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Schuldenschnitt? Wie die Staaten ihre Schulden abbauen können

aktualisiert 22.08.13 20:34 Uhr

Weniger Ausgaben bedeuten schwächeres Wachstum. Können die Staaten trotzdem der Schuldenfalle entkommen? Eine Analyse.

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von Tobias Aigner, Euro am Sonntag

Notenbanker sind nicht auf Krawall aus. Sie wählen ihre Worte sorgfältiger als ein Sternekoch seine Zutaten, um nur ja kein Börsenbeben auszulösen. Das gilt auch für die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Das Institut in Basel ist so etwas wie die Zentralbank der Zentralbanken. Mit ihren scharfsinnigen Analysen trifft sie oft den Nerv der Finanzwelt. Umso nachdenklicher stimmt es, wenn man in ihrem jüngsten Jahresbericht folgenden Satz findet: „Ein bloßes Stabilisieren des Schuldenstands dürfte zur Wahrung der Solvenz auf lange Sicht kaum ausreichen.“

Diese Worte bergen eine Menge Zündstoff. Sie richten sich nicht nur an Griechenland oder Portugal, sondern an fast alle entwickelten Volkswirtschaften. Im Klartext heißt die Botschaft: Wenn Länder wie die USA, Großbritannien oder Japan ihre öffentlichen Finanzen nicht in den Griff bekommen, wird es ernst. Dann droht Wachstumsschwäche und im Extremfall sogar die Zahlungsunfähigkeit. Das klingt nach Alarm. Nach Crash und Massenarbeitslosigkeit. Vielleicht sogar nach Währungsreform.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ein Schulden-GAU droht nicht morgen oder in sechs Monaten. Aber vielleicht in fünf Jahren — oder in 15. „Die Schuldenkrise der Industrieländer ist das drängendste Wirtschaftsproblem unserer Zeit“, warnt Hans-Jörg Naumer, Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Investmentgesellschaft Allianz Global Investors. Denn die Schuldenpegel steigen fast überall weiter. Die USA werden Ende 2013 voraussichtlich eine Schuldenlast von 108 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) mit sich herumschleppen. Deutschland steht mit 80 Prozent des BIP in der Kreide. Großbritannien und Frankreich haben die 90-Prozent-Marke geknackt. Und der Ober-Schuldensünder Japan steuert auf eine Schuldenquote von 245 Prozent zu.

Angesichts dieser Zahlen stellen sich ein paar bange Fragen: Werden die Länder die Schuldenwende schaffen? Wie lange brauchen sie dafür? Aber auch: Was macht die Verbindlichkeiten eigentlich so gefährlich? Die Japaner scheinen mit ihrem gewaltigen Schuldenberg ja ganz gut zu leben.
Das stimmt nur oberflächlich betrachtet. Denn Japan lebt seit mehr als 20 Jahren vor allem mit Mickerwachstum. Hohe Schulden bremsen die Konjunktur aus, da sind sich die Wissenschaftler einig. Schon deshalb tut ein Abbau not.

Nicht ganz so einig sind sich die Volkswirte bei der Frage, ab welcher Höhe die Staatsverschuldung bedenklich wird. Die berühmteste Untersuchung dazu haben die US-Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff verfasst. Sie ziehen die kritische Schuldengrenze bei etwa 90 Prozent des BIP. Zwar sind ihre Studien wegen einiger Rechenfehler nachträglich in die Kritik geraten. „Der Daumenwert gilt aber noch immer“, sagt Naumer. Zumal auch andere angesehene Wissenschaftler Schwellenwerte zwischen 77 und 96 Prozent ermittelt haben.

Die zweite Gefahr der Schuldenmacherei: Sie verselbstständigt sich oft. Staaten leben gern über ihre Verhältnisse — bis die Schuldenlawine unkontrollierbar wird und im Staatsbankrott endet. Die Geschichte ist voll von Beispielen. Der spanische König Philipp II. erklärte zwischen 1557 und 1596 gleich dreimal die Zahlungsunfähigkeit. Die Hyperinflation im Deutschland der 20er-Jahre war ebenfalls eine Folge zügelloser Schuldenpolitik.

