Interview

Griechenland wird wie Lehman enden

18.07.11 06:00 Uhr

Thomas Wacker, Anleihenexperte bei UBS, über drohende Staatspleiten, das Agieren der Ratingagenturen und den Dollar als Krisenwährung.

von Klaus Schachinger Euro am Sonntag

Euro am Sonntag: Herr Wacker, im Film „The Company Men“ über den US-Albtraum Arbeitslosigkeit, werden in einem Schiffsbaukonzern jahrelange Angestellte zu Tausenden gefeuert, einschließlich des Nachwuchs-Manager. In der Realität wird in Washington über die Erhöhung der Schuldengrenze gestritten und damit die Zahlungsfähigkeit der größten Volkswirtschaft gefährdet. Versteht Hollywood die Lage der US-Nation besser als ihre Politiker?
Thomas Wacker: Das Verhalten der US-Politiker hat skurrile Züge. Die USA ist zahlungsfähig. Es gibt keinen Grund für eine Insolvenz, außer das Land steht sich selbst im Weg. Die Politiker stellen das Wohl der Partei über das der Nation. Dennoch erwarten wir eine Einigung in letzter Minute.

Das Verharren der Arbeitslosigkeitsquote bei über neun Prozent und das schwache US-Wirtschaftswachstum zeigen, dass die Wirtschaft trotz Konjunkturhilfen nicht in Gang kommt.
Der Staat müsste eigentlich sparen. Das schwache Wirtschaftswachstum wird jedoch weitgehend über konjunkturelle Stützen gehalten. Wenn aber alles, wie bisher, dem Ziel obersten Ziel Wirtschaftswachstum untergeordnet wird, steigen die Belastungen überdurchschnittlich stark, wenn die Zinsen steigen. Die Amerikaner haben ihre Schulden mit sehr kurzen Laufzeiten und sehr niedrigen Zinsen refinanziert. Zwischen 2007 und 2010 ist die Staatsverschuldung um mehr als 30 Prozentpunkte gestiegen.

Die Konsequenz daraus?
Etwa 35 bis 37 Prozent der US-Staatsanleihen müssen während der kommenden 18 Monate refinanziert werden. Das ist ein permanent hoher Druck. Heute werden zehn Prozent der Staatseinnahmen für Zinszahlungen aufgewendet. Würden die Zinskosten um drei Prozentpunkte steigen, wären es schon 23 Prozent der Einnahmen. So oder so riskiert Amerika beim Kreditrating seine Bestnote AAA, entweder weil das Wirtschaftswachstum zu schwach ist, oder weil die Schuldenbelastung zu hoch ist. Amerika braucht deshalb auch Glück um die Bestnote zu behalten.

Dennoch war der Protest der US-Politiker verhalten, nachdem Standard & Poor’s drohte bei einem Scheitern der Verhandlungen zur Schuldengrenze das Rating auf die unterste Stufe zu senken.
Das ist nicht überraschend. Die Ratingagenturen werden in den USA nie so rüde in Frage gestellt, wie derzeit in Europa. Ihre Ratings werden unverändert geschätzt, trotz der großen Fehler, die sie bei der Bewertung von strukturierten Produkten gemacht haben und die Mitauslöser der Finanzkrise waren. Schließlich ist die Bewertung von Volkswirtschaften ihr Kerngeschäft. Die Agenturen können ihre Reputation mit einer Serie erfolgreicher Prognosen nachweisen.

Aus Sicht der europäischen Politiker haben die drei großen Agenturen daraus ein Oligopol mit wenig transparenten Bewertungen geschaffen, das jetzt zerschlagen werden muss.
Die populäre Theorie, dass US-Ratingagenturen Europa jetzt schaden wollen, ist Quatsch. Diese Debatte wird sehr inhaltsschwach geführt. Bei vielen Äußerungen ist sofort erkennbar, dass die Kritiker sich noch nie mit der Arbeitsweise einer Ratingagentur beschäftigt, oder einen Bericht gelesen haben. Die Behauptung von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, die Begründung für die Ratings sei intransparent, kann ich nicht nachvollziehen.

