thyssenkrupp erwartet auch 2020/21 Milliardenverlust - thyssen-Aktie knickt ein
Nach massiven Einbrüchen im Stahl- und Automobilzuliefergeschäft hat thyssenkrupp das abgelaufene Geschäftsjahr 2019/20 ohne sein mittlerweile verkauftes Aufzugsgeschäft mit einem operativen Verlust (bereinigtes EBIT) von 1,63 Milliarden Euro abgeschlossen.
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Das Minus fällt damit etwas besser aus als von Analysten erwartet, aber um 1,5 Milliarden Euro höher als im Vorjahr, wie aus der in Essen vorgelegten Bilanz hervorgeht. Unter dem Strich blieb nach Wertberichtigungen und Restrukturierungskosten von zusammen 3,6 Milliarden Euro ein Fehlbetrag von 5,5 Milliarden Euro. Wie im Vorjahr soll es keine Dividende geben.
Konzernchefin Martina Merz rechnet angesichts der laufenden Sanierung zwar mit einer Besserung im neuen Geschäftsjahr. Gleichwohl erwartet sie unter dem Strich erneut einen Verlust von über 1 Milliarde Euro. Operativ dürfte durch dreistellige Millionenverluste im Stahl und bei den vor einem möglichen Verkauf stehenden Geschäftseinheiten ein bereinigter EBIT-Verlust von rund einer halben Milliarde Euro auflaufen. Auch die Mittelabflüsse werden sich fortsetzen: Beim Free Cashflow vor Portfolioveränderungen rechnet thyssenkrupp mit einem negativen Wert von rund 1,5 Milliarden Euro. Im abgelaufenen Jahr waren 5,5 Milliarden Euro verbrannt worden. Damit ist ein Teil der gut 15 Milliarden Euro Zufluss aus dem Verkauf des Aufzugsgeschäft schon wieder aufgezehrt.
thyssenkrupp will deshalb die Sanierungsbemühungen verstärken und zusätzlich noch einmal 5.000 Stellen abbauen, notfalls auch mit Kündigungen. Vergangenes Jahr war mit den Arbeitnehmervertretern bereits ein Abbau von konzernweit 6.000 Mitarbeitern ausgehandelt worden. Davon haben 3.600 den Stahl- und Industriekonzern bereits verlassen.
Weiterer Stellenabbau bei thyssenkrupp trifft vor allem Deutschland
Der drastische Stellenabbau beim Stahl- und Industriekonzern thyssenkrupp wird in den kommenden Jahren vor allem die Standorte in Deutschland treffen. Von den rund 7400 Arbeitsplätzen, die in den kommenden drei Jahren gestrichen werden sollen, entfallen 5300 auf Deutschland, wie Personalvorstand Oliver Burkhard am Donnerstag bei der Bilanzpressekonferenz mitteilte.
Im vergangenen Geschäftsjahr rissen die Corona-Krise sowie milliardenschwere Abschreibungen insbesondere im Stahlgeschäft das Unternehmen tief in die roten Zahlen. Für das neue Geschäftsjahr erwartet thyssenkrupp weitere Verluste. Deshalb will thyssenkrupp 5000 Stellen mehr abbauen als bisher geplant. Der Konzern hatte bereits im Frühjahr 2019 den Abbau von 6000 Stellen angekündigt, von denen 3600 bereits gestrichen wurden. Damit sollen noch insgesamt 7400 Arbeitsplätze wegfallen.
Positiver Cashflow hat für thyssenkrupp-Chefin höchste Priorität
Die Erzielung nachhaltig positiver Free Cashflows hat für thyssenkrupp-Konzernchefin Martina Merz Vorrang beim Umbau des Stahl- und Industriekonzerns. "Stop the bleeding" laute die Kernbotschaft derzeit an den Kapitalmarkt, sagte sie in der Bilanzpressekonferenz. Man werde bei der Kostensenkung nicht ruhen, versprach die Managerin, und weitere Restrukturierungsmaßnahmen entwickeln.
Bis zum vergangenen Mai habe man jeden Stein im Konzern umgedreht, um nach verdeckten Kosten und Potenzialen zu suchen. In der Pandemie zeige sich, dass die daraus entwickelte Planung nicht ausreichend sei. "Wir heben diese Steine nun nochmals auf", sagte Merz. Dem Aufsichtsrat sei bereits signalisiert worden, dass bis zum Frühjahr eine an die neue Situation angepasste Planung zu erwarten sei. Diese werde mit konkreten Maßnahmen unterlegt sein. Auf dieser Basis will Merz dann auch belastbare Aussagen zur mittelfristigen Cashflow-Entwicklung machen können.
thyssenkrupp sieht in Wasserstoffelektrolyse für sich Potenziale
thyssenkrupp sieht große Wachstumschancen beim Bau von Anlagen zur Erzeugung von Wasserstoff und prüft deshalb Optionen für das Zukunftsgeschäft. Der Konzern habe bei ganz großen Elektrolyseanlagen ein Alleinstellungsmerkmal, sagte Vorstandschefin Martina Merz auf der Bilanzpressekonferenz. Sie erwartet einen absolut boomenden Markt, noch sei der aber nicht richtig in Gang gekommen.
