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Klimaausweis fürs Gebäude

28.11.23 07:00 Uhr

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Klimaausweis fürs Gebäude | finanzen.net

Jeder kennt mittlerweile den Energiepass, der offenlegt, ob der Verbrauch einer Immobilie energetisch im grünen Bereich liegt. Anders sieht das für Baumaterial und den ökologischen Fußabdruck aus. Als eine Art Klimaausweis schafft ein digitaler Materialpass Abhilfe.

Mehr als 100 Ressourcenpässe hat das Umweltberatungsinstituts EPEA bereits erstellt und dabei stetig weiterentwickelt. Als eine Art Materialinventar erfasst so ein Ausweis genau, welche Rohstoffe in welcher Menge in einem Gebäude vorhanden sind. Auch woher diese Materialien stammen, spielt eine wichtige Rolle für ein gutes Ergebnis.

Bis 2050 wird laut Prognosen der Weltbank rund vier Milliarden Tonnen Müll entstehen - 40 Prozent mehr als heute. Der Löwenanteil geht auf das Konto der Industrieländer. Dort verursacht keine Branche mehr Abfall als die Bauwirtschaft. Bei Umbau- oder Abrissarbeiten landen Materialien wie Beton, Gips oder Kies meist auf der Deponie, obwohl sie für neue Bauvorhaben dringend benötigt und teuer bezahlt werden. Die Kreislaufwirtschaft soll dem einen Riegel vorschieben. Das Problem dabei: Aktuell sind nicht einmal 10 Prozent der Neubauten für den Rückbau konzipiert. Damit es mit der nahtlosen Weiterverwertung klappt, brauchen wir zuerst einmal Transparenz, was in unseren Häusern überhaupt drinsteckt an wiederverwertbarem Material. Deshalb brauchen wir flächendeckend Materialpässe für Gebäude. Das Umweltberatungsinstitut EPEA, eine Tochter des Bau- und Immobilienberaters Drees & Sommer SE, konzipiert solche Materialausweise bereits vor allem für Wohn- und Bürogebäude. Rund 50 davon hat EPEA nun in einer bislang einzigarten Auswertung analysiert und daraus wichtige Erkenntnisse für deren bundesweite Ausgestaltung abgeleitet.

Umweltberatungsinstitut EPEA stellt bundesweit erste Auswertung von Gebäudematerialpässen vor

Bereits seit 8 Jahren erstellt EPEA unter dem Namen "Circularity Passport Buildings" Materialausweise für Gebäude. Wer als Bauherr bereits heute einen solchen digitalen Gebäudematerialausweis erstellt, wie ihn auch Bundesbauministerin Klara Geywitz noch für diese Legislaturperiode fordert, greift der Zukunft vor: Denn die in Europa und Deutschland geplante Regulierung wird die Branche früher oder später zu Materialkreisläufen zwingen. Und damit dazu, beim späteren Abriss, ein Gebäude als Rohstofflager für neue Bauten zu nutzen. Die Einführung eines digitalen Materialausweises wird die Bauwirtschaft so grundlegend verändern wie die Einführung des Energieausweises, da erstmals die Kreislauffähigkeit als verpflichtendes Kriterium in die Materialwahl einfließt. Die bislang am Markt unterschiedlichen Modelle gilt es zu harmonisieren und unbedingt einen gesetzlichen Rahmen für einen einheitlichen Standard zu schaffen.

Zu den Kategorien, die unbedingt im Materialausweis für eine Immobilie enthalten sein sollten, zählen: Materialtypen & -mengen, CO2-Fußabdruck, Anteil Material aus erneuerbaren oder recycelten Quellen, Schadstoffgehalt, Recyclingfähigkeit, Trennbarkeit der Materialien sowie die Demontierbarkeit der Bauteile. Ein zentrales Ergebnis der Auswertung: Massive Bauteile wie Stahlbeton wirken sich am meisten auf das Gesamtergebnis im Ressourcenpass aus. Wer bei seinem Bauvorhaben auf eine RC-Gesteinskörnung, einen recyclingfähigen Verbau, CO2-armen Zement, Bewehrungsstahl oder auf CO2-Speichermaterialien wie Holz setzt, erzielt im Materialpass ein sehr gutes Ergebnis. Erreichen konnten das in den ausgewerteten Projekten beispielsweise insbesondere Holz- oder Holzhybridkonstruktionen. Gleichzeitig sind alternative Tragkonstruktionen kein Garant für gute Werte im Materialausweis. Um sie zu erreichen, müssen zudem Produkte von Herstellern mit hoher Kreislauffähigkeit ausgewählt werden. Eine reine materialtypenbasierte Optimierung genügt hier nicht.