„Japan fliegt in die Luft“
Von solchen Katastrophen sind die Industriestaaten heute noch ein gutes Stück entfernt. Trotzdem scheinen zumindest manche Länder dem Abgrund Schritt für Schritt näher zu kommen. Allen voran Japan. Die Notenpresse läuft schon auf Hochtouren. Und die Regierung pumpt rund 30 Prozent ihrer Steuer­einnahmen in den Zinsdienst. Dass das Land noch nicht unter seiner Schuldenlast zusammengebrochen ist, verdankt es den niedrigen Zinsen. Zehnjährige japanische Staatsanleihen werfen nur 0,74 Prozent Rendite ab. Würde der Zinssatz nachhaltig über die Marke von 2,5 Prozent klettern, wäre das Inselreich am Ende — so gut wie bankrott. Das Verhältnis aus Einnahmen und Zinsausgaben wäre nicht mehr tragbar.

Undenkbar ist ein solcher Rendite­anstieg nicht, das zeigt die Historie. Im Herbst 1998 schnellte die Rendite schon einmal von 0,77 auf 2,43 Prozent hoch — innerhalb von vier Monaten. „Japan fliegt in die Luft“, ist der Finanzprofessor Stefan Homburg von der Leibniz-Universität in Hannover überzeugt, „nur der Zeitpunkt dafür ist noch offen.“

Was ein Kollaps Japans an den Finanzmärkten anrichten würde, mag man sich gar nicht ausmalen. Absolut betrachtet haben die Japaner umgerechnet Schulden von fast zehn Billionen Euro angehäuft. Wenn die Gläubiger darauf sitzen bleiben, könnte es gewaltig krachen im Börsen-Gebälk. In Europa zittern die Investoren schon, wenn die Zahlungsfähigkeit Griechenlands angezweifelt wird. Das Land steht mit gut 300 Milliarden Euro in der Kreide. Im Vergleich wirkt dieser Betrag fast wie ein Trinkgeld.

Um Crashgefahr und Wachstumsstau zu vermeiden, hilft nur eins: Die staatlichen Schuldenquoten müssen runter. Die Frage ist nur: wie? Ein Schuldenschnitt würde Schockwellen über die Börsen jagen und scheidet deshalb unter normalen Umständen aus.

Es bleiben drei Möglichkeiten: Wachstum, Inflation und Haushaltsdisziplin. Doch alle drei machen Probleme: Kräftiges Wachstum ist in den Industrieländern mit ihren alternden Bevölkerungen nicht in Sicht, Inflation lässt sich nicht auf Befehl einbestellen und ein strikter Sparkurs kostet womöglich Wählerstimmen.

Der Spielraum ist also begrenzt. Was bleibt, ist ein Mix aus leichtem Wachstum, ein wenig Inflation und sehr niedrigen Zinsen. Kapitalmarkt­experte Naumer hat berechnet, wie sich die Schuldenstände Deutschlands, Frankreichs und der USA unter realistischen Annahmen entwickeln. Das ernüchternde Ergebnis: „Der Abstieg vom Schuldengipfel wird ein langer Marsch“, sagt er. Wenn die Inflation nicht über vier Prozent steigt, braucht Deutschland mindestens bis zum Jahr 2021, um seine Verbindlichkeiten auf das Maastricht-Niveau von 60 Prozent des BIP zu senken. Dieser Schuldenpegel gilt unter Ökonomen als unbedenklich. In Frankreich sieht die Lage noch prekärer aus. Unter ähnlichen Bedingungen brauchen die Franzosen bis 2029, um die Maastricht-Grenze zu erreichen, die USA bis 2032.

Lernfähige Demokratien
Die Rechnungen zeigen auch, wie stark die Inflation den Schuldenabbau beschleunigt. Liegt die Teuerung bei nur zwei Prozent, benötigen die Staaten gleich Jahrzehnte länger für ihre Schuldenmission. Zudem hat Naumer vorausgesetzt, dass die Regierungen einen ausgeglichenen Primärhaushalt (Haushalt ohne Zinsausgaben) erzielen, was eine enorme Disziplin verlangt.

