Ex-ifo-Chef Sinn: Die Inflation kommt in Wellen - ähnlich wie die Pandemie
Die Inflationsrate der Eurozone ist im November auf ein Rekordniveau geklettert. Der Ökonom und ehemalige Chef des ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, sieht deshalb "Gefahr im Verzug" und macht der Europäischen Zentralbank (EZB) schwere Vorwürfe.
Werte in diesem Artikel
• Inflation im Euroraum auf Rekordhoch
• Top-Ökonom Sinn warnt vor weiteren Inflationswellen
• Sinn kritisiert die Rolle der EZB
Im November waren die Verbraucherpreise 4,9 Prozent höher als im Vorjahresmonat. Damit erreichte die EU-Inflationsrate den höchsten Stand seit Beginn der Erhebung im Jahr 1997 und überschritt das mittelfristige Inflationsziel der EZB von zwei Prozent erneut deutlich.
Für das Gesamtjahr geht die EZB inzwischen davon aus, dass die Teuerungsrate bei 2,6 Prozent liegen dürfte. Für 2022 wird dann eine Preissteigerung von 3,2 Prozent prognostiziert.
EZB-Geldpolitik bleibt ultralocker
Trotz wachsender Sorgen der Marktteilnehmer hinsichtlich der Folgen dieser starken Inflation bleiben die Währungshüter dennoch auf dem Gaspedal und haben lediglich eine zögerliche Verringerung der Anleihekäufe beschlossen. Zwar will die EZB nur noch bis Ende März 2022 zusätzliche Wertpapiere im Rahmen ihres Corona-Notkaufprogramms PEPP erwerben. Um jedoch einen abrupten Übergang zu verhindern, soll das allgemeine Kaufprogramm APP vorübergehend aufgestockt werden. Zinserhöhungen im kommenden Jahr sind derweil nach Aussage von EZB-Präsidentin Christine Lagarde "sehr unwahrscheinlich".
Lagarde beschwichtigte, dass die Inflation zwar kurzfristig hoch bleiben, sich im Laufe des nächsten Jahres aber abschwächen werde. Sie sieht die Inflation vor allem durch Sonderfaktoren getrieben. So hätte sich beispielsweise die Teuerung ohne Energie und unverarbeitete Lebensmittel im November lediglich auf 2,6 Prozent belaufen.
Neue, massive Inflationswelle
Der angesehene Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn widerspricht jedoch in einem "Bild"-Interview der EZB: "Die Inflation kommt in Wellen, ähnlich wie die Pandemie ...", warnte Sinn, der von 1999 bis 2016 Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung war. Gründen, aus denen es zu neuen Inflationswellen kommen könnte gibt es seiner Meinung nach genügend: "Aus Angst vor neuen Preissteigerungen kaufen die Menschen mehr langlebige Konsumgüter und treiben so die Preise von Neuem. Die Gewerkschaften werden bei den Lohnrunden des nächsten Jahres eine Kompensation für die Inflation verlangen und damit die Produktionskosten hochtreiben. Weil die Zinsen in Europa langsamer als in den USA steigen, fällt der Eurokurs, was die Importpreise steigen lässt. Und auch die Energiewende ist inflationär, weil billige Kernkraft und fossile Energie durch teuren grünen Strom ersetzt werden. Schon heute haben wir die höchsten Stromkosten der ganzen Welt", zählte der Ökonom auf.
EZB im Fadenkreuz
Für Sinn steht zudem fest, dass die EZB eine Mitschuld an der besorgniserregenden Inflationsentwicklung trägt. Er beklagt, die EZB sei trotz ihrer Unabhängigkeit "den Staaten zu Diensten" gewesen und habe "die neuen Schulden der Staaten jahrelang zu niedrigsten Zinsen mit der Druckerpresse finanziert", was zur Folge hatte, dass diese "sämtliche Schuldenpakte über den Haufen warfen". Neue Schulden seien jedoch "ein Inflationstreiber ersten Ranges", so der Vorwurf von Sinn.
Diese Praxis muss sich jedoch nach Meinung des Experten ändern: "Die Staaten sollten keine neuen Schulden mehr aufnehmen, und die EZB sollte die Zinsen erhöhen. Andernfalls drohen uns neue, massive Inflationswellen, wie wir sie zuletzt in den Ölkrisen der 70er-Jahre erlebt haben", warnte Sinn.
Redaktion finanzen.net
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Bildquellen: ifo Institut