Geburtsstunde der Materialausweise: EU-Forschungsprojekt BAMB

Angefangen hat alles im Jahr 2015 mit einem EU-Forschungsprojekt. Das Projekt namens BAMB - Buildings As Material Banks sollte einen Paradigmenwechsel für die Bauwirtschaft einläuten. Erstmals stand der Kreislaufgedanke im Fokus: Der sogenannte Materialkreislauf unserer Industriegesellschaft ist in Wahrheit eine Einbahnstraße. Rohstoffe werden abgebaut, verarbeitet, benutzt und schließlich entsorgt. In der Abfallwirtschaft spricht man deshalb von Downcycling und vom Cradle to Grave-Prinzip. Dagegen steht der Cradle to Cradle-Ansatz, nach dem wir Produkte so konzipieren, dass sie ohne Qualitätsverlust in potenziell unendlichen Kreislaufen zirkulieren können.

Mit konventionellen Bauprodukten ist das oft schwierig. Beispielsweise sind in herkömmlichen Wärmedämmverbundsystemen bis zu 20 verschiedene Stoffe auf untrennbare Weise miteinander verbunden, die nichts als Sondermüll hinterlassen. Hier gehen Rohstoffe von der Wiege ins Grab. Dem gegenüber stehen kreislauffähig zertifizierte Baustoffe, die nicht nur Ressourcen schonen, sondern auch den Materialwert erhalten. Mit 20 bis 30 Prozent steckt ein erheblicher Teil der Bruttobaukosten in den Materialien. Lassen sich die eingesetzten Stoffe am Ende der Nutzungszeit wieder zurückgewinnen und bilden dann die Grundlage neuer, hochwertiger Produkte, bleibt ein nennenswerter Teil dieses Wertes erhalten. Genau dafür braucht es aber Materialausweise.

Lebenszyklusbetrachtung macht aus Ressourcengräbern Rohstoffdepots

Seit dem EU-Forschungsprojekt hat EPEA über 100 Ressourcenpässe erstellt und dabei stetig weiterentwickelt. Als eine Art Materialinventar erfasst so ein Ausweis genau, welche Rohstoffe in welcher Menge in einem Gebäude vorhanden sind. Auch woher diese Materialien stammen, spielt eine wichtige Rolle: Hohe Punktzahlen gibt es, wenn Materialien entweder aus erneuerbaren Quellen wie nachwachsenden Rohstoffen stammen oder wenn sie als Sekundärrohstoff schon einmal im Bau eingesetzt wurden und nun ein zweites Leben bekommen.

Als Recycling sollte diese Art der Wiederverwertung ganz bewusst nicht bezeichnet werden. Die derzeitige Gesetzgebung betrachtet Downcycling oder die sogenannte energetische Verwertung - wie das Verbrennen von Holz - als Recycling. Für Klima- und Ressourcenschonung ist das aber Gift. Daher bewerten wir im Ressourcenpass Materialien nach ihrem Verwertungspotential. In die Beurteilung fließt ein, ob wir die Materialien bei Umbau oder Abriss sortenrein trennen, rückbauen und wiederverwerten können. Wir sprechen hierbei von Re-Use. Gebäude wandeln sich durch damit zu wertvollen Rohstoffdepots, die ihre Materialien am Ende der Nutzungszeit wieder für neue Vorhaben freigeben. Auch der CO2-Fußabdruck wird in den Ressourcenpässen ausgewertet. Nur wenigen Menschen ist bewusst, dass Heizung und Warmwasserversorgung lediglich die Hälfte der CO2-Emissionen verursachen. Die andere Hälfte fällt beim Herstellen und Transportieren von Baumaterialien an, inklusive Abriss und Entsorgung. Der Ressourcenpass bezieht auch diese sogenannte grauen Energie mit ein, um Gebäude über ihren gesamten Lebenszyklus zu bilanzieren.

Optimierung bis zur kleinsten Schraube: Ressourcenpass als Planungsinstrument

Als äußerst hilfreich zeigen sich die Informationen nicht nur für die Dokumentation, sondern sind auch für eine umweltschonende Planung sehr hilfreich. Vor allem in der Kategorie "Materialherkunft" zeigt der Ressourcenpass sein Optimierungspotenzial. In der Regel werden bei Neubauten lediglich einige Metalle - wie beispielsweise der Bewehrungsstahl - aus Sekundärmaterialien hergestellt. Das entspricht nicht einmal 10 Prozent. Wird dagegen mit dem Ressourcenpass über den gesamten Lebenszyklus geplant, sind Werte über 50 Prozent möglich. Durch die messbaren Kennwerte haben Planungsteams die Möglichkeit, ihre Gebäude kreislauffähig zu optimieren. Geplant wurde so unter anderem der Drees & Sommer-Neubau OWP12 in Stuttgart.