Die Mehrzahl der Ökonomen traut den großen Volkswirtschaften die Dauer-Rosskur trotzdem zu. „In Staaten wie den USA oder Deutschland wird es keinen Schuldenschnitt geben — und schon gar keinen Neustart des Geldsystems“, sagt Naumer.­ Auch Holger Schmieding, Chefvolkswirt von der Privatbank Berenberg, ist zuversichtlich: „Wir kommen da raus“, sagt er. „Demokratien sind lernfähig. Die Einsicht, dass es ohne solide Fiskalpolitik nicht geht, setzt sich immer mehr durch.“

Ein Blick in die Vergangenheit verrät ebenfalls, dass eine lange Schuldendiät möglich ist. Am Ende des Zweiten Weltkriegs standen die USA schon mal mit 122 Prozent des BIP in der Kreide. Doch bis Ende der 70er-Jahre schrumpfte die Quote auf weniger als 40 Prozent zusammen. Wie die Vereinigten Staaten das geschafft haben? Das Zauberwort heißt finanzielle Repression. Und genau die erleben wir seit einigen Jahren: Politiker und Notenbanken manipulieren die Finanzmärkte — mit Regulierung und indem sie die Zinsen künstlich niedrig halten. Für die strapazierten öffentlichen Haushalte ist das ein Segen. Finanzminister Wolfgang Schäuble kann sich die Hände reiben. Laut einer Studie des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel hat der Bund durch die Niedrigzinsen seit 2009 rund 80 Milliarden Euro eingespart.

Das Nachsehen hat der Anleger. Zehnjährige Bundesanleihen werfen nur 1,8 Prozent Rendite ab. Die Inflation liegt aktuell bei 1,9 Prozent. Mit den Staatsbonds verliert man Kaufkraft. Die Sparvermögen in Deutschland — viele davon in Sparbüchern angelegt — verlieren dieses Jahr real rund 14 Milliarden Euro an Wert, hat die Postbank ausgerechnet.

System in Gefahr
„In dieser Zeit sind Aktien unsere erste Wahl“, sagt Marco Herrmann, Geschäftsführer der Vermögensverwaltung Fiduka in München. Er empfiehlt konservativen Anlegern, in Dividendentitel zu investieren. Herrmann hat untersucht, wie sich die US-Börse in den 40er-Jahren schlug, als die US-Regierung erstmals auf finanzielle Repression setzte. Das Ergebnis: Bereinigt um die Inflation hat der Dow-Jones-Index in zehn Jahren rund 80 Prozent zugelegt, während zehnjährige Staatsanleihen fast 30 Prozent an Wert verloren.

Auch auf Gold sollten Anleger setzen. Fünf bis zehn Prozent des Vermögens sind eine vernünftige Quote. Denn falls die Staaten den Turn­around doch nicht schaffen, ist das Geldsystem akut in Gefahr. Politik und Notenbanken müssten dann ganz tief in die Trickkiste greifen (siehe unten), um den Kollaps zu verhindern. Schon aus diesem Grund sagt der Münchner Vermögensverwalter Michael Reuss: „Eins kann man sich in dieser Situation nicht leisten: kein Gold zu haben.“

Der Trick mit der Löschtaste
Schuldenzauber der Notenbanken

Die Debatte um die Finanznot der Industrieländer treibt kuriose Blüten. Ökonomen und Notenbanker diskutieren einen Vorschlag zum Abbau der Staatsschulden, der für den Normalbürger erst mal wie Hokuspokus klingt. Der Trick geht so: Die Zentralbanken, die zur Krisenbekämpfung haufenweise Staatsanleihen aufkaufen, verzichten auf die Tilgung dieser Bonds. Oder sie stimmen zu, dass die Papiere in unverzinsliche Anleihen mit unendlicher Laufzeit umgewandelt werden. Das käme aufs Gleiche hinaus. Hunderte Billionen Yen, Hunderte Milliarden Dollar, Britische Pfund und Euro könnten dadurch aus den staatlichen Schuldenstatistiken verschwinden. Einfach so. Als hätte jemand die Löschtaste gedrückt.

