Ökonomen-Barometer

Volkswirte sehen stabilen Aufwärtstrend

aktualisiert 16.05.10 11:17 Uhr

Ökonomen-Barometer bleibt trotz Griechenland- und Schuldenkrise auf Kurs. Experten sehen EU-Rettungspaket für Währungsunion kritisch.

von Wolfgang Ehrensberger, Euro am Sonntag

Trotz europäischer Schuldenkrise und Währungsturbulenzen sehen die führenden deutschen Volkswirte die Wirtschaft weiter in einem stabilen Aufwärtstrend. Das geht aus dem Ökonomen-Barometer Mai von €uro am Sonntag und dem Nachrichtensender n-tv hervor.

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Das Barometer, also die Einschätzung der aktuellen Lage, stieg um knapp fünf Zähler auf fast 48 Punkte. Der Wert ist mit plus elf Prozent wie schon in den Vormonaten zweistellig gewachsen. Das Barometer hat damit auch wieder das Niveau von vor der Lehman-Pleite im September 2008 erreicht. Die Aussichten für die kommenden zwölf Monate liegen mit fast 49 Punkten um fünf Prozent über dem April-Wert. Die Euphorie der Vormonate mit plus zehn beziehungsweise 15 Prozent hat also wieder etwas nachgelassen. Gleichwohl hat sich der Aufwärts­trend der Vormonate weiter stabilisiert.

Das gerade beschlossene 750-Milliarden-Euro-Paket der EU zur Stabilisierung der Währungsunion sehen Ökonomen wie Mathias Brehe vom Bankenverband BdB oder Walter Krämer (Uni Dortmund) zwar als nötigen Schritt zur Beruhigung der Märkte, gleichwohl, so etwa Kai Carstensen (Ifo), seien damit die Dämme gegen eine Trans­ferunion gebrochen: „Seit vergange­nem Wochenende leben wir in einer neuen Welt.“ Die Reaktio­nen der Experten fallen teilweise heftig aus. „Eine Kata­strophe“ (Robert Schwager, Uni Göttingen; Andreas Freytag, Uni Jena), „ein glatter Vertragsbruch“ (Karlhans Sauernheimer, Johannes-Guten­berg-Universität Mainz), „unverfroren“ (Alfred Boss, Uni Kiel). Der Euro drohe zur Weichwährung zu verkommen (Manfred Schweren, Privalor Vermögensberatung), die EZB müsse zusehen, dass sie die Geldmenge im Griff behalte (Michael Stahl, Gesamtmetall).

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Griechenland wird von der EU mit Krediten von insgesamt 110 Milliarden Euro unterstützt, wovon 22 Milliarden aus Deutschland kommen sollen. Mehr als die Hälfte der im Ökonomen-Barometer Befragten glaubt, dass die Griechen das Geld nicht fristgerecht und vollständig zurückzahlen können. „Der Kredit bedeutet lediglich eine Konkursverschleppung, er verschärft eher noch die Verschuldungsproblematik, statt sie durch einen Schuldenschnitt zu entschärfen. Gutes Geld wird sinnlos dem schlechten hinterhergeworfen“, sagt Ulrich van Suntum (Uni Münster). Juergen B. Donges (Uni Köln) bezweifelt, dass die Griechen das harte Sanierungsprogramm „gegen den Widerstand der Besitzstandswahrer und die tief verwurzelte Mentalität der Steuerhinterziehung“ durchsetzen können. Und selbst wenn, seien die strukturellen Probleme der Griechen nicht gelöst: niedrige Produk­tivität, fehlende Innovationskraft, kaum Wachstum.

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Die Hilfen überbrückten ein Liquiditätsproblem, lösten aber nicht das Insolvenzproblem, so Friedrich Heinemann vom ZEW Mannheim. „An einer Umschuldung als Element einer echten Problemlösung führt in den kommenden drei Jahren kein Weg vorbei.“

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Wenig Hoffnung herrscht bei den Experten, dass die Griechen die Auflagen für das Rettungspaket einhalten können – oder wollen. Schon an der Frage, ob die Auflagen streng sind (Hilmar Schneider, Arbeitsinstitut IZA) oder nicht streng (Juergen von Hagen, Uni Bonn), scheiden sich die Geister. Abstriche an den jetzt quantifizierten Zielen werde es aber geben (Friedrich Heinemann, ZEW Mannheim). Ob noch weitere Länder gestützt werden müssen, hängt laut Ansgar Belke (Uni Duisburg-Essen) davon ab, wie die Finanzmärkte das 750-Milliarden-Paket auf­nehmen werden. „Sorgt es vorübergehend für eine gewisse Beruhigung, können die Angeschlagenen in Ruhe konsolidieren. Reicht es nicht, werden die nächsten Angriffe auf Länder wie Portugal, Spanien oder Irland nur eine Frage der Zeit sein.“


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Die Ratingagenturen sind im Zuge des griechischen Finanzdesasters ­erneut in die Kritik geraten. In der Gründung einer europäischen Ratingagentur sehen die Experten allerdings auch keine Lösung. Mehr als 60 Prozent lehnen eine solche Lösung ab, nur 31 Prozent sind dafür. „Eine europäische Ratingagentur wäre vermutlich eine politische Veranstaltung, die Ratings damit hochgradig politisch und somit wertlos“, heißt es unisono bei Justus Haucap (Uni Düsseldorf) und Juergen von ­Hagen (Uni Bonn). Nötig seien eine „unabhängige Ratingagentur (Hilmar Schneider; IZA) und eine Agentur, die das Monopol der Amerikaner aufweicht (Walter Krämer, Uni Dortmund). Michael Stahl (Gesamt­metall) und Peter Oberender (Uni Bayreuth) fordern eine strengere Kontrolle der bestehenden Agenturen. „Wir brauchen überhaupt keine Ratingagenturen“, sagt dagegen Lutz Arnold (Uni Regensburg).

Nach dem Scheitern von Schwarz-Gelb bei der NRW-Wahl hat Kanzlerin Merkel die Steuersenkungspläne für 2011 und 2012 endgültig gekippt. 82 Prozent der Ökonomen sehen sowieso keinen Spielraum mehr für Steuersenkungen. „Das Thema ist vom Tisch“ (Michael Stahl, Gesamtmetall). Sie glauben, die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung sei ohnehin eingeschränkt. „Vermutlich wird in den nächsten Monaten nicht allzu viel passieren“, befürchtet Alfred Boss vom IfW Kiel.

Für das Ökonomen-Barometer wurden vom 5. bis 12. Mai mehr als 300 Volkswirte in Banken, Unis, Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsverbänden befragt.