Didier Le Menestrel: "Man muss mit den Märkten spielen"
24.10.16 03:00 Uhr
Vor 25 Jahren gründete Didier Le Menestrel die Fondsboutique Financière de l’Echiquier. Heute zählt er zu den einflussreichsten Persönlichkeiten der Pariser Investmentszene.
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von Andreas Hohenadl, Euro am Sonntag
Die Sonne scheint durch die Südfenster, der Konferenzraum hat sich aufgeheizt. Didier Le Menestrel würde gern das Sakko ablegen, doch noch ist der Fotograf im Raum. Kaum hat dieser wenig später die Tür von außen zugezogen, hängt der Businesszwirn auch schon über der Stuhllehne. Warum sich das Leben schwerer machen, als es ist?
Le Menestrel liebt es unverkrampft. Er genießt seine Erfolge, hält sich aber nicht für unersetzlich. Das hat ihn ein Herzstillstand vor einigen Jahren gelehrt. Der veranlasste ihn, sein Unternehmen so umzustrukturieren, dass es auch ohne ihn laufen könnte. Muss es aber nicht. Vielmehr plant der Gründer und jetzige Verwaltungsratschef der Pariser Fondsgesellschaft Financière de l’Echiquier, das Wachstum zu forcieren - europaweit. Neben einer Filiale in Italien hat er zuletzt auch Niederlassungen in Frankfurt und der Schweiz eröffnet.
€uro am Sonntag: Herr Le Menestrel, ich habe gehört, Sie haben auf der Dachterrasse Ihres Pariser Büros Bienenstöcke. Ist das wahr?
Didier le Menestrel: Ja, wir machen unseren Honig selbst. Aber das ist nicht viel, pro Bienenstock vielleicht 25 Kilo im Jahr. Insgesamt bekommen wir aus zwei Stöcken 200 Gläser pro Jahr zusammen, die wir an Freunde oder Geschäftspartner verschenken können.
Das kommt gut an, oder?
Und wie. Eines Tages kam sogar eine Klientin aus China auf mich zu, die von dieser Geschichte gehört hatte, und sagte: Ich will meinen eigenen Bienenstock und meinen eigenen Honig von Ihnen. Und so haben wir dann diesbezüglich unsere "Assets under Management" erweitert. Wissen Sie, ich habe Dinge nie des Geldes wegen getan, sondern weil ich sie gut machen wollte. Weil sie unserem Unternehmen helfen, dem Vertrieb oder der Performance. Und in diesem speziellen Fall wollte ich einfach Entgegenkommen zeigen.
Was reizt Sie an der Bienenhaltung?
Ich will schlicht, dass es allen gut geht. Meine Firma ist dazu da, die Menschen glücklich zu machen. Die, die dort arbeiten, und die, die uns ihr Geld anvertrauen und dafür eine gute Rendite bekommen. Das Unternehmen soll jedem helfen, sich zu verbessern. Deshalb haben wir die Bienen, deshalb haben wir eine Sozialstiftung gegründet und deshalb haben wir zuletzt eine Kletterwand im Büro installiert. Wir haben auch eine der besten Kantinen in Paris, mit einem wunderschönen Ausblick. Das hätte auch mein Büro sein können, aber ich wollte, dass alle was davon haben.
1991 haben Sie Financière de l’Echiquier gegründet. In diesem Jahr ist 25-jähriges Jubiläum. Feiern Sie?
Nein. Wir haben unser 20-jähriges Jubiläum gefeiert, in diesem Jahr aber richtet sich unser Blick voll auf die Zukunft. Wir wollen uns selbst neu erfinden. Seit etwa drei Jahren bauen wir das Unternehmen um - mit einem neuen Generaldirektor und neuen Teams. Unser Ziel ist: noch bessere Performance. Wenn alle unsere Fonds in den Top-Ranglisten stehen, werden wir voller Stolz feiern können.
Echiquier heißt übersetzt "Schachbrett". Warum haben Sie diesen Namen für Ihre Firma gewählt?
