Verkehrte Welt oder neuer Normalzustand
Während die Welt im Lockdown stillsteht eilen die Börsenindizes von einem Höchststand zum nächsten. Wenn man die Entwicklung der Börsenindizes der Entwicklung der Wirtschaft gegenüberstellt, werden die Fragenzeichen überwiegen. Wie kann es sein, dass S&P 500, Dow, Dax und Co neue Höchststände erklimmen, während die Welt im Lockdown stillsteht?
An den Finanzmärkten wird die Zukunft gehandelt, sagt man. Das würde bedeuten, dass Investoren sehr optimistisch in diese Zukunft schauen und den aktuellen, Corona bedingten Stillstand als vorübergehend bzw. abgeschlossen betrachten. Oder haben sich die Finanzmärkte mittlerweile von den realen Faktoren der Wirtschaft abgekoppelt? Ein Blick auf den Aktienkurs zum Beispiel von Tesla könnte letztere Theorie bekräftigen, denn ein aktuelles KGV von 355 verlangt in der Tat sehr viel Zuversicht in die zukünftige Entwicklung.
Sicherlich muss man in Anbetracht des Zinsumfeldes - rund 16 Billionen aller global emittierten Staats- und Unternehmensanleihen weisen eine negative Rendite aus - andere Wertmaßstäbe an den Tag legen als vor 10 Jahren. Dennoch sollte man sich immer vor Augen führen, was die Kennzahl KGV aussagen soll: Wie lange dauert es, aus dem Gewinn einer Aktie den Kaufkurs der Aktie zu bezahlen. Bei Tesla also aktuell 355 Jahre, gleichbleibende Gewinne vorausgesetzt.
Nicht zu verdenken sind also Stimmen, die den nächsten Börsencrash voraussagen und an die Dotcom Blase in den 2000er Jahren erinnern.
Es gibt allerdings gravierende Unterschiede zu damals.
1. Viele der hoch bewerteten Tech Unternehmen sind äußerst profitabel und sehr innovativ
2. Es sind nicht die Privatanleger, die von einem Herdentrieb gesteuert die Kurse treiben
3. Es sind vor allem die Notenbanken, die die Märkte mit billigem Geld fluten und wie zum Beispiel die Schweizer und die japanische Notenbank auch selbst massiv in die Aktienmärkte investieren.
Zum Problem könnten die so genannten "Zombieunternehmen" werden. Als solche werden Unternehmen bezeichnet, die es nicht schaffen, mit ihren eigenen Geschäftsmodellen Gewinn zu erzielen und nur dank des billigen Geldes ihre Kredite bedienen können und somit am Leben bleiben.
Viele dieser Firmen finden es zudem reizvoller in die Finanzmärkte, als in die Zukunft des eigenen Unternehmens zu investieren, in der Hoffnung durch Spekulation oder Aktienrückkäufe rentabler zu werden. Ein Ende ist derzeit nicht absehbar, da die Notenbanken mittelfristig wenig Interesse bzw. keine Alternative an einer Reduktion der Geldschwemme haben. Täten sie dies, würde das Kartenhaus sofort zusammenfallen.
Mohamed El-Erian, ehemaliger CEO der zur Allianz gehörenden Investmentgesellschaft Pimco formulierte dies so: "Wir sind in ein ungesundes Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeiten gestolpert. Abhängigkeiten zwischen Zentralbanken und Investoren, zwischen Zentralbanken und Politikern sowie zwischen Zentralbanken und Emittenten von Schulden, namentlich Regierungen und Unternehmen. Es ist wie in einer schlechten Ehe: Man ist trotz allem aufeinander angewiesen und weiß nicht, wie man aus dieser Situation herauskommt".
Solange wir in einer Welt ohne Zinsen leben, wird es zur Normalität gehören, dass erfolgreiche Unternehmen an den Börsen höher bewertet werden, als wir es aus der Vergangenheit kennen. Das unprofitable und ideenlose Unternehmen gleichwertig behandelt werden ist aber nicht normal und könnte, wenn Corona besiegt und Normalität in die Finanzpolitik eintritt, viele dieser Unternehmen in Schwierigkeiten bringen.
Anleger sollten vorausschauend agieren und ein aktives Fondsmanagement der direkte Investitionen in Unternehmen mit einem robusten Geschäftsmodell und transparenten Gewinnen favorisieren. Investitionen in ETF’s oder reine Indexfonds bergen das Risiko, dass auch "Zombieunternehmen" im Portfolio landen, da die sich durchaus auch in den großen Indizes wiederfinden.
von Ralph Rickassel, PMP Vermögensmanagement in Düsseldorf, eine Niederlassung der Donner & Reuschel Lux S.A.
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