Folker Hellmeyer: "Die Aufwärtsbewegung im DAX ist nachhaltig"
Der Chefanalyst der Bremer Landesbank über die Erholung an den Aktienmärkten, die Politik der Zentralbanken und Gold.
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von Benjamin Summa
Herr Hellmeyer, ist die Erholung an den Aktienmärkten nachhaltig oder nur eine kurze Gegenbewegung?
Natürlich ist der aktuelle DAX-Aufschwung auch eine Reaktion auf die übertriebene Abwärtsbewegung bis auf 8.700 Punkte vor einigen Wochen. Aber ich will kurz darlegen, warum ich dem aktuellen Aufwärtstrend eine gewisse Nachhaltigkeit unterstelle: In der Weltwirtschaft haben wir ein Grundrauschen von soliden drei Prozent Wachstum, zudem liegt die Bewertung der Aktienmärkte beispielsweise beim Kurs-Gewinn-Verhältnis unter dem historischen Durchschnitt. Es gibt keine nennenswerten Überbewertungen. Von daher ist für mich die grundsätzliche Aufwärtsbewegung intakt.
Aber was könnten dennoch mögliche Störfeuer für die Aufwärtsbewegung sein?
Der wichtigste Störfaktor für die positive Grundtendenz an den Aktienmärkten ist in der Geopolitik zu suchen, nicht in der wirtschaftlichen Entwicklung. Wir haben nach wie vor eine sehr undurchsichtige Situation im Nahen Osten, auch in der Ukraine ist die Lage weiterhin ungeklärt. Die Möglichkeit einer Eskalation in diesen Regionen ist definitiv gegeben. Zudem nimmt die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus stark zu.
Kommen wir zur EZB-Politik. Mario Draghi hat kürzlich das sogenannte "Helikoptergeld" als interessante Option bezeichnet. Gemeint sind damit zielgenaue Finanzspritzen an Unternehmen und Verbraucher direkt von der Zentralbank - unter Umgehung des normalen Bankensektors. Was halten Sie davon?
Ich bin irritiert, weil die jetzige Situation eine solche Diskussion - insbesondere in Europa - nicht erforderlich macht. Die europäische Wirtschaft wächst mit ca. 1,5 Prozent - das ist ungefähr auf dem Niveau des Potenzialwachstums der Eurozone. Besonders die Reformländer überraschen positiv. Vor diesem Hintergrund ist eine Debatte über "Helikoptergeld" eher dazu geeignet Konjunkturpessimismus zu schüren, als einen positiven Impuls zu setzen. Fairerweise muss man sagen, dass die Märkte dieses Thema gepusht haben - die EZB hat es dann aufgegriffen, um zu verdeutlichen, dass man noch nicht am Ende der Fahnenstange mit der unorthodoxen Notenbankpolitik angekommen ist.
Wird Ihrer Meinung nach die Glaubwürdigkeit der Notenbanken langsam infrage gestellt? Immerhin haben die Märkte nach den Zinssenkungen in Japan und Europa zunächst nicht die gewünschte Richtung eingeschlagen, und entgegen der Lehre ist nach den Zinssenkungen sowohl der Yen als auch der Euro recht stark angestiegen …
Die EZB und auch andere Notenbanken laufen zunehmend Gefahr, dass die Glaubwürdigkeit ihrer Maßnahmen in Mitleidenschaft gezogen wird - auch deshalb, weil die praktischen Wirkungen der Maßnahmen nicht oder nicht mehr der Theorie entsprechen. Mit der Niedrigzinspolitik wurden definitiv positive Dinge erreicht, beispielsweise Erleichterungen bei der Finanzierung der öffentlichen Haushaltsdefizite oder Rückenwind für den Export der Euroländer aufgrund der Euroschwäche. Aber andererseits werden natürlich auch Strukturen unserer Finanzwirtschaft infrage gestellt - Beispiele sind der Lebensversicherungssektor oder das Bankenmodell. Das Glaubwürdigkeitsdefizit der Notenbanken, das jetzt diskutiert wird, hat genau mit diesem Dilemma zu tun. Kurzfristig war die Notenbankpolitik sicherlich geboten, wenn sie aber langfristig angelegt sein sollte, dann besteht die Gefahr, dass dadurch mehr neue Probleme geschaffen als alte gelöst werden.