Nach Portugals Herabstufung hat Moody’s auch das Rating für Irlands Staatspapiere auf Ramsch-Niveau gesenkt. Sind das Brandbeschleuniger?
Nein. Was die Politiker zur Entschärfung der Schuldenkrise im Euro-Raum bisher geliefert haben, ist schwach. Die Agenturen bewerten, was sie sehen, die Zick-Zack-Politik in Brüssel. Ein komplexes Stückwerk, das die Probleme in den betroffenen Ländern nicht nachhaltig entschärft, sondern nur verlagert.

Würden europäische und asiatische Agenturen als Konkurrenz zu Moody’s und Co. die Situation entschärfen?
Nein. Es würde sehr lange dauern, bis diese Agenturen bei Investoren eine gleichwertige Reputation aufgebaut haben. Selbst wenn durchgesetzt würde, dass sich europäische Länder primär von diesen Agenturen bewerten lassen, würden Investoren das nicht akzeptieren. Damit würden sie sich gegen die Kräfte der Märkte stemmen. Bei der Zeichnung neuer Anleihen würden sie als Bedingung auf einer zusätzlichen Bewertung durch große Agenturen bestehen, oder einen zusätzlichen Risikoaufschlag fordern.


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Warum?
Weil die Prognosekraft der großen Agenturen über viele Jahrzehnte bestätigt ist. Ein Investor, der das Risiko seines Anleihenportfolios einschätzen muss, weiß relativ genau, wie hoch die erwartete Ausfallquote bei der jeweiligen Bonitätsnote ist. Zudem ist er grundsätzlich misstrauisch, wenn er bei einer Agentur Nähe zu staatlichen Institutionen nicht ausschließen kann. Außerdem gibt es lokale Ratingagenturen in Kanada in Japan oder in China.

Waren die jüngsten Herabstufungen der Kreditwürdigkeiten Portugals und Irlands notwendig?
Ja. Weil die Risken für Gläubiger Portugals und Irlands auch mit der Entwicklung in Griechenland zusammen hängen. In Athen ist klar, dass Gläubiger Verluste in Kauf nehmen müssen. Die Botschaft aus den Ratings für Portugal und Irland ist, dass auch dort Ähnliches droht. Bonitätsnoten im Investmentgrade-Bereich stehen für sicheres Investieren, nicht für Spekulation.

Die Europäische Zentralbank EZB ignoriert offensichtlich die Einschätzung der Ratingagenturen, wenn sie weiter Anleihen dieser Länder akzeptiert.
Mit Rücksicht auf die Bemühungen der Euro-Länder wäre es befremdlich, wenn die EZB eine harte Linie fahren würde. Die EZB akzeptiert diese Anleihen nur mit Abschlag als Sicherheiten und schützt damit ihre Interessen. Bei Griechenland hat sie die Mindestqualitätsregel außer Kraft gesetzt und verlangt dafür einen größeren Abschlag. Das verschafft Spielraum, ohne das Risiko für die Zentralbank überproportional zu erhöhen.Zudem wird über die Abschläge Druck auf die Länder ausgeübt,ihre Probleme selbst zu lösen.

Obwohl auch die Probleme mit der Staatsverschuldung auch in den USA eskalieren, sehen Devisenhändler beim Dollar jetzt kaum noch Abwärtspotenzial gegenüber dem Euro. Warum?
Weil es die Wahl zwischen zwei Übeln ist. Alle großen Währungen, die als Reservewährungen in Frage kommen, sind mit großen Unsicherheiten behaftet. Sichere Währungen, wie die Norwegische Krone oder der Schweizer Franken, sind für diesen Status zu klein.

Die stärkere Kontrolle des US-Wirtschaftsraums durch eine Instanz, die US-Notenbank, spricht also für den Dollar? Ja. Investoren wissen, dass Reaktionen der USA entschlossen und im großen Stil erfolgen. Während die europäische Politik ein Flickwerk bleibt. Die überraschend starke Wirtschaftserholung Deutschlands hat die Probleme der Euro-Zone überdeckt. Jetzt wird auch die Kraft der drittgrößten Volkswirtschaft im Euro Raum, Italien infrage gestellt.