Erstens weil der Name im Französischen gut klingt. Und dann befand sich unser erstes Büro in der Rue de l’Echiquier. Mein Partner und ich haben uns sehr schnell auf diesen Namen geeinigt. Heute weiß ich freilich, dass er für Deutsche oder Spanier schwierig auszusprechen ist.
Sind Sie zufrieden damit, wie sich Ihr Unternehmen entwickelt hat?
Als Unternehmer bin ich nie zufrieden. Aber als Verwaltungsratsvorsitzender kann ich sagen, dass die Firma heute in wesentlich besserer Verfassung ist als noch vor einigen Jahren. Die Finanzkrise 2008/2009 hatte uns wie die gesamte Branche getroffen. In den Jahren danach mussten wir uns sehr anstrengen. Unser Ziel war, wieder zu den besten Vermögensverwaltern in Frankreich zu gehören. Jetzt wollen wir in den Kreis der besten Vermögensverwalter Europas vorstoßen. Dafür mussten wir die Unternehmensstruktur anpassen. Aber nun ist die Zeit für Wachstum gekommen.
Einer Ihrer bedeutendsten Mitbewerber ist Edouard Carmignac, der auch Anlegern in Deutschland ein Begriff ist. Kennen Sie ihn gut?
Ja, ich kenne alle unsere Mitbewerber recht gut. Ich war schließlich einer der Ersten, die in Frankreich mit einer unabhängigen Vermögensverwaltung an den Start gegangen sind. Kurz zuvor hatte Carmignac diesen Schritt gewagt. Edouard ist einer meiner Freunde. Momentan ist er aber so beschäftigt, dass wir uns seltener sehen als früher.
Messen Sie sich mit seinem Erfolg?
Ich gönne ihm den Erfolg von Herzen. Edouard hat ihn sich hart erarbeitet, er ist Profi durch und durch. Außerdem verfolgt er eine vollkommen andere Anlagestrategie als wir: Edouard ist ein Asset Allocator. Für ihn steht die richtige Verteilung des Kapitals in die verschiedenen Anlageklassen im Vordergrund. Wir dagegen sind Stock-Picker und setzen auf aussichtsreiche Einzelwerte. Beide Ansätze funktionieren zu unterschiedlichen Zeiten gut.
Heute herrscht nicht nur Wettbewerb zwischen aktiven Vermögensverwaltern. Sie stehen auch in Konkurrenz zu passiven Investments wie ETFs. Spüren Sie den Druck?
Es ist definitiv eine Herausforderung für die gesamte Branche. Die Anlagen in passive Investments haben stark zugenommen, denn die entsprechenden Indizes haben sich seit 2008 nicht schlecht entwickelt. Doch ich bin zuversichtlich: Wenn das Risiko und die Volatilität wieder zurück sind an den Märkten, werden aktive Fondsmanager weit vor ihren Vergleichsindizes liegen. Heutzutage nehmen passive Investmentlösungen zu viel Raum in den Anlagestrategien ein.
ETFs haben auch ihre Vorteile.
Sicher. Ich denke auch, dass sich passive und aktive Investmentlösungen ergänzen. Es mag manchmal so aussehen, als ob der einzige Unterschied in den Gebühren läge. Das übt enormen Druck auf alle aktiven Manager aus. Sie müssen beweisen, dass sie für die höheren Gebühren tatsächlich einen Mehrwert für die Anleger schaffen. In den USA zum Beispiel nehmen ETF-Anbieter wie Vanguard einen immer größeren Marktanteil ein, und aktive Manager wie Franklin Templeton geraten unter Druck. Das ist definitiv noch nicht unser Problem. Denn wir sind ein Nischenanbieter. Trotzdem müssen auch wir zeigen, dass wir unser Geld wert sind.
Wie packen Sie das an?
