Nachhaltigkeitskriterien

ESG-Fonds könnten Flut an Überprüfungen mit sich bringen

22.09.22 23:47 Uhr

ESG-Fonds könnten Flut an Überprüfungen mit sich bringen | finanzen.net

Nachhaltigkeitskriterien finden bei immer mehr Fonds Berücksichtigung. Doch wer sein Finanzprodukt als ESG-Fonds platzieren will, muss im Rahmen der Maßnahmen des Europäischen Green Deal seine Reihe von Transparenzanforderungen erfüllen und öffnet sich daher für eingehende Überprüfungen.

• Green Deal der EU zurrt verbindliche ESG-Kriterien fest
• Zahlreiche Fonds nach verschiedenen Nachhaltigkeitskriterien umgestuft
• Einstufung nach Artikel 6, 8 oder 9 öffnet Tür für Überprüfungen durch Regulierer

Im Jahr 2019 hat die Europäische Kommission den Green Deal auf den Weg gebracht, um die Europäische Union bis 2050 zur Klimaneutralität zu führen und nachhaltiges Wirtschaften zu fördern. Teil des Deals sind umfangreiche Maßnahmen für die unterschiedlichsten Wirtschaftssektoren. Ein wichtiger Aspekt dabei stellt das Konzept der "Sustainable Finance" dar, also einer nachhaltigen Finanzbranche. Konkret bedeutet dies, dass Nachhaltigkeitskriterien Berücksichtigung in den Entscheidungsprozessen bei Investitionen und Finanzierungen finden sollen. Dafür wurden verschiedene ESG-Kriterien festgelegt.

Einstufung in verschiedene ESG-Klassen

Banken, Vermögensverwalter, Versicherungen oder auch institutionelle Investoren spielen eine wichtige Rolle dabei, die EU auf dem Weg Richtung mehr Nachhaltigkeit zu unterstützen. Deshalb wurde für Finanzunternehmen eine speziell zugeschnittene Regulierung, die Sustainable Finance Disclosure Regulation SFDR etabliert. Nach dieser Regulierung müssen die Finanzinstitutionen offenlegen, inwiefern Nachhaltigkeitskriterien in ihre Entscheidungen eingeflossen sind und welche Nachhaltigkeits-Auswirkungen ihre Finanzprodukte haben. ESG-Finanzprodukte können nach verschiedenen Kriterien platziert werden, an die wiederum verschiedene Transparenzpflichten geknüpft sind. ESG-Produkte nach Artikel 6 stellen dabei die geringsten Anforderungen dar. Hier muss lediglich offengelegt werden, ob und inwiefern Nachhaltigkeitskriterien beim Investment in Betracht gezogen wurden. Wenn sie dies nicht der Fall war, muss dies ebenfalls kommuniziert und begründet werden.

ESG-Finanzprodukte nach Artikel 8 werden auch als "hellgrüne" oder "light green"-Fonds bezeichnet. Diese Art Fonds verfolgt eine dezidierte ESG-Strategie und bewirbt diese auch, was transparent kommuniziert und auch im Jahresabschluss erwähnt werden muss. Den höchsten ESG-Standard bieten jedoch Fonds nach Artikel 9. Sie fallen in die Kategorie "dunkelgrün" oder "dark green". Diese Finanzprodukte folgen nicht nur einer konkreten ESG-Strategie, sondern verpflichten sich einem erklärten Anlageziel. Auch dies geht mit einer umfangreichen Transparenzpflicht einher. Die verschiedenen Fonds-Kategorien wurden geschaffen, damit es Anlegern leichter gemacht wird, fundierte Investmententscheidungen zu treffen.

Zahlreiche Fonds umgestuft

Seit der Einführung des Green Deal und der verschiedenen ESG-Standards wurden daher zahlreiche Fonds so umklassifiziert, wie sie den verschiedenen Artikeln entsprechen. Wie Bloomberg berichtet, erfreut sich die Kategorie nach Artikel 8 dabei besonders großer Beliebtheit. Seit ihrer Einführung im März letzten Jahres seien mittlerweile rund 700 Fonds in der EU dieser ESG-Klasse zugeordnet worden. Wie Daten von Morningstar zeigen, umfasst das Volumen dieser Fonds rund 3,8 Billionen US-Dollar, was der Hälfte aller in der EU beheimateten Fonds entspricht.