Staatsschulden einfach wegzaubern — eine verwegene Idee. Aber auch eine realistische? Michael Reuss, Chef der Vermögensverwaltung Huber, Reuss & Kollegen in München, hält einen solchen Schritt für möglich. „Wie sollen die Staaten denn sonst von ihren Schuldenbergen runterkommen?“, fragt er. „Irgendwann läuft es fast zwangsläufig auf einen Schuldenverzicht der Zentralbanken hinaus.“

Ganz abwegig scheint der Einfall also nicht. Ins Gespräch brachte ihn Adair Turner auf einer Tagung des Internationalen Währungsfonds im vergangenen Herbst. Turner war bis März 2013 Chef der Londoner Finanzmarktaufsicht. Dass ein Brite die Idee in die Runde warf, ist kein Zufall. Die Bank of England hat Staatsanleihen im Wert von 375 Milliarden Pfund in ihrer Bilanz gebunkert. Damit hält sie 27 Prozent der Schulden des Königreichs. Würden die Währungshüter diese Forderungen komplett streichen, dann sänke die Schuldenquote Großbritanniens von gut 90 auf 65 Prozent des Brutto­inlandsprodukts (BIP). Das wäre ein riesiger Schritt nach vorn.

Solche Zahlenspiele dürften auch andere aufhorchen lassen. Die Regierung in Tokio zum Beispiel. Die Bank of Japan hält mehr als 13 Prozent der Staatsanleihen und kauft rund 70 Prozent der Neuemissionen auf. Da braucht man nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass Nippons Politiker einen Schuldenabbau durch die Notenbank willkommen heißen würden. Auch in den USA, wo die US-Notenbank Fed knapp elf Prozent der heimischen Staatsbonds hält, könnte der Gedanke Begehrlichkeiten wecken.

Am schlechtesten sind die Voraussetzungen für das Schuldenausradieren noch in der Eurozone. Hier sind die Anleihekäufe durch die EZB ohnehin äußerst umstritten. Und die Europäische Zentralbank (EZB) hat bisher erst zaghaft Staatsanleihen in die Bücher genommen. Die Papiere stammen ausschließlich aus Griechenland, Portugal, Irland, Spanien und Italien. Sie machen nur gut zwei Prozent an der Gesamtverschuldung der Eurozone aus.

Dennoch, verführerisch scheint der Trick mit der Löschtaste allemal. Aber kann er funktionieren? Auf dem Papier schon. So verblüffend es klingt: Buchhalterisch könnten die Notenbanken den Ausfall der Staatsanleihen vermutlich verkraften. Zwar müssten sie hohe Verluste verbuchen und würden ein negatives Eigenkapital ausweisen. Aber im Gegensatz zu Privatunternehmen können Zentralbanken nicht pleitegehen. Niemand kann ihnen den Geldhahn zudrehen. Sie sitzen selbst an der Notenpresse und bleiben handlungsfähig.

Das lehrt auch die Geschichte. „Die Notenbanken Kanadas, Chiles und Tschechiens haben schon mit negativem Eigenkapital operiert“, so Ansgar Belke, Wirtschaftsprofessor an der Universität Duisburg-Essen. Auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) rutschte Anfang der 70er-Jahre ins Minus, als das System von Bretton Woods zusammenbrach, das die wichtigsten Währungen der Welt an den Dollar koppelte. Damals bebten die Devisenkurse, die SNB musste herbe Verluste auf ihre Fremdwährungsanlagen hinnehmen. Doch obwohl ihr Eigenkapital negativ wurde, blieb sie Herr der geldpolitischen Lage — und glich die Bilanz später durch Gewinne wieder aus.

Kühne Stimmen behaupten sogar, eine Notenbank könne das negative Eigenkapital über Jahrzehnte in der Bilanz mitschleppen. Oder einfach eine neue Bilanz aufsetzen. Klingt ein bisschen nach Verschwörungstheorie. „Vorstellen kann ich mir das eigentlich nicht. Unser kaufmännisches System beruht darauf, dass Bilanzen nicht manipuliert werden“, sagt Carsten Klude, Chefvolkswirt der Privatbank M.M. Warburg in Hamburg. „Aber technisch ist das machbar.“

Ob Notenbanken und Regierungen wirklich jemals zu einem so unorthodoxen Werkzeug greifen, wird vor allem vom Grad ihrer Verzweiflung abhängen. Davon, ob die Staatsschulden aus dem Ruder laufen, die Volkswirtschaften anämisch vor sich hinvegetieren und der Deflationsdruck steigt. „Auf jeden Fall wäre es eine radikale Abkehr von einer stabilitätsorientierten Geldpolitik“, gibt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, zu bedenken.