Beim aktiven Management muss man bereit sein, mit dem Markt zu spielen. Die Dinge anders machen als die anderen - aber das mit viel Disziplin. Ein Beispiel: Nach 2008 waren die Aktien kleiner Unternehmen überhaupt nicht mehr gefragt. Viel Geld floss ab. Für mich war klar: Das ist ein Liquiditätsproblem und hat nichts mit den Fundamentaldaten zu tun. Doch ein paar Leute in meiner Firma sagten: Wir wissen, was du meinst. Aber unsere Small-Cap-Strategie ist nicht groß. Ja, habe ich geantwortet, gerade deshalb können wir uns damit vom Markt abheben. Unsere Kernkompetenz ist, Unternehmen und ihre Geschäftsmodelle zu verstehen - egal wie groß eine Firma ist. Wir haben dann vor drei Jahren unseren Micro-Cap-Fonds umgebaut. Ein neues Team, disziplinierter Ansatz. Heute sind wir sehr erfolgreich damit.
Sie legen großen Wert auf den direkten Kontakt zu den Firmen. Stimmt es, dass Sie früher mit dem Moped zu Unternehmensbesuchen in Paris gefahren sind?
Das stimmt. Und das hat mir definitiv einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Denn mit dem Motorroller war ich in der Stadt schnell unterwegs und konnte deshalb drei, vier oder fünf Unternehmensbesuche an einem Tag schaffen. Bei den Terminen für die Finanzanalysten war ich bekannt dafür, immer sehr spät zu erscheinen. Denn ich wollte mir das einleitende Blabla ersparen und keine Zeit verlieren. Ab Mitte der 90er hatte ich dann als Erster einen Laptop, in den ich die Unternehmenszahlen an Ort und Stelle eintippte. Ich wollte immer den kleinen, entscheidenden Vorsprung haben.
Einen Informationsvorsprung kann man heute auf diese Weise nicht mehr erreichen.
Stimmt, die üblichen Unternehmenszahlen und -informationen können heute alle gleichzeitig bekommen. Ein Mehr an Wissen versuchen wir allerdings durch unsere sogenannten Professional Calls zu erhalten. Wenn wir uns für ein Unternehmen interessieren, sprechen wir auch mit den Wettbewerbern oder den Zulieferern. Wir wollen ein umfassendes Bild bekommen.
War es für Sie früh klar, dass Sie im Finanzgeschäft arbeiten wollen?
Ja, absolut. Alle in meiner Familie sind Ingenieure. Ich wollte diese Laufbahn nicht auch noch einschlagen. Dennoch gab es einen Anknüpfungspunkt: Meine beiden Großväter und mein Vater waren Ingenieure in der Papierindustrie. Und als ich dann bei einem Broker anfing, war ich zunächst als Analyst für die Papierindustrie zuständig.
Was hat Sie dann getrieben, Ihr eigenes Unternehmen zu gründen?
Sowohl was das Geschäftliche angeht als auch mein Leben: Am liebsten habe ich Carte blanche. Ich starte gern mit einem unbeschriebenen Blatt Papier. Deshalb war ich sehr glücklich, als ich 1991 meine eigene Vermögensverwaltung gründen konnte, denn nun hatte ich alle Entscheidungen in meiner Hand.
Eine Ihrer Entscheidung war auch, das Unternehmen später eine Zeit lang zu verlassen. Vorausgegangen war ein Herzstillstand 2009. Wie kam es dazu?
Es passierte zwei Tage nach meinem 50. Geburtstag. Ich war joggen in Paris, 20 Kilometer. Und dann erinnere ich mich, dass ich zwei Tage später in der Klinik aufgewacht bin. Man erzählte mir, dass mein Herz aufgehört hatte zu schlagen und dass man mich wiederbeleben musste. Es war äußerst knapp. Wie es dazu kam? Im Krisenjahr 2008 war ich täglich von sechs bis zehn im Büro. Ich war für alle ansprechbar und habe den ganzen Stress der Mitarbeiter, Fondsmanager und Kunden mitbekommen. Ich spürte ein riesengroßes Gewicht auf meinen Schultern. Zu dieser Zeit bin ich viel gelaufen.
Und nach diesem Vorfall?
