Euro am Sonntag-Interview

Ukrainischer Botschafter Melnyk: "EU-Beitritt ist unser Ziel"

08.12.17 15:00 Uhr

Ukrainischer Botschafter Melnyk: "EU-Beitritt ist unser Ziel" | finanzen.net

Botschafter Andrij Melnyk über die Beziehungen zu Deutschland, zur EU sowie zu Russland und über die wirtschaftliche Situation in der Ukraine.

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von Emmeran Eder, €uro am Sonntag

Ein Diplomat wie aus dem Bilderbuch: Erst einmal schüttelt Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Deutschland, beim Besuch der Redaktion von €uro am Sonntag jedem Einzelnen höflich lächelnd die Hand und begrüßt ihn in perfektem Deutsch. Er wirbt bei seiner Tour durch Deutschland für den EU-Beitritt des Landes und mehr Investitionen in seine kriegsgebeutelte Heimat, die sich gerade von ­einer tiefen Rezession erholt. Kritisch äußert er sich zu Russland.



€uro am Sonntag: Herr Botschafter, seit vier Monaten besteht zwischen der Ukraine und der EU ein Assoziierungs- abkommen. Wie wirkt es sich aus?
Andrij Melnyk:
Positiv. Deutschland ist unser wichtigster EU-Handelspartner, 2017 erwarten wir acht Milliarden Euro Umsatz. Die deutschen Ausfuhren stiegen um 30 Prozent, auch unsere Exporte erhöhten sich stark. Zudem gibt es nun Visafreiheit für die Ukrainer.

Kommen nun viele ihrer Landsleute nach Deutschland?
Teilweise als Touristen. Aber auch als hoch qualifizierte Arbeitskräfte, vor allem als IT-Experten. Insgesamt leben in Deutschland fast 140.000 Ukrainer, darunter fast 10.000 Studenten. Sie sind für mich aber nahezu unsichtbar, weil sie sich sehr gut integriert haben.


2014 und 2015 schrumpfte die Wirtschaft der Ukraine insgesamt um 18 Prozent. Wie sieht es heute aus?
Inzwischen wächst sie wieder um 2,5 Prozent. Zudem haben sich unsere Währung, die Griwna, und die Staatsfinanzen weitgehend stabilisiert. Gut entwickelt hat sich der IT-Bereich, in dem rund 100.000 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Nur in den USA, China und Russland arbeiten mehr Leute im IT-Sektor.

Welche Rolle spielen deutsche Unternehmen für die Ukraine?
Über 4.000 deutsche Firmen sind in meiner Heimat tätig. Allein in der Zulieferbranche schufen sie gut 30.000 Arbeitsplätze. Das autonome Fahren für deutsche Autobauer wird in Lemberg in der Westukraine entwickelt.


Wie wirkt sich der Krieg in der ­ Ostukraine auf die Wirtschaft aus?
Das Donezbecken macht nur fünf Prozent unseres Staatsgebiets aus, stand aber für fast 20 Prozent des Brutto­inlandsprodukts. Es war für uns wichtiger als das Ruhrgebiet für Deutschland. Darauf müssen wir nun verzichten, was die Ukraine hart trifft. Zudem blockiert Russland unsere Exporte. Wegen der Aggression sind fünf Prozent des BIPs für Verteidigung aufzuwenden.

Sind Sie trotzdem optimistisch?
Ja, aber wir müssen die Reformen noch vehementer anpacken. Etwa 3600 Firmen sind noch im Staatsbesitz und müssen privatisiert werden. Zudem dürfen Ausländer keine Agrarflächen kaufen. Das schreckt Investoren massiv ab. Im Finanzsektor tat sich vieles. Mehr als 80 ma­rode Banken wurden geschlossen.

Auch ein EU-Beitritt würde der Wirtschaft helfen?
Das ist unser Ziel. Deutsche Diplomaten sagen mir im Spaß, wenn ihr Nettozahler seit, könnt ihr sofort beitreten.

Da hätte Wladimir Putin sicher auch etwas dagegen. Und der sitzt fest im Sattel.
Die russische Präsidentenwahl 2018 findet am Jahrestag der Krim-Annexion statt. Das ist bewusst so gelegt. Nationalismus ist ja der einzige Trumpf Putins. Ökonomisch hat er sein Land nicht entwickelt, lieber verzettelt er sich in teuren Kriegen. Russland übernimmt sich damit auf Dauer finanziell, ist ein Koloss auf tönernen Füßen. Präsident Wiktor Janukowytschs Absetzung 2014 hat aber gezeigt, wie rasch ein politisches System kippen kann.

Haben Sie trotz des Krieges noch ­Kontakte nach Russland?
Wir waren stets gute Nachbarn mit engen Beziehungen. Meine Frau ist Halbrussin. Ihre Tante lebt in Moskau, ihre Mutter in der Ukraine. Die beiden telefonieren kaum. Wenn, dann reden sie nur über Gesundheit und das Wetter.

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