Schwellenländer

Der ideale Augenblick für BRIC-Investments

15.12.09 18:10 Uhr

Nie waren die Voraussetzungen günstiger, in Brasilien, Russland, Indien und China zu investieren, als heute. Davon ist Goldman-Sachs-Expertin Kathryn Koch überzeugt. Im Interview mit finanzen.net erklärt sie, warum.

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Von Jens Castner, Euro am Sonntag

Im Jahr 2001 prägte Jim O’Neill, Chefvolkswirt von Goldman Sachs, den Ausdruck BRICs, der heute in aller Munde ist. Die Abkürzung steht für die Länder Brasilien, Russland, Indien und China. Das Besondere an dem Konzept ist, dass vier der wichtigsten Schwellenländermärkte erfasst werden, die untereinander nur in geringem Maße korrelieren. Bis 2050 werden die vier Länder laut Goldman Sachs zu den fünf größten Volkswirtschaften der Erde zählen: China als Nummer 1 vor den USA, Indien auf Rang 3 knapp dahinter. Auch Brasilien und Russland werden bis dahin an Japan (derzeit Nummer 2) und Deutschland (heute Nummer 4 hinter China) vorbeigezogen sein. Finanzen.net sprach mit Kathryn Koch aus dem Fondsmanagement-Team von Goldman Sachs über die weiteren Aussichten.

Frau Koch, ganz ehrlich: Ist die BRIC-Story nicht langsam abgedroschen?

Kathryn Koch: Keineswegs. Die langfristigen Perspektiven sind besser als jemals zuvor. Vor allem die Infrastruktur-Investitionen werden für anhaltend hohes Wachstum sorgen. Mein Lieblingsbeispiel ist die U-Bahn in Peking: 2007 gab es gerade mal vier Linien, in fünf Jahren wird das Netz viermal so groß sein wie in Berlin.

Haben Sie noch ähnliche Vergleiche auf Lager?

Koch: Man muss sich nur vor Augen halten, dass die Anzahl der Arbeitnehmer mit mehr als 15.000 US-Dollar Jahreseinkommen – wir sprechen von einer Emerging Middle-Class – bis 2025 in den vier BRIC-Staaten um 200 Millionen steigen wird. Das sind so viele Menschen, wie in Deutschland und Japan zusammen leben. Und eine Milliarde Menschen wird in den nächsten Jahrzehnten neu in den Arbeitsmarkt eintreten.

Trotzdem gibt es Zweifler, die meinen BIIC, also Brasilien, Indien, Indonesien und China, wäre das aussichtsreichere Konzept.

Koch: Indonesien ist sicher ein faszinierendes Land mit hohem Wirtschaftswachstum. Aber es passt nicht in unser Konzept. Die BRICs sind geopolitisch und wirtschaftlich einzigartig, schon allein, weil Brasilien und Russland über die Rohstoffe verfügen, die Indien und China für ihr Wachstum und zur Verbesserung ihrer Infrastruktur benötigen. Deshalb wird der Handel der BRIC-Staaten untereinander weiter zunehmen, was zusätzlich dafür spricht, jetzt in diesen Ländern zu investieren.

Sie trauen Russland also noch einiges zu?

Koch: Russland ist bewertungstechnisch sehr günstig, sogar billiger als im Jahr 2001. Russische Unternehmen haben in der Regel sehr saubere Bilanzen und niedrige Schulden. Einige Firmen hatten eine Zeitlang Probleme mit kurzfristigen Verbindlichkeiten, aber es ist ihnen gelungen, sich längerfristig zu refinanzieren. Alles in allem, sieht das sehr gesund aus, zum Beispiel in der Stahlindustrie, die den Vorteil hat, dass Kohle im eigenen Land im Überfluss vorhanden ist. Durch den schwachen Rubel können russische Unternehmen billiger anbieten als die Konkurrenz. Auch dass der Arbeitsmarkt dort sehr flexibel ist, sehe ich als Wettbewerbsvorteil an.

Die Bewertungen in den anderen Ländern sind allerdings teilweise happig.

Koch: Neben Russland ist auch Brasilien im weltweiten Vergleich unterdurchschnittlich bewertet, Indien und China liegen etwas höher, was durch das stärkere Wachstum im Vergleich zu den entwickelten Märkten allerdings auch gerechtfertigt ist. Außerdem hat das auch mit der Zusammensetzung der Indizes zu tun. Indien beispielsweise ist recht technologielastig. Zusammengenommen machen die börsennotierten Unternehmen aus den vier BRIC-Staaten aber nur etwa sechs Prozent der weltweiten Marktkapitalisierung aus. Das entspricht ziemlich exakt der Kapitalisierung der Börse Japans. Und hier sprechen wir von einem Land, das seit Jahren ein Nullwachstum verzeichnet.