Nahezu jeder Balken, jede Tür und jede Schraube des Gebäudes ist in die Bilanzierung des Plusenergiehauses am Drees & Sommer Campus eingeflossen. Um eine solche Menge an Informationen beherrschbar zu machen, werden die Daten mit einem digitalen Zwilling verknüpft. Eindeutige Ampel-Farbskalen visualisieren die Bauprodukte und helfen dabei, sie vor Einbau zu bewerten. Ist zum Beispiel die einfache Trennbarkeit von Materialien noch nicht oder nicht ganz gewährleistet, erscheint das zugehörige Bauteil in Rot oder Gelb. Kreislauffähige Bauteile erscheinen in Grün. Das Drees & Sommer-Gebäude konnte auf diese Weise gemäß des Cradle to Cradle-Designprinzips optimiert werden und erhielt dafür im September 2023 die Zertifizierung in Platin der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen.

Digitaler Ressourcenpass braucht Zielquoten von 40 Prozent

Gegenwärtig plant die Bundesregierung die flächendeckende Einführung des Gebäuderessourcenpasses. Spätestens dann wird Kreislauffähigkeit an vielen Stellen Voraussetzung für Förderungen, Finanzierungen oder Zertifizierungen werden. Eine solche Gesetzgebung braucht vor allem eines: klare Zielquoten nach Vorbild des Energieausweises. Vor dem Hintergrund der Regulatorik steigt heute schon die Nachfrage nach zirkulärem Design. Um die Rohstoffwende weiter anzukurbeln, sollten bis zum Jahr 2030 mindestens 40 Prozent aller Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen oder Sekundärmaterialien kommen - egal ob bei Neubau oder Sanierung. Im Bestand lässt sich das in der Regel durch den Erhalt des Fundaments und der Tragwerke erreichen.

Für neu konzipierte Baustoffe sollte eine Quote ohne Kompromisse gelten: hier sollen alle Materialien nach dem Cradle to Cradle-Prinzip eingesetzt werden. Hier sind vor allem die Hersteller gefragt, die durch kreislauffähiges Produktdesign von neuen Geschäftsmodellen wie dem Baustoff-Leasing profitieren. Damit wird die regionale Wertschöpfung gefördert und gleichzeitig die Abhängigkeit von importierten Rohstoffen verringert. Denn: Unsere ökologischen Probleme verschwinden nicht einfach mit einem Weiter-so. Wenn wir uns die Zukunft nicht verbauen wollen, müssen wir jetzt handeln und aus ökologischen Einbahnstraßen Kreisverkehre machen.

Über den Report:

Seit 2021 bilanziert EPEA alle Ökobilanzen und Circularity Passports® über eine interne Datenbank. Aufgrund der Vielfalt und Heterogenität der erfassten Projekte wurden Merkmale für die Qualitätssicherung der Stichprobeerfasst. Dazu wurden den Projekten Informationen zum Planungsstand und Detailgrad, Bilanzierungsumfang der Modellierung und für die Art von Beratungsleistung erhoben. In die Stichprobe sind 48 Gebäude eingeflossen, davon 23 Bürogebäude, und 14 Wohngebäude.

Über die Autoren:

Dr. Peter Mösle, Partner der Drees & Sommer SE / Geschäftsführer EPEA GmbH

Dr. Peter Mösle ist Partner der Drees & Sommer SE und Geschäftsführer der EPEA GmbH-Part of Drees & Sommer. Seit 1996 begleitet er zahlreiche nationale wie internationale Projekte auf dem Weg zu Green Buildings. Neben den Bereichen Energiedesign, Energiemanagement und nachhaltige Quartiersentwicklung treibt Peter Mösle das Thema Cradle to Cradle als Geschäftsführer der EPEA GmbH - Part of Drees & Sommer in der Baubranche und darüber hinaus voran. Peter Mösle ist Mitglied des Präsidiums des DGNB und als Vorsitzender für den Bereich Systementwicklung und nachhaltige Stadtquartiere verantwortlich. Er studierte bis 1996 Maschinenbau mit der Fachrichtung Energietechnik an der Universität Stuttgart und Tucson, USA und promovierte 2009 an der Universität Stuttgart zum nachhaltigen Bauen.

Pascal Keppler ist Leading Environmental Specialist bei der EPEA GmbH. Bereits während seines Studiums der Umweltschutztechnik an der Universität Stuttgart spezialisierte er sich auf den Bereich "Nachhaltiges Bauen". Seit 2016 treibt er bei EPEA kreislauffähiges Bauen voran und zeichnet als Projektleiter für die Themenfelder Circular Engineering und Digital Circularity verantwortlich. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist der digitale Gebäuderessourcenpass, der sämtliche verbauten Materialien und Produkte dokumentiert und damit Transparenz über wiederverwertbare Baustoffe schafft.

Bildquellen: © Transly Translation Agency, Drees & Sommer , Drees & Sommer , Drees & Sommer