Geopolitik und Innovation: Steht die deutsche Automobilindustrie vor einem Neuanfang?**
Die Automobilindustrie steht vor einer komplexen Marktdynamik, die sowohl Chancen als auch Herausforderungen bietet. Das durchschnittliche Alter der Pkw-Flotte in Deutschland lag laut Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) zuletzt (Oktober 2024) bei geschätzten 11,1 Jahren, ein Anstieg gegenüber 10,8 Jahren im Januar 2024.
Europaweit ist das Durchschnittsalter noch erheblich höher. Ältere Fahrzeuge verursachen oft höhere Wartungs- und Reparaturkosten, bieten geringere Zuverlässigkeit und hinken bei Sicherheits- und Effizienzstandards hinterher, was den Ersatzbedarf mittelfristig deutlich steigern könnte.
Dennoch zeigt sich besonders bei privaten Neuzulassungen nach wie vor eine deutliche Kaufzurückhaltung. Im November 2024 sanken diese laut dem KBA um 9,3 Prozent, während gewerbliche Zulassungen um 4,3 Prozent stiegen. Wirtschaftliche Unsicherheiten lassen viele Haushalte den Ersatz aufschieben. Vor allem aber sind viele Käufer verunsichert, welche Antriebsart denn nun ausgewählt werden sollte. Es werden durch die Politik massiv Elektrofahrzeuge propagiert, allerdings ist die aktuelle Ladeinfrastruktur in keiner Form ausreichend. Vor allem wird es noch sehr viele Jahre dauern, bis die lokalen Energieversorger genügend Anschlüsse für die Haushalte zur Verfügung stellen können. Noch länger wird es dauern, bis ausreichende Ladeinfrastrukturen in den Städten für die Bürger vorhanden sind, vor allem für die, die an den Straßen parken. Aus diesem Grund werden wohl auch die Verbrenner eine Renaissance in den Verkaufsstatistiken erleben, was für die deutschen Hersteller sehr positiv wäre, da genügend Produktionskapazitäten vorhanden sind.
Ein Unsicherheitsfaktor für die deutsche Automobilindustrie ist die wachsende Konkurrenz durch chinesische Hersteller. Solche Wettbewerber setzen europäische Anbieter, insbesondere im kostensensiblen Segment, zunehmend unter Druck. Darüber hinaus hängen die Erträge deutscher Automobilhersteller nicht nur von der Ersatznachfrage in Europa ab. Internationale Märkte spielen eine zentrale Rolle, besonders in China und den USA. Allerdings könnten neue Handelskonflikte unter der neuen Regierung Trump, etwa durch Zollerhöhungen, den Zugang zum US-Markt erschweren und damit die Wachstumsstrategien deutscher Hersteller belasten.
Für Investoren bietet die Branche ein gemischtes Bild. Einerseits könnte die zunehmende Ersatznotwendigkeit mittel- bis langfristig für Stabilität sorgen. Andererseits bleibt die Nachfrageentwicklung unsicher. Auch die strukturellen Herausforderungen durch internationale Konkurrenz und geopolitische Unsicherheiten könnten die Erholung dämpfen. Eine selektive Herangehensweise, die auf Hersteller mit starker Diversifikation und effizienter Kostenstruktur setzt, erscheint in diesem Umfeld am sinnvollsten. Sofern die deutschen Automobilhersteller ihre Hausaufgaben erledigen, wieder innovativer und schlanker werden, könnten die sehr stark gefallenen Automobilaktien ihre Tiefststände bald hinter sich lassen.
Stellantis zeigt sich mit einer diversifizierten Produktionsbasis weniger gefährdet. Das Unternehmen baut zudem ein Batteriewerk mit CATL in Zaragoza und erweitert damit seine Elektromobilitätsstrategie. Im Bereich Batterieproduktion positionieren sich Volkswagen (Werke in Sagunt und Salzgitter) und Stellantis (Zaragoza und ACC) strategisch gut. BMW setzt auf Northvolt in Schweden und Deutschland, wobei die Unsicherheiten nach den jüngsten finanziellen Herausforderungen von Northvolt die Batteriestrategie potenziell beeinträchtigen könnten.
Ford expandiert seine Batterieproduktion in Europa, insbesondere in der Türkei, und erhöht damit den Wettbewerb. Der Konzern verfolgt eine klare Elektrifizierungsstrategie mit signifikanten Investitionen, was ihn für Investoren interessant macht.
Bei der Auswahl konkreter Automobilaktien ist zu beachten, inwieweit die Unternehmen von Handelskonflikten betroffen sein können und welche Strategie sie bei der Batterieproduktion verfolgen. BMW erscheint durch seine Abhängigkeit von Exporten aus den USA nach China besonders anfällig. Aus Sicht von Handelskonflikten scheint Ford besser aufgestellt zu sein als seine europäischen Wettbewerber.
von Jürgen Brückner, Portfoliomanager der FV Frankfurter Vermögen AG in Bad Homburg/Königstein
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