Konjunktur: Noch stark auf Kurs
Der China-Crash schürt Sorgen um die deutsche Wirtschaft. Doch noch läuft sie gut, mit einer Verlangsamung rechnen Experten erst 2016.
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von Andreas Höß, Euro am Sonntag
Einer der imposantesten Parkplätze der Welt liegt hoch im deutschen Norden: Im Autoterminal Bremerhaven stehen meist Zehntausende Fahrzeuge bereit, um nach China oder in die USA verschifft zu werden. Doch die Parksituation dort hat sich etwas entspannt: 1.068.398 Autos wurden von Januar bis Juni in den bremischen Häfen umgeschlagen, 4,4 Prozent weniger als im ersten Halbjahr 2014. Den Rückgang begründet der Hafenbetreiber unter anderem mit der schwächelnden Konjunktur in China. Zahlen wie diese schüren derzeit die Panik bei Anlegern. Sie fürchten, dass Chinas ökonomische Schieflage auch der deutschen Wirtschaft erhebliche Probleme bereitet. China ist für Deutschland ein wichtiger Handelspartner, deutsche Waren im Wert von etwa 75 Milliarden Euro gingen im Jahr 2014 dorthin. Das waren über sechs Prozent der deutschen Exporte.
Deshalb sind die Sorgen groß. Sichtbar wurden sie zuletzt an der deutschen Börse. Im Zuge des DAX-Absturzes wegen der konjunkturellen Unsicherheit wurden vor allem Aktien von Autobauern verkauft. Kein Wunder, diese machen mit bis zu 50 Prozent einen so großen Anteil ihrer Gewinne in China wie keine andere Branche.
Gleichwohl sind Zahlen wie jene aus Bremerhaven bisher die Ausnahme. "Die China-Panik ist völlig überzogen", sagt Harald Preißler, Chefvolkswirt des Vermögensverwalters Bantleon, der mit hauseigenen Analysesystemen die konjunkturelle Entwicklung prognostiziert. Hätte Chinas Wirtschaft eine Vollbremsung hingelegt, hätte man das in der deutschen Industrie bereits spüren müssen. Das sei aber nicht der Fall.
Deutsche Wirtschaft brummt
"Natürlich schwächt sich das Wachstum in China ab, doch das ist lange bekannt. Die jetzige Hysterie beruht nicht auf Fakten, sondern auf diffusen Ängsten", sagt Preißler deshalb. Tatsächlich lassen viele jüngst veröffentlichte Indikatoren aus der deutschen Wirtschaft auf weiterhin robustes Wachstum schließen.Der vom Analysehaus Markit ermittelte Einkaufsmanagerindex für die Industrie stieg im August auf 53,2 Punkte und liegt damit über der Schwelle von 50 Punkten, die Wachstum signalisiert. Im Mai und im Juni legten die Auftragseingänge in der Industrie um 4,7 und 7,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu, was auf gute Geschäfte im restlichen Jahr hoffen lässt. Auch das vom Münchner Ifo-Institut ermittelte Geschäftsklima stieg erneut, es gilt als wichtigster deutscher Konjunkturindikator. "Die deutsche Wirtschaft bleibt ein Fels in der Brandung", kommentierte Ifo-Chef Hans-Werner Sinn. Doch nicht nur die Zahlen aus der Industrie sind gut. Auch die Umsätze im Einzelhandel waren im Juni rund fünf Prozent höher als im Vorjahr. "Damit dürfte der Einzelhandel, der einen Anteil von etwa einem Drittel am privaten Konsum hat, in diesem Jahr einen wichtigen Beitrag zur erwartet guten Konsumkonjunktur leisten", glaubt die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung GfK.
Zweifel statt Zuversicht
Deutschlands Wirtschaft läuft also gut. Was aber auffällt: Die Zuversicht, dass es so weitergeht, lässt trotz vielversprechender Daten nach. So beurteilten die 7.000 für den Ifo-Index befragten Unternehmen ihre aktuelle Situation weitaus besser als die Geschäftsaussichten - und das, obwohl ihre Antworten meist vor den Börsenturbulenzen beim Münchner Ifo-Institut eingingen. Schon seit dem Frühjahr fallen die Geschäftserwartungen mehr oder weniger stetig, während sich die jeweils aktuelle Lage immer weiter verbesserte.Ähnliches zeichnet sich an anderen Stellen ab. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung ermittelt die Konjunkturerwartungen von Finanzmarktexperten. Diese Prognosen trübten sich im August den fünften Monat in Folge ein. Die vom Ifo-Institut erhobenen Exporterwartungen fallen seit März. Auch der Optimismus der Konsumenten hat einen Dämpfer erhalten. Das vom GfK-Institut erfragte Konsumklima ging im August den dritten Monat in Folge zurück. Noch im Mai hatte es den höchsten Stand seit der Wiedervereinigung erreicht. "Es gab immer Faktoren wie Griechenland oder China, die auf die Stimmung drückten", erklärt Volkswirt Harald Preißler die grassierenden Zweifel.