Die US-Notenbank verkündete in der März-Sitzung erwartungsgemäß keine weiteren Zinsschritte, doch Beobachter glauben, dass es schon im Juni mit den Zinsen weiter nach oben gehen könnte. Wie ist Ihre Lesart?
Ich schließe nicht aus, dass in diesem Jahr ein weiterer Zinsschritt folgt. Aber ich sage bewusst: ein weiterer Zinsschritt. Die US-Wirtschaft verträgt mangels Strukturreformen keine nachhaltige Zinswende. 70 Prozent der US-Wirtschaft sind mit dem Konsum korreliert und die Konsumverschuldung hat in Amerika seit der Lehman-Pleite um über 30 Prozent zugenommen, die mittleren Löhne lediglich um sechs Prozent. Angesichts dieser Zahlen wird deutlich, dass der Spielraum der Federal Reserve sehr begrenzt ist. Noch begrenzter wird er dadurch, dass das Niveau der Auftragseingänge denen der Jahre 2011 und 2012 entspricht. Wir haben also faktisch eine Rezession in diesem Wirtschaftssektor.
Wie schätzen Sie derzeit konkret den Zustand der Weltwirtschaft ein?
Wir haben eine relativ schwache Dynamik in der Weltwirtschaft. Aber im besten Fall sind immerhin 3,5 Prozent Wachstum in diesem Jahr möglich. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Eurozone und Deutschland mit ca. 1,5 bis 1,7 Prozent Wachstum eine stabile Entwicklung nehmen werden. Die aufstrebenden Länder werden unter der Führung Chinas im zweiten Halbjahr die konjunkturelle Überraschung auf der positiven Seite darstellen. Denn wir kommen dort in die Umsetzung des Aufbaus der Infrastruktur im eurasischen Raum, das wird statistisch messbar werden ab Mitte des Jahres. Damit wird sich auch das Bild für die rohstoffproduzierenden Länder wieder etwas aufhellen. Die USA und Japan bleiben für mich die großen Sorgenkinder der Weltwirtschaft.
Die Wirtschaftsweisen haben vor einigen Tagen vor gravierenden Folgen eines "Brexit" gewarnt. Sehen Sie auch das Risiko eines Wiederaufflammens der Krise im Euroraum?
Der potenzielle Brexit stellt ein Event-Risiko dar, das aber meines Erachtens in seinen Auswirkungen überschätzt wird. Erstens geht es hier nicht um die Eurozone, sondern um die Europäische Union. Zweitens wird für den Fall eines Brexits innerhalb der kommenden zwei Jahre mit absoluter Sicherheit ein nachhaltiges Programm aufgesetzt, um Großbritannien weiter ökonomisch in die Europäische Union einzubinden. Die Briten würden also lediglich ein Stück von der politischen Bühne verschwinden, nicht von der wirtschaftlichen.
Zum Schluss bitte noch eine Einschätzung zu Gold. Wird es ein Comeback für das gelbe Edelmetall geben?
Derzeit gibt es am Markt eine ganze Menge Steilvorlagen für Gold: geopolitische Risiken, eine weiterhin negative Realverzinsung und unselige Diskussionen über Bargeldverbote. Gold hat auf diese Faktoren in diesem Jahr bereits positiv reagiert. Aber diese Reaktion war aus meiner Sicht unterproportional. Für mich bleibt der Aufwärtstrend bei den Edelmetallen intakt. Dafür möchte ich zwei Gründe anführen: Zum einen werden die geopolitischen Risiken nicht von heute auf morgen verschwinden und zum anderen bauen die smarten Zentralbanken der aufstrebenden Länder weiterhin Goldbestände in physischer Form auf. All das spricht dafür, dass die Bodenbildung, die wir in den vergangenen sechs Monaten gesehen haben, mittelfristig in einen neuen Aufwärtstrend einmünden wird.
Disclaimer: Der Autor, Benjamin Summa, ist freier Mitarbeiter bei finanzen.net. Er interviewt regelmäßig Finanzexperten zu aktuellen Themen.
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Bildquellen: Chefvolkswirt der Bremer Landesbank