Die Geschichte des Brexit: von David Cameron bis Boris Johnson - droht nun das Chaos?
Die scheinbar unendliche Geschichte über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union ist um ein weiteres Kapitel reicher.
Werte in diesem Artikel
Die Geschichte zwischen den Kontinentaleuropäern und den britischen Inselbewohnern ist von verschiedenen historischen Ereignissen geprägt. Das Verhältnis beider Parteien war zwischen Annäherung und Abschottung gefangen. Zum 1. Januar 2021 hat Großbritannien nun endgültig einen Schlussstrich gezogen.
23. Januar 2013: Ankündigung des Referendums
David Cameron, der Premierminister des Vereinigten Königreichs, hält eine Grundsatzrede zur Europäischen Union und verspricht seinem Volk, im Falle eines Wahlsiegs seiner Conservative Party bei den Unterhauswahlen im Jahr 2015, ein Referendum über den Austritt des Königreichs aus der EU.
7. Mai 2015: Sieg Camerons
Entgegen aller Prognosen und Meinungsumfragen gewinnt David Cameron die Parlamentswahl und löst sein Versprechen für ein EU-Referendum ein.
5. Januar 2016: Freie Hand für die Minister
David Cameron lässt seinen Ministern freie Hand bei der Frage, ob sie für oder gegen einen Austritt aus der EU Werbung machen möchten. Der Londoner Ex-Bürgermeister Boris Johnson nutzt die Chance und formiert sein Brexit-Lager.
23.- 24. Juni 2016: Tag der Entscheidung
Am Tag des Referendums entschieden sich knapp 52 Prozent der Wählerinnen und Wähler aus dem Vereinigten Königreich für einen Austritt aus der EU und nur rund 48 Prozent dagegen. Die Wahlbeteiligung lag bei 72,2 Prozent. Einen Tag nach der Wahl, am 24. Juli 2016, kündigt Premierminister David Cameron seinen Rücktritt an.
13. Juli 2016: Theresa May neue Premierministerin
Die eigentliche Brexit-Gegnerin Theresa May wird neue Premierministerin und der Brexit-Befürworter Boris Johnson wird überraschend zum Außenminister des Landes. Des Weiteren wird David Davis Minister für den Austritt aus der EU.
29. März 2017: Austrittsantrag nach Artikel 50
Theresa May und die britische Regierung reichen in Brüssel den offiziellen Austrittsantrag nach Artikel 50 der Verfassung der Europäischen Union ein. Die Zweijahresfrist bis zum endgültigen Austritt, welche der Artikel 50 vorschreibt, endet somit am 29. März 2019.
18. Januar 2018: EU-Austrittsgesetz
Das britische Unterhaus verabschiedet ein EU-Austrittsgesetz. Laut dem Gesetz soll das europäische Recht nach dem Austritt aus der Union erst in nationales Recht umgeschrieben werden, um es später im Detail anpassen zu können.
28. Februar 2018: Erster Brexit-Vertrag
Michael Barnier, der EU-Chefunterhändler, stellt den ersten Entwurf für einen geregelten EU-Austritt, welcher die Beziehungen zwischen dem Vereinten Königreich und der Europäischen Union regeln soll, vor.
23. März 2018: Einigung auf Übergangslösung
Die europäischen Mitgliedsstaaten einigen sich auf dem EU-Gipfel auf eine Übergangslösung für die Zeit nach dem Brexit. Die Mitglieder der Union gestatten es Großbritannien vom Tag des Austritts, 29. März 2019, bis zum 31. Dezember 2020 alle Annehmlichkeiten einer EU-Mitgliedschaft, bis auf das Stimmrecht, wahrzunehmen.
6. Juli 2018: Rücktritt Boris Johnson
Theresa May versammelt ihr Kabinett auf ihrem Landsitz Chequers, um ihre Minister auf einen "weichen" Brexit einzuschwören. Nach der Klausurtagung erklären Außenminister Boris Johnson und Chefunterhändler David Davis ihren Rücktritt.
13.-14. November 2018: Notfallplan
Am 13. November veröffentlicht die Europäische Kommission einen Notfallplan für einen sogenannten "harten" Brexit, also einen EU-Austritt ohne Abkommen. Einen Tag darauf präsentiert die Europäische Kommission zusammen mit der britischen Regierung einen Entwurf für einen "weichen" Austritt aus der EU.
15. Januar 2019: Nein zum Austrittsabkommen
Das britische Parlament lehnt das Austrittsabkommen mit der EU ab. Der von Theresa May ausgehandelte Brexit-Deal wird von insgesamt 432 von 634 Abgeordneten abgewiesen.
12.März 2019: Erneute Ablehnung
Auch ein überarbeiteter Austrittsvertrag zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU findet im britischen Unterhaus keine Mehrheit. Mit 391 von insgesamt 633 Abgeordneten wendet sich die Mehrheit des Parlaments gegen den Deal von Theresa May.
11. April 2019: Weiterer Aufschub des Brexit
In einem EU-Sondergipfel wird dem Vereinten Königreich erneut mehr Zeit eingeräumt, um einen "harten" Brexit zu verhindern. Die Europäische Kommission setzt das neue Ultimatum für den EU-Austritt auf den 31. Oktober 2019 fest.
