der Schuldenlast auf 71,5 Prozent nach derzeit 66,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts.
Rentenniveau ohne späteren Renteneintritt nicht zu halten
Die Bertelsmann Stiftung hält daher die doppelte Haltelinie im staatlichen Rentensystem für nicht haltbar. Diese besagt, dass das Niveau der gesetzlichen Rente bis 2025 bei mindestens 48 Prozent liegt und der Beitragssatz in die gesetzliche Regenversicherung 20 Prozent des Bruttoeinkommens nicht übersteigen darf. Sollte dies dauerhaft gelten, müsste die Bundesregierung bis zum Jahr 2035 ihren steuerlichen Zuschuss von aktuell 2,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder 92,4 Milliarden Euro auf 4,9 Prozent oder 181 Milliarden Euro nahezu verdoppeln, errechnete die Experten.
Die Bertelsmann Stiftung schlug stattdessen vor, die Rente an die steigende Lebenserwartung anzupassen. Bei einer zu erwartenden Zunahme der Lebenserwartung um ein Jahr würden nach 2030 dann zwei Drittel des "gewonnenen" Jahres der Erwerbsarbeit zugeschlagen und ein Drittel dem Rentenbezug.
So könne das Verhältnis von Erwerbs- und Rentenbezugsphase weitgehend konstant sein. Das Rentenniveau bliebe so bis nach 2060 bei über 45 Prozent, der Beitragssatz ließe sich bei rund 24 Prozent stabilisieren. Eine stabile, positive Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität würde dafür sorgen, dass die Renten absolut betrachtet in der Zukunft dennoch deutlich höher wären als heute.
"Keine Einzelreform wird reichen, notwendig ist ein aufeinander abgestimmtes Maßnahmenpaket zur Sicherung unseres Sozialstaats", sagte Esche. "Akzeptanz wird dies nur dann finden, wenn die Lasten gemeinsam von allen Mitgliedern der Gesellschaft getragen werden."
BERLIN (Dow Jones)
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