SPD: Steinbrücks Schattenboxen
Die Sozialdemokraten ziehen mit einer echten Alternative zur Merkel-Politik in den Wahlkampf: mehr Steuern, mehr Europa. Bei den Wählern löst das bisher keinen frenetischen Jubel aus. Und Merkel hat die SPD lange einfach ignoriert.
von Andreas Höß, Euro am Sonntag
Gleich die ersten Worte machen klar, dass da jemand mutig in den Ring steigt. „Ich will Kanzler werden“, beginnt Peer Steinbrück seine Rede. Es ist April, 161 Tage sind es noch bis zur Bundestagswahl am 22. September, die Sozialdemokraten stecken im Umfragetief. Auf dem Augsburger SPD-Parteitag wird trotzdem gejubelt. Steinbrücks Rede ist endlich ein Befreiungsschlag, hofft die Partei.
Acht Minuten Applaus bekommt Steinbrück damals. Er erzählt von der Altenpflegerin Britta, von Martin, dem Mieter, und Heidi, der Sparerin, die sich um ihr Geld sorgt. Mit griffigen Beispielen bringt er Leben in das Wahlprogramm der Sozialdemokraten, das die rund 600 Delegierten an diesem Tag beschließen werden. Der Titel: „Das Wir entscheidet“. Ein Slogan, mit dem ausgerechnet eine Leiharbeitsfirma wirbt, wie kurz zuvor bekannt geworden ist.
Die Episode um den Augsburger Parteitag ist symptomatisch für die gebeutelte SPD um Kanzlerkandidat Steinbrück, mit dem die Wähler bisher nicht warm werden. Die SPD hat auf Angriff umgeschaltet, würde gern Treffer erzielen. Doch statt leichtfüßig durch den Ring zu tänzeln, tritt sie — siehe Wahlslogan — regelmäßig in Fettnäpfchen.
SPD setzt auf einen Linksruck
Dabei haben die Sozialdemokraten tatsächlich ein lesenswertes Alternativprogramm zur Merkel-Politik geschrieben — egal was man letztlich davon hält. „Wir werden die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger wieder in den Mittelpunkt der Politik stellen — und nicht die Interessen anonymer Finanzmärkte“, heißt es dort. Wohlstand müsse anders verteilt, Europa stabilisiert werden. Das kostet. Deswegen sollen Spitzensteuersätze oder die Abgaben auf Erträge aus Aktien- und Finanzgeschäften steigen, Vermögen und wertvolle Immobilien besteuert werden. Der Fiskus hätte mehr Geld, könnte Schulden ab- und Sozialleistungen ausbauen sowie Europas Krisenländern unter die Arme greifen.
Ein Linksruck also, für den der Ex-Finanzminister und Volkswirt Steinbrück wohl öfter über seinen Schatten gesprungen ist. Union und FDP wirft er vor, Kosten für den Erhalt der deutschen Sozialsysteme und die Rettung des Euro zu verschweigen. Stattdessen lulle Merkel die Bürger ein und betreibe Klientelpolitik für Banken und Konzerne.
Doch die konfliktscheue Kanzlerin meidet die Auseinandersetzung. Sie wurstelt sich durch den Wahlkampf wie durch die Schuldenkrise. So blieb der SPD bis zum TV-Duell nur Schattenboxen. Und das mit der eigenen Vergangenheit: der Agenda 2010 von Altkanzler Schröder. Die Rosskur habe dem Land viel gebracht, heißt es. Bei den Bürgern steht sie dennoch nur für Hartz IV.
Die Agenda-Politik hat auch viele SPD-Wähler dauerhaft verprellt. Die große Versöhnung bleibt wohl auch 2013 aus. In Umfragen liegt die SPD nah an ihrem Horrorergebnis von 2009 (23 Prozent). Ihr Wunsch, mit den Grünen Schwarz-Gelb abzulösen, wird immer illusorischer. Und mit der Linken will man nicht.
So klammern sich die Sozialdemokraten an die Hoffnung auf einen Lucky Punch. Dieser könnte aber ausgerechnet Angela Merkel im einzigen persönlichen Schlagabtausch gelungen sein. Beamtenpensionen dürften nicht stärker steigen als Renten, hatte Steinbrück im TV-Duell gesagt. Merkel hatte ihm das sofort als Kürzungsplan ausgelegt, die Empörung der Beamten kam prompt. Immerhin: Dass viele Zuschauer Steinbrück angriffslustiger als Merkel fanden, könnte der SPD noch Luft für die letzte Runde geben.
Schulden und Finanzen
Staatsschulden abbauen, ohne dabei Zukunftsinvestitionen in Bildung, Forschung, Sozialsysteme oder Infrastruktur zu vernachlässigen. Dieses Ziel will die SPD erreichen, indem sie Steuern erhöht. Um die Schulden- und Bankenkrise in den Griff zu bekommen, will sie Hilfsfonds schaffen: einen durch Bankenabgaben gespeisten Bankenrestrukturierungsfonds, einen europäischen Schuldentilgungsfonds, in den Europas Staaten einzahlen, oder einen durch Vermögensabgaben gefüllten „Europäischen Investitions- und Aufbaufonds“, der die Wirtschaft in Europa ankurbeln soll. Tendenz: mehr Schuldenvergemeinschaftung in Europa, getragen durch höhere Steuern für Besserverdiener und Banken. Die Genossen planen, Banken in Geschäfts- und Investmentbanken aufzuspalten.
