Es war einmal ein scheues Reh

Früher war der Ausspruch «Kapital ist ein scheues Reh» eine brauchbare Floskel in der Finanzbranche. Gemeint war damit die Risikoaversion der Eigentümer des relativ raren Kapitals, dass angesichts einer drohenden Gefahr sofort Reissaus nimmt.
Heute - um im Kontext zu bleiben - sieht man die Rehe an stark befahrenen Kreuzungen in aller Ruhe grasen. Manch einer freut sich ob des Anblicks der zahmen und furchtlosen Rehlein - die erfahrenen Jäger sind eher erschrocken ob des ungewohnten Naturschauspiels.
Auf die Kapitalwelt bezogen ist Kapital heute omnipräsent. Nach einem schon lange andauernden Wirtschaftszyklus und den sich aufgrund des Handelskonflikts auftürmenden Gewitterwolken stellt sich die Frage, ob billiges Geld das probate Mittel gegen eine drohende Rezession ist oder doch nur ein Placebo Medikament ist.
Aus Unternehmenssicht ist die Frage relativ einfach zu beantworten: Ob Geld nun billig, sehr billig oder noch billiger ist macht wohl kaum noch einen Unterschied für Projektentscheide. Viel wichtiger ist für Unternehmen eine gewisse Planbarkeit - und da sind Handelskonflikte Gift. So löst mehr Geld im heutigen Umfeld keine fundamentalen Probleme auf der Unternehmensseite. Vielmehr steigen die Bewertungsrisiken und die Frage wie weit sich die Asset-Preis-Spirale noch nach oben drehen wird.
Die Entwicklungen und Diskussionen rund um den Berliner Immobilienmarkt geben möglicherweise nützliche Hinweise wie sich das an der Kreuzung grasende Reh verhalten könnte, wenn die Urinstinkte wieder das Verhalten bestimmen. So stehen die über Jahre gestiegenen Bewertungsniveaus der Immobilien und der Immobiliengesellschaften plötzlich auf tönernen Füssen. Nicht das billige Geld bringen die Bewertungen zu Fall, sondern ein «externer» Schock: Die Politik wird vom Stimmvolk zum Handeln genötigt und greift im Eifer des Gefechts in die Mottenkiste längst verschollen geglaubter sozialistischer Drehbücher.
Entsprechend ist der immer weiter eskalierende Handelskonflikt in der Tat bedrohlich. Es gilt sich gegen externe Schocks abzusichern und nicht alleine darauf zu vertrauen, dass billiges Geld die hohen Bewertungsniveaus stützen wird. Gerade nach einem doch zufriedenstellenden Jahresverlauf und ansprechenden Renditen in den Portfolien gilt es das Erreichte zu erhalten als sich auf die dürren Äste des Renditebaums zu begeben. Vorsicht vor Nachsicht ist das Motto der Stunde.
von Stephan Witt, FiNUM.Private Finance AG in Berlin
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