Geldanlage-Report Armin Brack

Amazon wird vom Markt erneut abgestraft. Kaufen oder Verkaufen?

28.07.14 15:29 Uhr

Amazon wird vom Markt erneut abgestraft. Kaufen oder Verkaufen? | finanzen.net

Neben Netflix bleibt der E-Commerce-Dominator Amazon die wohl umstrittenste Aktie der NASDAQ.

Nach den am Donnerstag nachbörslich veröffentlichten Quartalszahlen zeigen die Anleger Visionär Jeff Bezos erneut den gesenkten Daumen. Lesen Sie, was dahinter steckt, warum sich die Geister bei Amazon scheiden und ob die Aktie nun wieder kaufenswert ist. Zunächst die Fakten: Zwar lagen die veröffentlichten Ergebnisse fürs zweite Quartal 2014 am oberen Ende der Schätzungen, allerdings waren selbige zunächst ja massiv nach unten korrigiert worden. Nicht anders sieht es nun für das dritte Quartal aus: Zwar dürften die bisherigen Umsatzprognosen in etwa eingehalten werden, der operative Verlust aber wird massiv ansteigen und zwar in den Bereich 410 bis 810 Millionen US-Dollar gegenüber 25 Millionen US-Dollar im Vorjahr.

Auch für das Gesamtjahr 2014 könnte Amazon damit wieder in die Verlustzone rutschen. Bisher waren Analysten noch von einem Gewinn je Aktie von 1,05 Euro ausgegangen. Die Folge: Die Aktie verliert am Freitag bis 18 Uhr (Redaktionsschluss) um über elf Prozent. Den treuen Geldanlage-Report-Lesern unter Ihnen dürfte dieses Szenario bekannt vorkommen.

In der Ausgabe vom 3. Mai berichtete ich über eine ähnliche Reaktion nach den Zahlen zum ersten Quartal. Damals schrieb ich unter anderem: Wichtig zu verstehen: Amazon verfehlt die Gewinn-Prognosen der Analysten bereits seit vier Jahren regelmäßig. Andauernd werden die Prognosen nach unten korrigiert. Für das laufende zweite Quartal hatten die Analysten ursprünglich mit 0,24 US-Dollar je Aktie gerechnet, nun liegt die Konsensschätzung nur noch bei 0,05 US-Dollar und sie wird voraussichtlich sogar noch in den negativen Bereich fallen (weil weitere Analysten ihre Schätzungen nach unten korrigieren müssen). Tatsächlich wurde es schließlich ein Verlust von 126 Millionen US-Dollar oder 0,27 US-Dollar je Aktie. Und weiter: Noch gravierender ist die Situation aufs Gesamtjahr gerechnet: Noch vor 90 Tagen ging die Wall Street im Durchschnitt für 2014 von einem Gewinn von 2,65 US-Dollar je Aktie aus. Aktuell liegen wir noch bei 1,32 US-Dollar. Die Schätzungen haben sich also fast exakt halbiert. Nun sind weitere knapp 90 Tage vergangen und jetzt drohen - wie oben beschrieben - sogar Verluste für 2014. Klar, das Mantra der Wachstumsinvestoren und Amazon-Visionäre lautet weiterhin: Wachstum geht vor Gewinn. Die Amazon-Pessimisten zweifeln aber inzwischen wieder daran, dass diese Gewinne jemals in der erwarteten Form kommen werden. Vielmehr ist von strukturellen Schwierigkeiten die Rede, und zwar in den folgenden Bereichen (nachfolgend Auszüge aus dem Update vom 03.05.):

1. Der veränderte Produktmix. Entgegen der landläufigen Meinung steigt nicht der Umsatzanteil hochmargiger Media-Produkte (E-Books; MP3s) sondern die Kategorie "Elektronik und sonstige Güter", die geringere Margen aufweist. Das hängt damit zusammen, dass der Anteil von Umsätzen mit Dritten, die über Amazon verkaufen, weiter zunimmt. Daran wird sich auch nichts ändern. Das Produktmix-Problem wird bleiben.

2. Die Logistikkosten steigen - und zwar auch im Verhältnis zu den Produktumsätzen. Von rund neun Prozent im ersten Quartal 2011 auf knapp 12 Prozent im ersten Quartal 2014. Angesichts der dünnen Margen im E-Commerce-Sektor ist das eine ganze Menge. Entsprechend musste Amazon auch die Jahresabogebühr für Amazon Prime (kostenloser Versand für Mitglieder) erhöhen, in den USA um 20 auf 99 US-Dollar). Auch hieran dürfte sich so schnell nichts ändern. Die Spekulationen, wonach Amazon künftig einen eigenen Logistikdienstleister aufbauen wird, halte ich für substanzlos. Im Vergleich zu UPS oder Fedex hätte Amazon deutliche Größennachteile. Kein Zufall, dass Amazon ausgerechnet jetzt mit seiner Drohnen-Vision aus der Deckung gekommen ist, die in ferner Zukunft die Pakete liefern sollen. Bis das allerdings tatsächlich in der Praxis funktionieren wird - wenn überhaupt - werden noch Jahre vergehen.

3. Höhere Steuern! Bisher musste Amazon in US-Staaten, in denen das Unternehmen nicht physisch präsent war, die Umsatzsteuer in Höhe von acht Prozent nicht bezahlen. Ein klarer Wettbewerbsnachteil für herkömmliche Einzelhändler wie Wal-Mart oder Target. Das ändert sich nun aber. In 20 Staaten muss Amazon bereits zahlen, darunter auch in den drei nach Bevölkerung größten, Kalifornien, New York und Texas. Seit 1.Mai folgt nun auch Florida. Auch das wird sich wohl nicht mehr ändern und sorgt für deutlich steigende Kosten.

Hinzu kommt, dass die Margen im profitablen Cloud Computing-Zweig AWS massiv unter Druck geraten.

Die Visionäre halten das alles für Kleinkrämerei. Sie haben das große Bild vor Augen und loben, dass Jeff Bezos langfristig betrachtet alles richtig mache.

Mit dem Amazon Prime-Service würden die Kunden langfristig gebunden, u.a. durch günstige Add-Ons wie einen kostenlosen Streaming-Video-Dienst. Gleichzeitig würde mittelfristig der Anteil der digitalen und hochmargigen Produkte wieder zunehmen, nicht zuletzt durch die selbst entwickelten Tablets und Smartphones.

Damit einhergehend würde Amazon zusätzlich den Online-Payment-Markt auf den Kopf stellen, in dem das Unternehmen seinen Kunden mit der "Amazon Wallett"-App die Bezahlung über das Smartphone erleichtere. Klingt gut, aber auf diesen Markt schielen auch die Giganten Apple und Google sowie Facebook. Und ob das Amazon Smartphone wirklich ein Erfolg wird, wage ich zu bezweifeln. Auch das Kindle Fire verkauft die Bezos-Mannschaft vor allem über den Preis.

MEIN FAZIT:

Amazon spielt ein gefährliches Spiel. Zwar scheint das Unternehmen im E-Commerce-Sektor unangreifbar. Die Versuche im Hardware-Segment mit eigenem Tablet und Smartphone den Markt aufzumischen und Netflix im Streaming-Video-Bereich Konkurrenz zu machen, könnten aber zu einem Fiasko werden. Ich rate dazu, die Aktie zu meiden.

Armin Brack ist Chefredakteur des Geldanlage-Reports. Gratis anmelden unter: www.geldanlage-report.de. Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.