Schwellenländer mit Verantwortung
Der weltweite Trend zu höheren sozialen Ansprüchen bei der Kapitalanlage umfasst auch Investments in Schwellenländern. Gastautor Wim van Hyfte erklärt, nach welchen Kriterien seine Fondsgesellschaft diese Märkte auswählt.
von Wim Van Hyfte, Gastautor für €uro am Sonntag
Niedrige Zinsen machen Industrieländeranleihen zurzeit nur begrenzt interessant. Auf der Suche nach Alpha richten Investoren ihren Blick daher vermehrt auch auf Anleihen aus Schwellenländern. Die Zuflüsse in entsprechende Produkte sind weiter signifikant, sie bieten aktuell Renditen um die 6,5 Prozent bei einer Volatilität um acht Prozent
bei Hartwährungsanleihen sowie zwölf Prozent bei Lokalwährungsanleihen. Die Aufwertungen bei den Lokalwährungen dürften zudem für zwei bis drei Prozent extra sorgen.
Fest steht aber auch, dass neben Rendite und Volatilität nicht finanzielle Investmentkriterien eine immer wichtigere Rolle bei Investitionsentscheidungen spielen. Schwellenländer sind in der Regel volatiler und politisch riskanter. Aus Nachhaltigkeitssicht sind diese Länder spezifischen Herausforderungen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance (ESG) ausgesetzt, bieten aber gleichzeitig auf lange Sicht große Investitionsmöglichkeiten. Die Integration von ESG-Kriterien ermöglicht daher eine lohnende und nachhaltige Investition in eine der interessantesten Anlageklassen.
Nachhaltige und verantwortungsvolle Investments in Schwellenländern sind dennoch anspruchsvoller als in den Industrieländern. Vor allem fehlt es an Transparenz und die Berichterstattung ist oft unzureichend und mangelhaft. Hinzu kommen eine deutliche Sprachbarriere, ein Mangel an objektiven Informationen sowie manchmal auch eine niedrigere Geschäftsethik. Zum Teil hat das kulturelle Gründe. In Europa und in den USA regeln zudem immer mehr Vorschriften das Berichtswesen der börsennotierten oder Bonds begebenden Unternehmen.
Einzig Griechenland erfüllt die ESG-Standards derzeit nicht
Die Emerging Markets sind hier noch nicht so weit. In den Industrieländern war es vor etwa 20 Jahren ähnlich - und es wird nicht so lange dauern, bis die Schwellenländer aufschließen. Die Nachhaltigkeits-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen formulieren im Übrigen eindeutig die Notwendigkeit, nicht nur wirtschaftliche Daten der Länder zu berücksichtigen, sondern explizit eine nachhaltige Entwicklung zu fördern.
Die herkömmlichen SRI-Methoden und -Strategien (Socially Responsible Investment), die in den Industrieländern bekannt sind, reichen unserer Meinung nach nicht aus, um die Emerging Markets angemessen zu bewerten. Bei Candriam versuchen wir deshalb, diesen Zielen beispielsweise mit unserer ESG-Länderanalyse gerecht zu werden. Sie umfasst seit 2012 eine ganzheitliche Länderbewertung, die Umwelt-, Sozial- und Governance-Chancen und -Risiken berücksichtigt. Gemäß unserer Auffassung sind das wesentliche Faktoren für die langfristige Wertschöpfung von Staatsanleihen.
Der aktuelle ESG-Länderreport nimmt insgesamt 123 Länder unter die Lupe, darunter 35 Industrienationen. Nach unserer Analyse sind davon 34 Länder für Investments geeignet, die ESG-Richtlinien entsprechen (ESG: Environment Social Governance, also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung); einzig Griechenland erfüllt hier die Standards derzeit nicht. Von den getesteten 88 Emerging und Frontier Markets erfüllen 40 die Kriterien einer Anlage nach SRI-Standards.
Die Analyse basiert auf den vier Bereichen Humankapital, Soziales, Umwelt und Wirtschaft, die die meisten aller 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) der Vereinten Nationen abbilden. Eine Strategie, die diese ESG-Kriterien systematisch integriert, bildet auch aus Risiko-Rendite-Perspektive eine gute Basis für bessere Investitionsentscheidungen. Eine nachhaltige Entwicklung in allen Bereichen beeinflusst auf lange Sicht direkt die Kreditwürdigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstumspotenzial der Länder.