Bin ich zur Besinnung gekommen. Ich habe mich gefragt: Was ist wirklich wichtig in meinem Leben? Tatsächlich wusste ich das ja, hatte es aber wohl vergessen. Mir wurde jedenfalls klar, dass ich mich mehr um mich selbst kümmern musste. Als ich wieder zurückkam, wusste ich: Du kannst zwar dein Bestes geben, aber nicht für alle Zeiten. Kein Mensch ist unersetzlich.
Hat Sie der Vorfall auch bewogen, ein Jahr rund um die Welt zu reisen?
Ja, definitiv. Ich musste mich neu organisieren und brauchte Zeit zum Nachdenken. Und am Ende war ich bereit, von meinem Team zu hören: Okay, Didier, du hattest deine Zeit hier, jetzt brauchen wir dich nicht mehr. Aber davor hatte ich keine Angst. Ich dachte mir: Wenn die Firma gut läuft, lass die Leute einfach ihren Job machen.
Nun sind Sie doch wieder voll dabei.
Ja, der Punkt ist: Wenn ich aufwache, will ich etwas zum Guten bewegen. Und wenn die Dinge, die ich sehe, nicht gut sind, und sie liegen in meinem Einflussbereich, fühle ich mich verantwortlich. Es gab einfach noch so viel, was ich vorantreiben wollte, sodass ich im August 2011 wieder an Bord gegangen bin.
Von einem Verantwortungsbereich haben Sie sich 2011 aber endgültig getrennt: Sie haben das Management Ihres Flaggschifffonds Agressor an Damien Lanternier abgegeben. War das schwer nach so vielen Jahren?
Ehrlich gesagt fühle ich mich dem Fondsmanagement noch immer sehr verbunden, auch wenn meine Rolle mehr die beratende ist. Ich mag es einfach, mit dem Team um Damien zu diskutieren, wie sich dieses oder jenes Unternehmen entwickelt und was der nächste Schritt bei unseren Investments ist.
Wie kam es eigentlich zur Entstehung dieses Fonds?
Ursprünglich wollte ich einen sehr indexnahen und konservativen Aktienfonds machen. Doch dann überzeugten mich meine Freunde, etwas zu versuchen, was völlig anders war als die damals üblichen Fonds. Der Name sollte Agressor sein.
Ein ziemlich bedrohlicher Name …
Ja, aber er hatte zwei Vorteile: Erstens würde er weit vorn in den Fondslisten stehen. Zweitens wüsste gleich jeder, welches Chance-Risiko-Verhältnis in etwa mit dem Fonds verbunden ist. Das schien uns vor dem Hintergrund der Regulierung wichtig. Spaßeshalber haben wir damals gesagt: Wenn der Fonds ein Erfolg wird, bringen wir "Agressor II -die Rückkehr", ähnlich einer Filmfortsetzung. Aus dem anfänglichen Jux ist ein Anlageinstrument geworden, das mir sehr ans Herz gewachsen ist. Und dann war es natürlich schon schwierig, nach fast 20 Jahren das Ruder aus der Hand zu geben. Aber ich habe zu Damien gesagt: An dem Tag, an dem du übernimmst, werde ich mich raushalten.
Zum Schluss noch ein Blick auf die Aktienmärkte, Herr Le Menestrel. Ein guter oder ein schlechter Jahresausklang? 2016 sieht nicht so übel aus. Es hat zwar schlecht begonnen, aber ich habe schon früh gesagt: Das wird ein Jahr mit fünf Prozent. Ich denke, das ist immer noch möglich.
Vita
Der Anpacker
Didier Le Menestrel wurde 1959 in Grenoble geboren. Nach dem Wirtschaftsstudium arbeitete er zunächst als Finanzanalyst. 1991 gründete er zusammen mit einem Freund den Vermögensverwalter Financière de l’Echiquier, der heute knapp acht Milliarden Euro verwaltet. Le Menestrel gilt als äußerst talentierter Stock-Picker. Daneben kümmert er sich als Direktor des französischen Asset-Management-Verbands um das Thema Wettbewerbsfähigkeit und mit einer 2004 gegründeten Stiftung um sozial und beruflich benachteiligte Menschen in seinem Heimatland.
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