Mittlerweile haben diese auch die Prognosen der Investmentbanken und Wirtschaftsforschungsinstitute erreicht. Bisher trauten sie Deutschland in diesem Jahr um die zwei Prozent Wachstum zu (siehe Investor-Info). Nun könnten diese Werte nach unten korrigiert werden. So hat die Schweizer Großbank UBS ihre deutsche Konjunkturprognose für 2015 schon von 2,1 auf 1,5 Prozent und für 2016 von 2,4 auf 2,1 Prozent gesenkt. Eine Wachstumsverlangsamung in China führe zu 0,2 bis 0,4 Prozentpunkten weniger Wachstum in Europa, wo Deutschland die engsten Handelsbeziehungen zu China habe, so die Begründung. Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) mahnt, dass die deutsche Wirtschaft angesichts der Sorgen um das chinesische Wachstum "schon bald etwas an Schwung verlieren könnte".
Andere sind optimistischer. Die Bundesregierung belässt ihre Wachstumsprognose für 2015 und 2016 weiter bei 1,8 Prozent. Laut Bantleon-Experte Preißler hat sie auch keinen Anlass, diese zu kürzen: "Die deutsche Wirtschaft ist längst nicht mehr so einseitig auf Exporte ausgelegt wie noch vor einigen Jahren und damit widerstandsfähiger." Die Daten aus Deutschland seien nach wie vor gut, außerdem blieben die konjunkturellen Triebkräfte noch eine Weile erhalten. Das seien vor allem der schwache Euro, die niedrigen Rohstoffpreise, die geringen Zinsen und die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. "An den Börsen schaut man schon wieder mehr auf die Fundamentaldaten und wird das wohl auch weiter tun, die Kurse sollten wieder steigen."
Mittelfristig sieht aber auch Harald Preißler schwere Zeiten auf Deutschland zukommen: "Die Wirkung der konjunkturtreibenden Faktoren wird irgendwann verpuffen. Unserer Meinung nach wird das im Frühjahr 2016 der Fall sein", warnt der Volkswirt. "Dann wird das Wachstum spürbar zurückgehen, und an den Börsen wird es wieder turbulent werden."
Investor-Info
Deutsche Exporte
Chinas relative Bedeutung
Deutschland exportierte im Jahr 2014 Waren für 1,1 Billionen Euro. China war als Absatzmarkt wichtiger als etwa Österreich, aber weit weniger relevant als die USA oder Frankreich. Im ersten Halbjahr 2015 ist China mit 36 Milliarden Euro Exportvolumen sogar hinter die Niederlande (39 Milliarden) gefallen.
Deutscher Konsum
Immer noch stark
Niedrige Arbeitslosigkeit, steigende Löhne und durch niedrige Kreditzinsen und den niedrigen Ölpreis etwas mehr Geld im Geldbeutel: Das Konsumklima in Deutschland hat sich bis Mitte des Jahres auf Rekordwerte verbessert. Erst die Krisenstimmung der vergangenen Monate dämpfte die Konsumlaune etwas.
Konjunkturprognosen
Was die Auguren erwarten
Viele Wirtschaftsforscher geben Schätzungen zur deutschen Konjunktur ab, mitunter weichen diese stark voneinander ab. Zum Beispiel rechnet die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für 2016 mit stärkerem Wachstum als für 2015, beim IW Köln ist es andersherum. Institut/Institution Prognose(2015) Prognose(2016)
Internat. Währungsfonds 1,6 % 1,7 %
Bundesregierung 1,8 % 1,8 %
OECD 1,6 % 2,3 %
IW Köln 2,3 % 1,5 %
IWH Halle 1,8 % 1,7 %
Ifo-Institut München 1,9 % 1,8 %
DIW Berlin 1,8 % 1,9 %
RWI Essen 1,8 % 1,9 %
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