Um sich auf diesen Zeitpunkt vorzubereiten, seien zunächst viele Vorleistungen nötig, so Merz. Deshalb werde geprüft, gegebenenfalls einen Co-Investor ins Boot zu holen oder einen Technikpartner zu finden. Insgesamt sei die Entwicklung aber "sehr vielversprechend", weshalb entschieden worden sei, den Bau von Chemieanlagen nicht zu verkaufen.
thyssenkrupp will Grundsatzentscheidung für Stahl im Frühjahr
Im Frühjahr will thyssenkrupp nach den Worten von Vorstandschefin Martina Merz entscheiden, wie es im Stahlgeschäft weitergeht. Dann werde der Konzern erklären, ob er das Geschäft allein oder mit einem Partner vorantreiben wird. Das Ganze werde mit einem tragfähigen industriellen Konzept untermauert, sagte Merz in der Bilanzpressekonferenz. Später sprach sie von einer Entscheidung im März.
Derzeit werde daran gearbeitet, den Stahl auch als eigenständiges Unternehmen wettbewerbsfähig zu machen. Zum Übernahmeangebot von Liberty Steel wollte Merz keine Einschätzung abgeben. Hier sei Stillschweigen vereinbart worden.
Zu den Gesprächen mit der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen und dem Bund sagte Finanzvorstand Klaus Keysberg, es gehe nicht um eine Staatsbeteiligung sondern um staatliche Unterstützung. "Wir führen derzeit Gespräche, wissen aber noch nicht, wohin das führt." Keysberg sagte: "Die mit Abstand größten Herausforderungen für den Konzern liegen beim Stahl."
thyssenkrupp Steel Europe verzeichnete im abgelaufenen Geschäftsjahr einen Geldmittelverbrauch von 1,574 Milliarden Euro. 2020/21 soll der negative Free Cashflow auf einen niedrig dreistelligen Millionen-Betrag reduziert werden.
Cevian fordert größere Anstrengungen bei thyssenkrupp
Nach dem Milliardenverlust im vergangenen Geschäftsjahr hat der schwedische Großaktionär Cevian weitere Anstrengungen bei der Sanierung von thyssenkrupp gefordert. "Bisher ist noch nicht genug passiert", sagte Cevian-Partnerin Friederike Helfer, die bei dem kriselnden Industriekonzern im Aufsichtsrat sitzt. thyssenkrupp verliere weiter Milliarden und der finanzielle Spielraum schmelze, kritisierte sie. "Wettbewerber haben in der Corona-Krise massiv durchgegriffen und ziehen weiter davon." Es tue weh, das anzusehen, "denn es müsste so nicht sein".
Bei thyssenkrupp sei es ein Sanieren gegen die Zeit. Vorstandschefin Martina Merz habe dies richtig erkannt. "Nun müssen dringend weitere Taten und Ergebnisse folgen", sagte Helfer. Dabei stärkte sie dem Management den Rücken. Der Vorstand habe die volle Unterstützung. Cevian ist neben der Krupp-Stiftung größter Anteilseigner bei thyssenkrupp.
thyssenkrupp-Aktien werden nach Zahlenvorlage abverkauft
Die Aktien von thyssenkrupp hatten nach einem ausgewiesenen Milliardenverlust bei Anlegern am Donnerstag einen sehr schweren Stand. Am Vortag bereits sehr schwach, verloren sie am Donnerstag bis zum Handelsende auf den hinteren Plätzen im MDAX der mittelgroßen Werte 3,39 Prozent auf 4,74 Euro. Damit entfernten sie sich weiter von ihrem noch zu Wochenbeginn erreichten Zwischenhoch bei knapp 5,30 Euro.
Der vom Stahl- und Industriekonzern vorgelegte Geschäftsbericht fiel wie am Markt befürchtet schwach aus. Der mitten im Umbau befindliche Konzern rutschte im vergangenen Geschäftsjahr tief in die roten Zahlen und erwartet für das neue Jahr weitere Verluste. Nun folgen erneute Stellenstreichungen. Laut Händlern bleiben die Aussichten für die Essener düster. Auch der Cashflow werde nicht besser, hieß es in ersten Kommentaren.
So schrieb etwa Analyst Luke Nelson von JPMorgan, das ausgewiesene operative Ergebnis sei zwar etwas besser als gedacht, der Free Cashflow aber schwach. Er beließ seine Einstufung auf "Underweight" und zeigte sich auch vom Ausblick des Konzerns enttäuscht.
In diesem sah Alan Spence von Jefferies Research ebenfalls einen Schwachpunkt. Zwar machte er positive Ansätze in den jüngsten Auftragseingängen aus, äußerte aber die Befürchtung, dass sich der Markt stärker auf ein schwächeres operatives Ergebnisziel für 2021 konzentrieren wird.
Bei der Umstellung der Produktion auf "grünen" Stahl" sucht thyssenkrupp nun die Unterstützung des Staates. "Kein Stahlhersteller kann das allein bestreiten", erklärte Finanzvorstand Klaus Keysberg. Für die CO2-Vermeidung und den Einsatz von Wasserstoff seien Milliardeninvestitionen nötig. Mit der Politik sei thyssenkrupp in Gesprächen "und zwar zu einer ganzen Reihe von Themen im Zusammenhang mit dem Stahl." Dem Aktienkurs halfen diese Aussagen auch nicht weiter.
Mit den aktuellen Kurseinbußen fielen die Titel wieder unter die 50-Tage-Linie als Indikator für den mittelfristigen Trend und auch unter die 21-Tage-Linie als Hinweis für die kurzfristige Richtung.
Von ihren Tiefs Anfang und Ende Oktober bei jeweils etwas unter vier Euro sind sie zwar noch ein Stück weit weg, aus dem Korridor zwischen vier und fünf Euro kommen sie nun aber schon seit einigen Wochen nicht heraus. Die Kursentwicklung seit dem Coronacrash-Tief im März bei 3,28 Euro ist wenig erbaulich.
FRANKFURT (Dow Jones / dpa-AFX)
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