Wieder auf Kurs

Dieselkrise bei Volkswagen: War's das schon mit dem Abgasskandal?

16.01.17 20:51 Uhr

Dieselkrise bei Volkswagen: War's das schon mit dem Abgasskandal? | finanzen.net

Die Volkswagen-Aktie hat sich stark erholt und liegt mittlerweile bei rund 150 Euro. Zwar ist das immer noch weniger als vor dem Bekanntwerden des Abgasskandals, aber Anleger und Konzern scheinen die dunklen Zeiten hinter sich lassen zu wollen.

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Im September 2015 überschlugen sich die Schlagzeilen der Medienportale weltweit: Deutschlands größter Autobauer Volkswagen wurde von US-Behörden beschuldigt, eine Schummelsoftware für die Manipulation von CO2-Werten verwendet zu haben. Die Wolfsburger Konzernspitze räumt die Vorwürfe schließlich ein - In einem Dominoeffekt kommt es in den folgenden Wochen und Monaten zu zahlreichen weiteren folgenschweren Enthüllungen.

Betrug am Kunden - ein Skandal mit Folgen

Nachdem der Skandal öffentlich gemacht worden ist, folgt die erste absehbare Reaktion an der Börse: Die Volkswagen-Aktie legt eine Talfahrt aufs Parkett, die tiefrote Spuren in den Depots der Anleger hinterlässt. Auch Konzernchef Martin Winterkorn ist nicht mehr zu halten: Er muss sein Amt an der Konzernspitze niederlegen und die Verantwortung für die Ereignisse übernehmen. Der Konzern selbst bildet Rücklagen in Milliardenhöhe - zu ungewiss sind die Folgen auf die Geschäftsentwicklung, zu wenig absehbar die Kosten, die nun auf den VW-Konzern zukommen. Mit Vorlage der Bücher für das Geschäftsjahr 2015 wird das Ausmaß der Krise ein wenig deutlicher: 4,1 Milliarden Euro Verlust haben die Folgen des Skandals Europas größtem Autobauer beschert.
Auch in Deutschland gerät das Unternehmen zunehmend unter Druck. Zahlreiche VW-Kunden haben Strafanzeige gestellt, zu den Betrugsvorwürfen werden daraufhin Ermittlungsverfahren gegen Volkswagen eingeleitet.

Neue Konzernspitze soll aufräumen

Es folgt eine Reihe von Personalentscheidungen, die richtungsweisend sein sollen. Porsche-Chef Matthias Müller wechselt an die VW-Spitze. Der bisheriger VW-Finanzvorstand wird zum Oberaufseher im Aufsichtsrat und folgt auf den zurückgetretenen Ferdinand Piëch. Und die neue Konzernspitze greift gleich durch: Eine in der Konzerngeschichte einmalige Rückrufaktion wird eingeleitet, allerdings auf freiwilliger Basis. Dem Kraftfahrt-Bundesamt geht dies jedoch nicht weit genug: Die Behörde besteht darauf, dass in Deutschland alle 2,4 Millionen Fahrzeuge, die mit der Software ausgestattet sind, in die Werkstätten zurückbeordert werden. In Europa beläuft sich die Gesamtzahl auf 8,5 Millionen.
Doch die Hiobsbotschaften reißen nicht ab. Erneut ist es die US-amerikanische Umweltbehörde EPA, die VWs Bemühungen zur Eindämmung des Skandals zunichtemacht: Sie macht öffentlich, dass auch bei der VW-Sportwagentochter Porsche und bei Audi Motoren verbaut wurden, die die illegale Betrugssoftware enthalten. Das US-Justizministerium reicht daraufhin 2016 eine Klage gegen Volkswagen ein.

Nun macht sich der Skandal auch auf Kundenebene bemerkbar und schlägt sich in den Absatzzahlen des Unternehmens nieder. Erstmals seit mehr als 10 Jahren hat VW in einem Jahr weniger Fahrzeuge unters Volk gebracht als im Jahr zuvor. Eine Einigung zwischen der VW-Spitze und den Behörden in den USA scheitert an unterschiedlichen Vorstellungen der Beteiligten über die Reparaturen der betroffenen Fahrzeuge. Wenige Wochen später nimmt daraufhin der US-Chef von VW, Michael Horn, seinen Hut.

Die Krise nimmt auf finanzieller Ebene größere Ausmaße an, als VW bislang eingestehen wollte: Die Rückstellungen, die der Konzern bislang bilden musste, reichen angesichts der zu erwartenden Strafe offenbar nicht aus: Volkswagen erhöht die Rückstellungen auf 16,2 Milliarden Euro.

Ist das Schlimmste nun überstanden?

Während der Aufarbeitung des Skandals und der Verhandlungen von Konzernspitze und Behörden fassen die Anleger wieder Mut. Die VW-Vorzugsaktien berappeln sich und können zum Jahresstart 2017 wieder kräftig anziehen. Dazu trägt auch die Einigung bei, die die Wolfsburger mit dem US-Justizministerium erzielen konnten: VW zahlt im Einzelnen bei dem Vergleich 2,8 Milliarden Dollar, um strafrechtliche Ermittlungen wegen Manipulationen von Abgaswerten zahlreicher Dieselautos beizulegen. Darüber hinaus werden weitere zivilrechtliche Bußgelder von 1,5 Milliarden Dollar fällig. Bei Hunderten US-Zivilklagen von Kunden, Autohändlern und Behörden hatte sich VW bereits auf Vergleiche geeinigt, die über 17 Milliarden Dollar kosten könnten. Die bisherigen Rückstellungen dürften für die komplette Aufarbeitung und die Folgen des Betrugsskandals wohl nicht ausreichen.

