A3M-Chef Thomas Dillon: "Wir warnen sehr schnell"
Der Chef des Krisendienstleisters A3M Thomas Dillon spricht mit €uro am Sonntag über die Unberechenbarkeit von Corona, die Wende bei Geschäftsreisen und besonders gefährliche Ecken in der Welt.
von Michael Hannwacker, Euro am Sonntag
Die Gefahr selbst - Flutwelle, Terroranschlag, Pandemieausbruch - kann A3M nicht bannen. Aber ihre Kunden davor warnen. Eine "Global Monitoring App", die erste derartige, mobile Anwendung für Privatreisende, hält die weltweite Sicherheitslage laufend im Blick, der "Destination Manager" die Einreiseregeln in Hinblick auf die Corona-Impfung. Der Informationsdienstleister mit Sitz in Tübingen und Hamburg bedient die Reisebranche, aber auch Konzerne und mittelständische Unternehmen, die ihrer Fürsorgepflicht für ihre Mitarbeiter nachkommen wollen
Wir sind mit Thomas Dillon, Ire und seit 2008 Geschäftsführender Gesellschafter von A3M, am Alten Fischmarkt verabredet. Der Wind in der Hamburger Innenstadt weht deutlich unter Hurrikan-Level, die Binnenalster plätschert harmlos an den Ballindamm und die Überwachungskameras am nahen Rathaus registrieren allenfalls ein paar Bustouristen. Doch auf den Bildschirmen in der fünften Etage des Geschäftshauses sind die Gefahrenherde in der Welt da draußen ständig präsent.
Euro am Sonntag: Gibt es Destinationen, von denen Sie derzeit ganz abraten?
Thomas Dillon: Von bestimmten Regionen in Mexiko. Wo die Drogenkartelle wüten, sollte man bis auf Weiteres erhöhte Aufmerksamkeit walten lassen. Und natürlich sollte man keine Länder bereisen, in denen es militärische Unruhen gibt.
Und welche wegen Corona meiden?
Die Welle verläuft ja höchst unterschiedlich. Nehmen Sie Vietnam. Anfangs konnte man die Fälle an einer Hand abzählen. Doch dann wurde man nachlässig, schätzte die Impfnotwendigkeit zu gering ein und war nicht vorbereitet auf die Delta-Variante. Die Folge: Mitte September lag die Inzidenz bei 13.000! Prinzipiell gehören Teile Asiens aktuell nicht unbedingt auf der Prioritätenliste ganz oben.
Können Sie mit Regionen trösten, die in den kommenden Monaten voraussichtlich problemlos bereisbar sein werden?
Das wäre der Blick in die Glaskugel. Klar, es gibt gewisse Muster. Aber was passiert, wenn ein Nachfolger der Delta-Variante kommt? Das wissen wir wirklich nicht. Und wie war es vor einem Jahr? Im Mai dachte die Branche, das Gröbste sei überstanden. Und die Reiseveranstalter, denen wir unseren Destination Manager (ein Webtool, das die sich verändernden, länderspezifischen Corona-Lagen zusammenfasst) anboten, sagten, "Dillon, Sie erinnern mich an Zahnschmerzen. Ich will das vergessen."
Und nun? Werden sich die Reiseveranstalter von Corona erholen?
Ich kenne bis jetzt keinen einzigen deutschen Anbieter, der daran zugrunde gegangen wäre. Viele dieser Unternehmen haben die Zeit genutzt, ihre Hausaufgaben zu machen und zum Beispiel die Digitalisierung voranzutreiben.
Welche Branche hat aus Ihrer Sicht in den vergangenen 20 Monaten die größten Fehler gemacht?
Die Politik? Sie hat für viel Verunsicherung gesorgt, ihre Meinung buchstäblich jeden Tag geändert und sich mit den Außenstellen in den anderen Ländern, Großbritannien zum Beispiel, überhaupt nicht abgestimmt. Das war alles andere als souverän oder zuverlässig.
Was würden Sie jetzt Anlegern raten?
Corona hat uns gezeigt, dass wir Treffen, Tagungen und Kongresse virtuell abhalten können. Genauso ist es mit Messen oder Ausstellungen. Die Leute wurden gezwungen, anders zu denken und haben festgestellt, dass es gar nicht so schlecht funktioniert. Früher bin ich drei bis vier Mal die Woche ins Flugzeug gestiegen. Heute ersetzen wir viele Meetings mit einem einstündigen Call, sparen viel Geld und erreichen trotzdem viel. Also: Auf Unternehmen, die dafür immer bessere Plattformen zur Verfügung stellen, würde ich setzen. Auf Fluggesellschaften, die früher stark im Nahverkehr waren, eher nicht.
Die Verluste für die Wirtschaft durch coronabedingt unterbrochene Lieferketten sind groß. Wie groß sind sie durch ausgefallene Geschäftsreisen?
Das müssen wir abwarten. Aber ich bin vielleicht ein gutes Beispiel: Ich fliege nicht mehr so oft wie früher. Die Geschäfts- reise-Branche wird bzw. hat sich dadurch verändert. Ähnliches gilt sicherlich für die Hotelbranche. Hier sind gewisse Verluste unausweichlich.
Apropos: Sind Geschäftsreisende höheren Risiken ausgesetzt als Urlauber?