Wieviel BRIC sollten Anleger im Portfolio haben?

Koch: Ich würde bei nicht großartig vom Welt-Index abweichen. Der Investitionsgrad hängt vom individuellen Risikoverhalten und der Renditeerwartung des Investors ab, aber zwölf bis 13 Prozent des Depots in Emerging Markets zu stecken, die Hälfte davon in die BRICs, ist okay. Der Depotanteil wird über die Jahre automatisch wachsen, da nicht nur in den Aktien, sondern auch in den Währungen der BRIC-Staaten überdurchschnittliches Renditepotenzial steckt.

Allerdings auch überdurchschnittliches Risiko, oder?

Koch: Dass die Volatilität mitunter recht hoch ist, will ich nicht in Abrede stellen. Investoren mit niedrigem Risikoappetit sollten deshalb einen gestaffelten Einstieg suchen, am besten über einen langfristigen Sparplan.

Was sollen Sie als Fondsmanagerin auch anderes sagen?

Koch: Es hat sich einfach über die Jahre gezeigt, dass die Börsen kurzfristig sentimentgetrieben sind. Langfristig aber hat Wachstum die Tendenz, sich durchzusetzen. Wer vor dem Crash im Jahr 2008 einen Einmalbetrag investiert hat, konnte leicht zum falschen Zeitpunkt die Nerven verlieren. Anleger, die jeden Monat eine kleine Summe in BRIC-Produkte sparen, können jetzt entspannt zuschauen, wie der Rauch sich verzieht.

Sie betonen zum einen den Wachstumsaspekt, zum anderen argumentieren Sie sehr bewertungsorientiert. Was ist Ihnen wichtiger: Wachstum oder Value?

Koch: Wir streben eine gesunde Balance an. Wir halten in der Regel zwischen 60 und 100 Einzelwerte im Portfolio. Dabei versuchen wir, sowohl substanz- und dividendenstarke Titel zu identifizieren als auch wachsende Unternehmen, die vernünftig bewertet sind. Was wir meiden, sind Wachstumswerte, in deren Kurse bereits viel Zukunftsphantasie eingepreist ist. Derzeit beobachten wir zum Beispiel einige Aktien aus dem IT-Sektor in Indien, die uns trotz intakter Unternehmensstory und weiterhin guter Perspektiven zu teuer sind.

Gibt es weitere Unternehmen oder Branchen, die sie im Moment nicht anfassen würden?

Koch: Vorsichtig sind wir mit Unternehmen, die sehr stark vom Export in die entwickelten Märkte abhängig sind. Lieber sind uns Firmen, die von der robusten Binnenkonjunktur in den BRIC-Märkten profitieren.

Wo sehen Sie die größten Chancen?

Koch: Derzeit eindeutig im Finanzsektor, den wir gegenüber den Vergleichsindizes etwas übergewichtet haben. Die großen Player der Branche hatten von Anfang an im Vergleich zu europäischen oder amerikanischen Banken nur geringe Probleme mit toxischen Assets. Und falls doch, haben sie ihre Bilanzen sehr schnell und gründlich bereinigt.

Inwieweit kann man den Bilanzen überhaupt trauen?

Koch: Die Unternehmen, mit denen wir uns beschäftigen, bilanzieren nach internationalen Standards. Die Börsengesetze, vor allem in China, sind sehr streng, auf Manipulationen stehen drakonische Strafen. Insofern würde ich das Zahlenmaterial als recht verlässlich ansehen. Allerdings werden die Unternehmen viel weniger von Analysten begleitet als in den USA oder Europa. Das ist aber auch ein Vorteil: Es gibt deutlich mehr Ineffizienzen im Markt, die wir mit unserem Stockpicking-Ansatz ausnutzen können. Deshalb leisten wir uns ja auch ein relativ großes Team mit 26 Mitarbeitern in sieben Büros.

Bevorzugen Sie Standard- oder Nebenwerte?

Koch: Auch hier sind wir der Meinung: Die Mischung macht’s. In unserem Portfolio sind Small- und Midcaps ebenso zu finden wie weltbekannte Großkonzerne.

Frau Koch, wir danken für dieses Gespräch.

Kathryn Koch ist Teil des in London ansässigen Management-Teams für den GS BRICs Portfolio Fonds (ISIN: LU0234683448), der seit Jahresanfang 100 Prozent im Plus liegt. Im 26köpfigen BRIC-Team von Goldman Sachs verantwortet Kathryn Koch darüber hinaus den Dialog mit institutionellen Kunden, denen sie alle Fragen zu Investmentphilosophie und Anlagestrategie des Fonds beantwortet.