Zu Recht?
Die Reaktion ist übertrieben. Allerdings ist eine nicht handlungsfähige Regierung ein ganz schlechtes Umfeld für Investoren. Italiens hohe Verschuldung, knapp 120 Prozent der Wirtschaftsleistung, ist keine Neuigkeit. Das Land hat sich immer durchgemogelt und nur das Nötigste getan. Die hohe Verschuldung macht Italien jetzt angreifbar.

Was bedeutet das?
Bisher konnte Italien fällige Anleihen immer günstiger refinanzieren. Mit dem jüngsten Anstieg der Risikoprämien für italienischen Staatsanleihen hat sich das gedreht. Es wird teurer. Auf diesem Niveau der Verschuldung sind sehr hohe Haushaltsüberschüsse notwendig, um den Schuldendienst abzudecken. Italien hat sich mit langen Laufzeiten refinanziert. Das ist ein Puffer. Nach zwei Jahren erhöhter Zinskosten wird die Schuldenlast Italien allerdings richtig wehtun.

Warum?
Solange die Euro-Krise dazu führt, dass viel Geld in deutsche Bundesanleihen fließt, und die Zinsen dort niedrig bleiben, kann es Italien verkraften, für seine Anleihen zwei bis 2,5 Prozentpunkte mehr zu zahlen. Kritisch wird es, wenn die Zinsen für Bundesanleihen steigen, der hohe Aufschlag für Italien bleibt, und im Staatshaushalt nur geringe Überschüsse erzielt werden. Noch hat diese Spirale nicht begonnen, aber Italien muss aufpassen.

Das heißt?
Neben einer glaubwürdigen und schnellen Umsetzung des Sparprogramms in Italien, muss Europa auf das Aufflackern von Spekulationen besonnen reagieren und nicht sofort neue Rettungsprogramme beschließen. Solange Griechenlands Schuldenproblem nicht gelöst ist, werden Investoren immer wieder Spekulationen provozieren.

Ist bei Staatsanleihen eine ähnliche Entwicklung wie nach der Pleite der US-Bank Lehman Brothers möglich?
Ähnlich wie bei Lehman, wo die Rettung an einem Wochenende im September 2008 gescheitert ist, wird es auch bei Griechenland eine gescheiterte Konferenz der EU Finanzminister geben. Mit dem Land wird es ähnlich zu Ende gehen, wie mit Lehman. Im September, bei der Revision des Währungsfonds, ist es dafür noch zu früh. Am Ende des Jahres, wenn Privatisierungen, nicht wie erwartet verlaufen, was ich erwarte, wird man auf den Januar hoffen. Im März dürfte die Abweichung von den Zielen schließlich so signifikant sein, dass sie nicht mehr wegdiskutiert werden kann.

Und dann?
Bis dann soll laut Plan die Hälfte der Privatisierungen abgeschlossen sein. Ich bezweifle, dass Griechenland unter diesem Zeitdruck die erhofften Preise bekommen wird. Schließlich stehen im März Anleihen im Wert von 14,5 Milliarden Euro zur Refinanzierung an, plus 1,5 Milliarden Euro Zinsen. Das ist viel Geld. Klappt es beim Haushalt und mit der Privatisierung nicht, dürfte der kritische Punkt überschritten sein. Spätestens dann werden sich Euro-Länder wie Italien fragen, ob sie sich weitere Hilfen für Athen leisten können.

Wird die Pleite einen Domino-Effekt auslösen?
Die Märkte und die Investoren hatten ausreichend Zeit, um sich vorzubereiten. Wer Griechenland-Anleihen weiter als solide Anlage einstuft, ist nicht von dieser Welt. An den Aktienmärkten wird die Pleite allerdings eine heftige Korrektur auslösen. Irland oder Portugal können nur bedingt unter Druck gesetzt werden, weil sie ihre Kredite zu festgelegten Zinsen bekommen. Spanien, Italien und Belgien müssen wieder an den Markt. Mit der Pleite wäre klar, dass sich schwächere Länder für eine sehr lange Zeit nicht mehr zu ähnlich günstigen Konditionen refinanzieren können, wie vor der Finanzkrise.