Ja, weil Reiseveranstalter ihre Kunden niemals in Destinationen schicken würden, wo ein gewisses Maß an Sicherheit fehlt. Beim Geschäftsreisenden ist es anders. Er muss möglicherweise in Regionen reisen, wo sein Unternehmen den Nutzen höher bewertet als die Risiken. Mexico City wäre ein Beispiel, ebenso Rio oder Venezuela. Da gibt es sehr gefährliche Pflaster. Es ist eine der Mindestanforderungen an die Fürsorgepflicht der Unternehmen, dass sie ihren Mitarbeiter aufklären, bevor sie ihn in ein potenziell gefährliches Gebiet schicken. Etwa anhand der A3M-Länder-Datenbank zusammen mit unserer App.
Wer sind dann Ihre wichtigsten Kunden? Reiseveranstalter oder Firmen?
Es gibt ja weitaus mehr kleine und mittlere Unternehmen als Reiseveranstalter, grob geschätzt 6.000 gegen nicht mal 200, und darunter wenige große und sehr viele kleine Spezialveranstalter. Demzufolge wöge Businesstravel schwerer. Letztendlich sehen wir aber nicht nur die Veranstalter als unsere Kunden, sondern auch die Reisebüros und folglich den Reisenden selbst. So gesehen müssen wir nicht nur von circa 200 Veranstaltern und 10.000 Reisebüros sprechen, sondern von zehn Millionen reisenden Deutschen.
Für die brauchen Sie belastbare Informationen. Woher beziehen Sie die?
Wir arbeiten aktuell mit etwa 500 verschiedenen Informationsquellen, die wir analysieren, auswerten und für unsere Kunden kategorisieren. Uns ist wichtig, Ereignisse zeitnah aufzunehmen und zuverlässig zu kommunizieren. Deshalb werden alle Ereignisse gegengeprüft. Die Auswärtigen Ämter sind wichtige Quellen. Aber vielleicht noch wichtiger sind, wegen ihrer politischen Unabhängigkeit, die Nachrichtenagenturen. Wir kooperieren zudem mit vielen wissenschaftlichen Instituten und Universitäten, mit Frühwarnsystemen für Naturereignisse, mit Hurricane Warning Centers, mit der NASA. Das sind alles zuverlässige, etablierte Quellen. Zudem verfügen wir über Sofortzugriff auf die Daten von einer Vielzahl Satelliten, die rund um die Uhr solche Ereignisse beobachten.
Zapfen Sie auch Social Media an?
Auf jeden Fall, denn sie geben oft sehr gute Erst-Hinweise. Allerdings müssen wir filtern, was Blabla und was ernst zu nehmen ist. Ein deutlicher Hinweis auf eine zuverlässige Social-Media-Meldung ist: Kommen ähnliche Nachrichten in kurzen Zeitabständen aus einer dichten Geo-Positionierung mit deckungsgleichen Suchbegriffen? In so einem Fall werden sofort Prozesse aktiviert, um die Verlässlichkeit zu überprüfen und über andere Quellen zu verifizieren. Kommen die ersten Nachrichten, etwa beim Terroranschlag in Barcelona am 17. August 2017, von den Nachrichtenagenturen, nutzen wir Social Media, um tiefer und gezielt nachzufragen. Auf die Weise können wir Gefahrenzonen womöglich sogar auf einzelne Straßen eingrenzen.
Sehen Sie, dass die durch den Klimawandel bedingten Risiken zunehmen?
Wir vermuten den Klimawandel als eine der Hauptursachen. Hochwasserereignisse können aber auch "man made" verursacht sein, etwa durch exzessive Versiegelung.
Wie schnell könnten Sie warnen, wenn sich etwa ein Waldbrand Athen nähert?
Sehr schnell. Unsere Mitarbeiter beobachten wie gesagt eine Vielzahl von Quellen. Da läuft eine sehr große Maschine im Hintergrund, die ein Ereignis wie die Waldbrände im Sommer am Mittelmeer rasch identifiziert, einstuft und einen entsprechenden Warnhinweis an unsere Kunden geben kann.
An welchen Ort der Erde brächten Sie keine zehn Pferde?
Was ich befremdlich finde, ist der Trend zum Township- oder Slumtourismus. Ich bin wohl eher, was man im Englischen einen Champagne Socialist nennt: Ich möchte helfen, aber lieber von hier aus und mit den Instrumenten, die mir zu Verfügung stehen. Ansonsten: Orte, an denen Krieg und Unruhen herrschen sowie Destinationen, deren Politsysteme ich nicht mit Reise-Ausgaben unterstützen möchte.
Und die derzeit sicherste Region?
Wir sind mittendrin, oder?
Vita:
Der Krisenfeste
1957 in Limerick, Irland, geboren, schließt Thomas Dillon dortselbst sein Studium zum Elektronikingenieur 22 Jahre später mit dem Schwerpunkt Computer Science ab. Seit den 90er-Jahren entwickelt er IT-Lösungen für die Reiseindustrie und Reservierungssysteme für das Gastgewerbe. 2008 übernimmt er die von zwei Tübinger Professoren unter dem Eindruck des Tsunamis in Südostasien im Dezember 2004 gegründete A3M. Dillon lebt seit 20 Jahren in Hamburg. Er ist verheiratet und hat vier Kinder.
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Bildquellen: Michael Hannwacker/Finanzen Verlag