Allerdings gehen mit der Einstufung nach Artikel 8 wie bereits beschrieben eine Reihe von Offenlegungs- und Transparenzpflichten einher, was die Tür für Überprüfungen seitens der Regulatoren und Investoren öffnet. Davor warnten jüngst die Anwälte der Vermögensverwalter, die die Umklassifizierung der Fonds durchgeführt haben, berichtet Bloomberg. Damit können sich auch schon lang bestehende Fonds, die nun neu eingestuft wurden, einer Überprüfung nicht entziehen.

Wie Ciara O’Leary von der Anwaltskanzlei Dechert LLP gegenüber dem Nachrichtenportal erklärt, sei die Einstufung von den Assets Managern insbesondere "auf Druck von den Betriebskanälen" erfolgt. Dabei stellt insbesondere das ESG-Regelwerk, welches in den anderthalb Jahren seit seiner Einführung stetig angepasst wurde, die Finanzbranche vor große Herausforderungen.

Laut Morningstar wurden im zweiten Quartal 2022 weit über 600 Fonds von Artikel-6-Fonds auf Artikel-8-Fonds heraufgestuft. Lediglich 16 seien von Artikel 9 auf Artikel 8 herabgestuft worden. Allerdings hat das Datenanalyseunternehmen bereits herausgefunden, dass 23 Prozent der Fonds der Klasse Artikel 8 auch Waffenhersteller, Öl-Giganten und Tabak-Unternehmen beinhalteten, weshalb sie eigentlich nicht den ESG-Kriterien genügen.

Vermögensverwalter in der Zwickmühle

Darüber hinaus sagen Fondsmanager, dass sie von ihren Vertriebspartnern dazu gedrängt werden, mehr Artikel-9-Fonds anzubieten. So seien laut Morningstar im letzten Jahresviertel sechs Milliarden US-Dollar in eben solche Fonds geflossen. Artikel-8-Fonds hätten im gleichen Zeitraum hingegen einen Abfluss von 30 Milliarden US-Dollar gesehen. Dabei steigt mit der höheren Klassifizierung nicht nur das Risiko, wieder abgestuft zu werden, sondern auch die Wahrscheinlichkeit, "von einem Investor, einer NGO, einem staatlichen Regulierer" verklagt zu werden, weil die Kriterien nicht genauestens erfüllt wurden, zitiert Bloomberg den Juristen Ken Rivlin. "Es ist wichtiger als je zuvor, dass die Fakten mit den Aussagen darüber, was ein Fonds tut, zusammenpassen. Und das ist eine richtige Veränderung für diese Fonds, weil die Nachfrage so groß ist". Laut O’Leary sollte auch die Gefahr eines Downgrades nicht herabgesetzt werden. Eine solche Möglichkeit sollte in Bezug auf Falschdarstellung oder Verkauf unter Vorgabe falscher Behauptungen in Betracht gezogen werden.

Die Umklassifizierung der Fonds erfolgt bei vielen Vermögensverwaltern jedoch auch, weil sie jetzt mehr Anleitung seitens der Regulierer haben. Es kommen aber auch noch neue Regeln hinzu. So wurde jüngst eine EU-Direktive so angepasst, dass Finanzberater nun die ESG-Präferenzen der Anleger abfragen und diese dann auch erfüllen müssen.

Aufgrund dieser zahlreichen Neurungen seien nicht wenige Vermögensverwalter laut O’Leary "ein bisschen nervös, weil sie sich auf Neuland befinden." So wollen sich die Fonds-Anbieter auch nicht unter wert verkaufen oder herabstufen, wenn sie es nicht absolut müssen, aber sie seien auch "würden auch etwas zwischen den Stühlen sitzen."

Redaktion finanzen.net

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