Was wären die Folgen?
Es macht zwei Alternativen deutlich. Eine fiskalische Union ohne Austrittsklausel, in der sich auch Länder wie Deutschland nicht mehr rausreden können, oder eine Union souveräner Staaten mit Austrittsklausel. Es ist klar, dass es Länder gibt, zu denen derzeit weder der Wechselkurs des Euro, noch die Geldpolitik der EZB passt. Die Politik der EZB ist auf Deutschland und Frankreich ausgerichtet, aber nicht für Länder wie Portugal gemacht. Der Verbleib dieser Länder in der Eurozone macht sie noch schwächer. Deutschland wird Gas geben, Frankreich wird versuchen mitzuhalten, ohne Rücksicht auf die schwächeren Euro-Länder.

Werden diese Länder freiwillig gehen?
Brüssel wird versuchen freiwillige Austritte zu verhindern. Die Austritte würden die Macht des Wirtschafts- und Währungsraums gegenüber den USA verringern, und sollte sich eines der Länder nach seinem Austritt schneller erholen als erwartet, wird es Nachahmer geben.

Was bedeuten höhere Refinanzierungskosten der hoch verschuldeten Länder für deren Unternehmen?
Langfristig ist das ein Wettbewerbsnachteil. Die Unternehmen können sich nur in Ausnahmefällen günstiger refinanzieren als der jeweilige Staat. Telekom Italia müsste mehr als drei Prozentpunkte Aufschlag auf die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen zahlen, während die Deutsche Telekom nur einen Prozentpunkt bezahlt. Bis auf weiteres haben sich Unternehmen jedoch mit Liquidität voll gesogen.

Trotz der große volkswirtschaftlichen Unsicherheiten, hohe Verschuldung in den Industrieländern und steigende Inflationsraten in den Schwellenländern, bleiben die Kapitalmärkte bisher robust.
Bei Anleihen halten sich die Investoren zurück, weil sie nicht einschätzen können, was als nächstes kommt. Entsprechend hoch sind die Risikoprämien für alles was damit zusammenhängt, also auch bei Papieren von Banken und Versicherungen hoch. Am Aktienmarkt überwiegt noch die Zuversicht. Dort scheint das zweite Halbjahr gerettet, zumindest in Bezug auf eine mögliche Pleite Griechenlands.

Ein Schwenk zu den Schwellenländern. Mit Blick auf das globale Wirtschaftswachstum wird ihnen eine Führungsrolle zugetraut. Bei den Länderratings wird das allerdings nicht reflektiert. Warum?
Der finanzielle Aspekt macht etwa 40 Prozent der Bewertung aus, während qualitative Bereiche, wie Nachhaltigkeit der Regulierung oder die Durchsetzbarkeit von Rechtsansprüchen von Personen und Unternehmen, den Rest der Bonität ausmachen. Das soll die Stabilität für Investments zeigen. Das sind Aspekte, die eine Demokratie auszeichnen. Nur gemessen an der Finanzstärke verdient China sicher ein sehr viel höheres Rating. Dagegen spricht aber Chinas großes Defizit bei der Rechtssicherheit. Bei Staaten wie Hongkong oder Singapur ist das anders. Die sind längst keine Schwellenländer mehr.

Und Brasilien?
Das Land ist wirtschaftlich stark. Die relativ hohe Schulden und notorisch hohe Zinssätze, engen den finanziellen Spielraum für die Regierung allerdings schon ein. Vor einiger Zeit hat Brasilien als großer Emittent inflationsgeschützter Staatsanleihen ein sehr starkes Versprechen zur Bekämpfung der Inflation gegeben. Auch heute ist das Land noch einer der größten Emittenten dieser Anleihen. Allerdings bekommt Brasilien die Inflation nicht in den Griff. Daher zahlt Brasilien bei inflationsgeschützten Papieren einen hohen Preis für sein Versprechen.