Zudem stehen juristische Hürden im Weg. Laut Artikel 123 des EU-Vertrags darf die EZB Staaten nicht mit der Notenpresse finanzieren. Der EU-Vertrag ließe sich zwar ändern, aber nur einstimmig, was mit Deutschland kaum zu machen sein dürfte. Fast alle Papiergeldkrisen begannen damit, dass zügellos Geld gedruckt wurde. Und die düsteren Erinnerungen an zwei Währungsreformen im vergangenen Jahrhundert sind hierzulande noch sehr präsent.

In Großbritannien, in den USA und in Japan ist das Verbot der monetären Staatsfinanzierung nicht so strikt formuliert wie in Euroland. Und die Angst vor einer Währungshavarie nicht so groß. Trotzdem wird niemand leichtfertig die Löschtaste drücken. Die Risiken sind bekannt. So schwebt über dem Bilanztrick immer das Damoklesschwert der Inflation. „Der Akt des Schulden­streichens selbst wirkt zwar nicht preistreibend“, sagt Klude. „Aber wenn die Notenbanken vorher Staatsanleihen kaufen, dann ist das Geldschöpfung. Die trägt ein enormes inflationäres Potenzial in sich.“

Am schwersten wiegt jedoch ein anderes Argument. Die Notenbanken würden mit einem Schuldenschnitt ihr wertvollstes Gut aufs Spiel setzen. Eines, das in keiner Bilanz auftaucht und in keinem Vertrag vereinbart werden kann — Vertrauen. Die heikle Frage ist deshalb: Wie reagieren Börsen und Bürger, wenn eine Notenbank den Schuldenerlass verkündet? Falls die Investoren den Schritt als Verzweiflungstat werten, würden sie blitzschnell Geld abziehen. Die betreffende Währung würde wahrscheinlich unkontrolliert abstürzen.

Aber selbst wenn sie den Schuldenzauber als Befreiungsschlag feiern und die Wirtschaft aufatmet, sind nicht alle Probleme gelöst. Zu groß wäre die Versuchung, den Trick öfter anzuwenden. Die Politik hätte ein vermeintliches Perpetuum mobile in der Hand, um Wahlgeschenke zu verteilen. Die monetäre Staatsfinanzierung würde zum Selbstläufer. „Dann ist sogar eine Hyperinflation samt Währungsreform denkbar“, warnt Klude.

Vermögensverwalter Reuss kann sich vorstellen, dass es so weit kommt und die Notenbanken den Schnitt als einmalige Bereinigung verkünden. Er hat schon ein Idee, wie das abläuft: „Da treffen sich am Wochenende alle bei Fed-Chef Ben Bernanke zum Grillen und beschließen, den Big Button zu drücken.“

Investor-Info

Schuldenentwicklung
Sprung nach der Finanzkrise

Nach dem Lehman-Crash 2008 schnellten die Staatsschulden weltweit in die Höhe. Kein Wunder, schon ein halbes Jahr nach der Pleite der US-Investmentbank hatten die Regierungen rund um den Globus Rettungspakete im Wert von 6,7 Milliarden Dollar geschnürt, um Banken und Konjunktur zu stützen. In Deutschland stieg der Schuldenpegel seither von 65 auf voraussichtlich 80 Prozent des BIP Ende dieses Jahres. In den USA wuchs er von 67 auf 108 Prozent, im bankenlastigen Großbritannien von 44 auf 94 Prozent. Dass der heutige Schuldenwildwuchs allein auf die Finanzkrise zurückzuführen sei, ist allerdings eine Mär, die vor allem Politiker verbreiten. Das Unheil begann früher. In Deutschland stiegen nach dem Zweiten Weltkrieg die Schulden schon zweimal sprunghaft an: in den 70er-Jahren, als der Sozialstaat ausgebaut wurde, und nach der Wiedervereinigung. Japan gilt seit dem Platzen seiner Immobilien- und Aktienblase im Jahr 1989 als notorischer Schuldensünder. Aktuell versucht das Land, seine schwächelnde Wirtschaft mit der Notenpresse anzukurbeln — ein waghalsiges Experiment.