Investmentbanken müssten höhere Abgaben zahlen, für sie gäbe es strengere Regeln. „Kein Finanzmarkt, kein Finanzprodukt, kein Markt darf in Zukunft unreguliert sein“, sagen die Sozialdemokraten. Für Anleger heißt das: Die Transaktionsteuer für Geschäfte mit Aktien, Anleihen oder Derivaten würde sicher kommen. Die Abgeltungsteuer will die SPD erhöhen. Zudem sollen Spekulationen mit Nahrungsmitteln oder Rohstoffen ebenso verboten werden wie der Hochfrequenzhandel. Intransparente Handelsplätze will die SPD regulieren, den Finanzverbraucherschutz stärken, etwa durch eine Begrenzung der Dispozinsen auf acht Prozent über Leitzins und Geldautomatengebühren auf zwei Euro. Fördern will die SPD Investitionen in die Realwirtschaft, Mittelständler sollen sich leichter am Kapitalmarkt finanzieren können.
Steuern und Abgaben
Die SPD plant massive Steuererhöhungen. Das Parteiprogramm sieht eine Vermögensteuer vor, laut Positionspapieren könnte sie bei einem Prozent ab einer Million Euro liegen. „Omas kleines Häuschen“, wie Altkanzler Schröder es nannte, soll von der Vermögen- und auch von der Erbschaftsteuer befreit bleiben, bei der es aber künftig weniger Ausnahmeregelungen geben soll. Detaillierte Pläne bietet das SPD-Programm zur Einkommensteuer. Ab einem zu versteuernden Einkommen von 100.000 Euro (200.000 bei Paaren) stiege der Spitzensteuersatz von 42 auf 49 Prozent. Das Ehegattensplitting würde im Fall einer Regierungsübernahme durch einen Partnerschaftstarif ersetzt, die Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge (Aktiengeschäfte) von 25 auf 32 Prozent erhöht. Steuerbetrug soll schärfer verfolgt, Verjährungsfristen verlängert, beteiligte Banken mit Sanktionen belegt werden. Ausnahmeregelungen bei der Erbschaftsteuer will die SPD zurücknehmen, den Rentenbeitrag erhöhen.
Soziales und Bildung
Mit den höheren Steuern und Abgaben will die SPD unter anderem Ausgaben im Bereich Bildung und Soziales finanzieren. Wer 45 Versicherungsjahre vorzuweisen hat, soll ab 63 abschlagsfrei in Rente gehen können. 850 Euro Mindestrente soll es geben, die Ostrenten sollen an das Westniveau angepasst werden. Auch 20 Milliarden jährlich mehr für Bildung stehen im SPD-Programm (die Hälfte vom Bund, die Hälfte von den Ländern und aus der Vermögensabgabe). Die Sozialdemokraten fordern einen Rechtsanspruch auf Ganztagesbildung und -betreuung. Das Betreuungsgeld wollen sie streichen und so zwei Milliarden Euro einsparen, die in den Kita-Ausbau fließen würden. Für Familien unter 3.000 Euro Einkommen sieht die SPD 140 Euro mehr Kindergeld vor. Ferner ist eine Bürgerversicherung geplant, in die privat Versicherte zurückwechseln können, was die Kosten für die Krankenversicherung drücken soll. Ein Heizkostenzuschuss und eine Mietpreisbremse (maximal zehn Prozent über ortsüblicher Vergleichsmiete) sind ebenfalls avisiert.
Wirtschaft und Arbeit
Die SPD will eine „Neubegründung der Sozialen Marktwirtschaft“. Ökologischer soll es zugehen, nachhaltiger und vor allem sozialer. Die These: Deutliche Lohnsteigerungen seien im „gesamtwirtschaftlichen Interesse“. Deshalb setzt sich die SPD für 8,50 Euro Mindestlohn ein. Dem Fiskus soll das über Steuern und geringere Ausgaben (etwa für „Aufstocker“) sieben Milliarden Euro im Jahr bringen. Die sachgrundlose Befristung von Arbeitsplätzen wollen die Sozialdemokraten abschaffen, Leiharbeitern sichern sie gleiche Löhne und unbefristete Verträge mit Leiharbeitsfirmen zu. Den Rotstift sollen Unternehmen in der Chefetage ansetzen. Dort sollen Boni begrenzt und hohe Vergütungen schwerer absetzbar werden. Vor allem Konzerne und AGs haben die Sozialdemokraten im Visier: Statt auf das Aktionärswohl sollen sie sich durch Mitarbeiterbeteiligungen und mehr betriebliche Mitbestimmung auf das Wohl der Allgemeinheit und der Mitarbeiter verpflichten. Um die Steuerflucht von Großkonzernen zu verhindern, fordert die SPD einheitliche EU-Mindessteuersätze für Unternehmen.
Den Mittelstand sieht sie als „Erfolgsfaktor“, um „neue Leitmärkte“ wie Mobilität, Gesundheit oder Energie zu erschließen. Die SPD will, dass Forschungsinvestitionen auf mehr als drei Prozent des BIP steigen. Betriebsvermögen und Erbschaften wollen die Genossen „mittelstandsfreundlich“ und abhängig vom Erhalt der Arbeitsplätze besteuern, dabei die Unternehmenssubstanz erhalten. Um die Energiewende weiterzutreiben, plant die SPD ein Energieministerium. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz soll „grundlegend reformiert“ werden, um Überförderung zu verhindern und zugleich Planungs- und Investitionssicherheit zu schaffen. Um die hohen Einspeisevergütungen zu kompensieren und Strom für Verbraucher erschwinglich zu halten, möchten die Sozialdemokraten die Stromsteuer kürzen. Den Ausbau der Stromnetze will die SPD forcieren, zum Beispiel über Bürgerbeteiligungen.
Fazit
Kompromissbereit?
Im TV-Duell drängte sich der Eindruck auf, Merkel sei fast schon in der Großen Koalition angekommen. Und die SPD? Will sie regieren, bleibt ihr laut Umfragen gar keine andere Möglichkeit. Dafür müsste sie aber viele Forderungen aufgeben.