Viele Schwellenländer haben sich in den letzten Jahren verbessert und erreichen in unserer aktuellen Analyse relativ gute Nachhaltigkeitsbewertungen, darunter osteuropäische Länder wie Slowenien, die Tschechische Republik und Polen. Länder wie Indonesien, Chile, Elfenbeinküste, Mexiko und Indien haben sich ebenfalls, allerdings in geringerem Umfang, weiterentwickelt. Indien und Polen haben indes in anderen Bereichen, wie zum Beispiel Humankapital- und Ressourcenmanagement, gegenüber dem Vorjahr nachgelassen.
Verbesserung der Bewertung in afrikanischen Ländern
In der Gruppe der größten Schwellenländer war in China und Indien eine Neuorientierung hin zu einem grüneren Wachstum zu beobachten. Sie setzen, im Unterschied zu Russland und Brasilien, ambitionierte Programme für erneuerbare Energien um. Die Bewertung der Türkei hat sich aufgrund des zunehmend autokratischen Kurses der Regierung Erdogan verschlechtert. Der Faktor Autokratie war auch die Ursache für die schlechtere Gesamtwertung vieler asiatischer Länder, die in den Bereichen Humankapital und Wirtschaft sonst gut abschneiden.
Eine Verbesserung in den Bewertungen sehen wir auch in mehreren afrikanischen Ländern, da eine wachsende Zahl unter ihnen von der Globalisierung profitiert. In der Elfenbeinküste sollte eine Verbesserung der öffentlichen Verwaltung zu einem höheren Nachhaltigkeitswert führen. Im Nahen Osten und in Nordafrika werden sich Marokko
und Tunesien allmählich verbessern, vorausgesetzt, sie schaffen es, sich vor politischer Instabilität und Unsicherheit zu schützen.
Der SRI-Filter ermöglicht es also, in Länder zu investieren, die sich durch Nachhaltigkeit in den Bereichen Humankapitalmanagement, Ressourcen- und Umweltmanagement, Sozialkapitalmanagement sowie Geld- und Fiskalpolitik auszeichnen. Emittenten mit einer schwachen Beurteilung werden aus dem Anlageuniversum der SRI-Fonds konsequent ausgeschlossen. Mit diesem Ansatz verleihen wir der Überzeugung Nachdruck, dass nachhaltig wirtschaftende Länder die besten Aussichten auf eine stabile Entwicklung haben.
Das spricht etwa Investoren an, die solche Kriterien bei ihren Industrieländeranlagen bereits anwenden und das jetzt auch bei Emerging-Market-Investments wollen. Auch die sogenannten Millennials, also die heute 20- bis 30-Jährigen, legen Wert auf nachhaltige Anlagen. Oft hat die Schule hier ein Bedürfnis geweckt, und mehr als frühere Generationen sehen sie sich als Weltbürger. Auch vermögende Privatkunden schätzen nachhaltige Anlagen. Ferner gibt es einige institutionelle Investoren, die sich bei Investments in entwickelten Märkten durchaus zu eigenen SRI-Analysen imstande sehen, sich dies bei Emerging Markets aufgrund fehlender Erfahrung und fehlendem Know-how aber nicht zutrauen.
Neben wichtigen ESG-Überlegungen ist natürlich auch die Performance für Investoren entscheidend. Die Emerging-Markets-SRI-Strategien setzen sowohl durch ESG-Vorauswahl als auch durch eigene Finanzanalysen auf Alpha, wovon Anleger mittel- bis langfristig profitieren können.
Kein moralisches Urteil, sondern Risikobewertung
Vermögenseigentümer haben ein legitimes Interesse daran zu erfahren, wie ihr Kapital genutzt wird. Die systematische Integration von Nachhaltigkeit in die Analyse ist aufgrund ihrer Vielschichtigkeit keine triviale Aufgabe. Die ESG-Länderanalyse von Candriam bewertet Länder anhand eines rigorosen Analysetools, das die miteinander verbundenen ESG-Faktoren, auf denen Volkswirtschaften basieren, berücksichtigt.
Die Analyse der jeweiligen Aktienmärkte von Schwellenländern ist kein moralisches Urteil, sondern eine ganzheitliche Risikobewertung der Länder, die es den Anlegern ermöglicht zu entscheiden, wie sie ihre Mittel gemäß ihrer eigenen Grundsätze und Anforderungen am besten binden können.
Kurzvita
Wim Van Hyfte
Global Head of
Responsible Investments and Research bei Candriam
Van Hyfte ist seit 2016 Global Head of Responsible Investments and Research bei der Candriam Investors Group und damit verantwortlich für die Erforschung und Analyse von Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen.
Candriam Investors Group ist ein europäischer Multi-Manager und verwaltet ein Vermögen von etwa
112 Milliarden Euro.
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