Imagewandel durch Elektromobilität

Dennoch schaut man bei VW nach vorn. Um die Auswirkungen der Krise in Vergessenheit geraten zu lassen, plant das Unternehmen, in einem anderen Geschäftsmodell eine massive Offensive: Erklärtes Ziel von VW ist es, bis spätestens 2025 Weltmarktführer im Bereich Elektromobilität zu werden. Markenchef Diess soll bei den Niedersachsen kräftig aufräumen. Verbesserungspunkte sollen die magere Rendite und die zu hohen Fixkosten sein. Der Verbrennungsmotor soll der Geschichte angehören. Gleichzeitig sollen leistbare Elektroautos für die Masse produziert werden.

Die Zahlen sprechen für eine Erholung am Weltmarkt

Die Wolfsburger konnten sich trotz Folgen der Krise 2016 zum Weltmarktführer (10,3 Millionen Fahrzeuge) in der Automobilbranche krönen. Somit konnte Toyota vom Thron gestoßen werden. Sogar in den USA erhöhten sich die Verkaufszahlen. Unter dem Strich schrieb der Wolfsburger Konzern einen Gewinn von 2,3 Milliarden Euro im Jahr 2016. "Die Wolfsburger stehen vor allem deshalb so gut da, weil das China-Geschäft brummt. Die Verkaufszahlen dort steigen weiter und Volkswagen ist gut dabei", analysierte Autoexperte Stefan Bratzel die Erfolgsgründe der Niedersachsen. Nach der Abstrafung der Aktie infolge des Betrugsskandals stellen sich die erwarteten langfristigen Schäden geringer heraus als erwartet, da Volkswagen weiterhin zu den beliebtesten Marken überhaupt zählt.

Zudem spielt dem Konzern die Innovationsstärke in die Karten, welcher als Rüstzeug für den digitalen Wandel der Wirtschaft gilt. Mit einem Forschung- und Entwicklungsetat von 13,2 Milliarden US-Dollar sind sie weltweit führend. Sie profitieren weiterhin stark durch ihre finanzstarken Partner Audi, Porsche und Co. Anlageexperten erwarten eine Rückkehr des Volkswagen-Konzerns und der Finanzsparte an die Anleihemärkte zu dem Zeitpunkt, zu dem die Milliarden-Belastungen aus der Dieselaffäre weitestgehend bekannt sind.

Unterschätzten die Wolfsburger den europäischen Markt?

Doch auch wenn man bei der Aufarbeitung des Skandals vorankommt, wenn sich der Aktienkurs erholt und VW ambitionierte Pläne im Elektroautobereich hat: Das Bild der Marke VW als "Volkswagen" hat Risse bekommen. Viele Experten schätzten den Imageschaden als gravierend ein. Hinzu kommt, dass die Krise in Europa noch lange nicht bewältigt ist. Viele VW-Händler haben auf dem Heimatkontinent Vergleiche mit den Kunden abgeschlossen, um so Milliarden an Schadensersatz zu sparen. Und doch bleiben die rund 2,5 Millionen Kunden in Deutschland und acht Millionen in Europa, die weiterhin im Besitz eines betroffen Diesel-Autos sind, ein nicht einschätzbarer Kostenfaktor. Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe könnten sich sowohl auf die Geschäftsentwicklung als auch auf den Kursverlauf negativ auswirken. Die EU-Kommissarin für Justiz- und Verbraucherschutzfragen Jourova will im Februar mit VW-Chef Müller bezüglich der Frage nach einer möglichen Rücknahme der betroffenen Fahrzeuge durch VW-Händler von Seiten der Wolfsburger Bewegung sehen.

Wird Trumps Regierung die Einigung kippen?

Auch in den USA ist der Skandal mit dem beschlossenen Vergleich noch nicht endgültig vom Tisch. "Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen", zitierte die "Bild am Sonntag" einen VW-Manager, welcher namentlich nicht genannt werden möchte. Trump könnte den Deal mit dem Automobilkonzern nochmals platzen lassen und die Schadensersatzhöhe anpassen. Beschwichtigen könnte Trump jedoch, dass Anfang 2018 ein Standort für Elektroautos in den USA geplant sei. Nichtsdestotrotz bleibt das Verhältnis mit den Amerikanern sehr angespannt. Erst kürzlich wurde in den USA ein verantwortlicher VW-Manger verhaftet. Dem Manager drohen bis zu 169 Jahre Haft. Dem Mann und weiteren Beschuldigten wird vorgeworfen, im Zusammenhang mit der Dieselkrise Beweismaterial vernichtet zu haben.

Krise noch nicht vorbei

Es bleibt also spannend ob Volkswagen den Spagat zwischen Neuausrichtung der Konzernstrategie im Bereich Digitalisierung und Elektromobilität bewältigt und gleichzeitig die drohenden Konflikte in Europa und den USA in den Griff bekommt. Schafft es der Konzern alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, steht einem Wachstum nichts im Wege.

Redaktion finanzen.net

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