Deutschland
Gute Chancen

Deutschland bekommt seine Schulden in den Griff. Davon sind die meisten Ökonomen überzeugt. Aber der Weg bis zur Maastricht-Schuldengrenze von 60 Prozent des BIP ist auch hierzulande weit. Hans-Jörg Naumer von Allianz Global Investors hat berechnet, wie lange der Staat dafür braucht. Dabei trifft er folgende Annahmen: Die Wirtschaft wächst real um 1,5 Prozent pro Jahr, die Inflation liegt bei zwei Prozent, der Staat zahlt durchschnittlich zwei Prozent Zinsen auf seine Schuldtitel und der Primärhaushalt — also der Haushalt ohne Zinszahlungen — ist ausgeglichen. Ergebnis: In 20 Jahren, also 2033, hätte Deutschland es geschafft, das Maastricht-­Kriterium wäre erfüllt. Eine höhere Inflation könnte die Schuldendiät noch beschleunigen. Liegt die ­Teuerungsrate bei vier Prozent, kann der deutsche ­Finanzminister schon 2021 aufatmen. Bei sechs Prozent Inflation wäre die 60-Prozent-Marke sogar schon in fünf Jahren erreicht.













Frankreich
Langer Atem

Für das Nachbarland hagelt es gerade Kritik. Der Wirtschaftskurs von Präsident François Hollande kommt in der Finanzwelt gar nicht gut an. Während die EU-Südländer einen rigiden Sparkurs durchsetzen, senkte er das Renteneintrittsalter. Wichtige ­Arbeitsmarktreformen liegen auf Eis. Und die ­ Ratingagenturen haben dem Land die „AAA“-Note entzogen, was für langfristig steigende Zinskosten spricht. In der Schuldensimulation für Frankreich liegt der Durchschnittszinssatz bei drei Prozent. Das Wachstum wird wieder auf 1,5 Prozent veranschlagt und ein ausgeglichener Primärhaushalt vorausgesetzt. Fazit: Das Land braucht auf jeden Fall einen extrem langen Atem beim Schuldenabbau: Bei zwei Prozent Inflation landet Frankreich erst im Jahr 2095 auf Maastricht-Niveau. Fällt die Teuerung höher aus, geht es entsprechend schneller. Wichtig: Hollande muss die Staatsausgaben in den Griff bekommen. Das Defizitziel von 3,7 Prozent des BIP für dieses Jahr wird die Regierung höchstwahrscheinlich verfehlen.













USA
Einschlägige Erfahrungen

Die USA wissen, wie man mit ausufernden Staatsschulden umgeht. Nach dem Zweiten Weltkrieg kletterte die Schuldenquote auf 122 Prozent des BIP. Doch in den folgenden 35 Jahren gelang es den Amerikanern, das Niveau auf unter 40 Prozent zu drücken. Wie? Mit finanzieller Repression. Die Realzinsen notierten lange unterhalb der Ein-Prozent-Marke. Offenbar nutzen die Vereinigten Staaten ihre einschlägigen Erfahrungen: Auch heute halten sie die Zinsen künstlich niedrig, indem die US-Notenbank zum Beispiel jeden Monat für 45 Milliarden Dollar Staatsanleihen kauft. Kein Wunder, denn die Finanzlage ist fast so angespannt wie 1945. Die Verbindlichkeiten belaufen sich auf fast 110 Prozent des BIP. Und die Schuldenobergrenze von 16,4 Billionen US-Dollar ist ausgereizt. Naumer hat ausgerechnet, wie lange der Schuldenabbau dauert: Bei einer Inflationsrate von vier Prozent, einem Realwachstum von zwei Prozent, einem ausgeglichenen Primärhaushalt und einem Zinssatz von drei Prozent wären die USA im Jahr 2032 bei einer Schuldenquote von 60 Prozent angekommen. Fällt die Teuerung geringer aus, ist mehr Geduld angesagt. Bei nur zwei Prozent Inflation dauert die Schrumpfkur noch bis zum Jahr 2071.

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