24. Mai 2019: Theresa May kündigt ihren Rücktritt an
Premierministerin Theresa May kündigt an, ihr Amt als Parteichefin der Conservative Party am 7. Juni 2019 niederzulegen.
24. Juli 2019: Boris Johnson wird Premierminister
Als Anführer der Befürworter eines EU-Austritts, des Vereinigten Königreichs, galt Boris Johnsons schon im Jahr 2016 als Favorit auf die Nachfolge von David Cameron. Doch erst am 23. Juli 2019 wurde er zum Chef der Conservative Party gewählt und übernahm dementsprechend an dem darauffolgenden Tag das Amt des Premierministers.
28. August 2019: Unterbrechung der Sitzungsperiode
Boris Johnson gibt die Unterbrechung der andauernden Sitzungsperiode des Parlaments bekannt. Diese soll vom 10. September bis zum 10. Oktober 2019 andauern.
3. September 2019: Johnson verliert die Mehrheit im Unterhaus
Während der laufenden Parlamentssitzung verliert Boris Johnson, durch einen Fraktionswechsel eines Abgeordneten seiner Conservative Party zu den proeuropäischen Liberalen, die Mehrheit im britischen Unterhaus.
9. September 2019: Erneute Verschiebung des Austritts
Mit 311 Ja-Stimmen gegen 302 Nein-Stimmen verabschiedet das Unterhaus ein Gesetz, welches die Regierung dazu verpflichtet, eine erneute Verschiebung des EU-Austritts in Brüssel zu beantragen. Ein Austritt nach dem 31. Oktober 2019 soll jedoch nur geschehen, falls bis zum 19.Oktober kein Austrittsabkommen mit der Europäischen Union ausgehandelt wurde. Darüber hinaus wird am Abend des 9. Septembers die Sitzungsperiode des Parlaments beendet.
24. September 2019: Prorogation ist verfassungswidrig
Der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs erklärt, dass die Prorogation der Sitzungsperiode des Unterhauses nicht mit der britischen Verfassung zu vereinbaren ist. Der Sprecher des Unterhauses, John Bercow, beschließt daraufhin, die Arbeit im Parlament am 25. September wieder aufzunehmen.
28. Oktober 2019: Verschiebung des Austritts
Die britische Regierung und der Europäische Rat einigen sich auf eine weitere Verschiebung des EU-Austritts. Sofern der neue Austrittsvertrag nicht früher ratifiziert wird, soll Großbritannien nun spätestens bis zum 31. Januar 2020 aus der Europäischen Union ausscheiden.
29. Oktober 2019: Entscheidung für Neuwahlen
Das britische Unterhaus entscheidet sich mehrheitlich dafür, am 12. Dezember 2019 Neuwahlen abzuhalten.
12. Dezember 2019: Conservative Party mit Mehrheit
Die britische Unterhauswahl wurde vorzeitig am 12. Dezember 2019 abgehalten. Während Johnsons Conservative Party die größte Mehrheit errang und so die Wahl für sich entschied, erlitt die Labour Party unter Jeremy Corbyn ein historisch schlechtes Ergebnis. Die Tories sicherten sich 365 der 650 Sitze im Unterhaus.
31. Januar 2020 - der Austritt
Nach dreieinhalb Jahren war es soweit: Das Vereinigte Königreich verließ die EU. Doch vollständig abgeschlossen ist der EU-Austritt damit noch nicht. Die Verhandlungen zwischen London und Brüssel gehen in eine wichtige Runde, bis Jahresende will Großbritannien diese abschließen.
2. März 2020: EU-Austrittsverhandlungen
Die EU fährt eine klare Linie und schlägt ein Freihandelsabkommen ohne Zölle sowie mengenmäßige Beschränkungen vor, fordert dafür aber eine Zusicherung für faire Wettbewerbsbedingungen. Großbritannien will ebenso einen fairen Wettbewerb erzielen, betont jedoch seine Unabhängigkeit und wolle deshalb mehrheitlich Vereinbarungen, keinen Vertrag, erwirken. Die Verhandlungen sollen sich bis Oktober ziehen.
März 2020: Coronavirus wirbelt Zeitplan durcheinander
Seit etlichen Wochen breitet sich das Coronavirus über den Globus aus und hat auch längst Europa erreicht. Sogar EU-Verhandlungsführer Michel Barnier wurde positiv auf COVID-19 getestet. Ohnehin ist in dieser Situation nicht mehr an Präsenzkonferenzen zu denken, weshalb der Zeitplan für die Verhandlungsgespräche ins Stocken gerät.
12. Juni 2020: Keine Verlängerung der Verhandlungen
Im Juni schließt Großbritannien eine Verlängerung der Verhandlungen mit der EU über das Jahresende hinaus nun endgültig aus. Der Druck, ein Abkommen über die künftigen Beziehungen nach dem Brexit bis Ende 2020 zustande zu bringen, wächst.
1. Juli 2020: Deutschland übernimmt EU-Ratspräsidentschaft
Inmitten der Corona-Pandemie übernimmt Deutschland am 1. Juli den EU-Ratsvorsitz und bemüht sich um Fortschritte in den Verhandlungen mit Großbritannien.
September 2020: Ist es bereits zu spät für eine Einigung?
Im September geht Premierminister Boris Johnson schließlich auf Konfrontationskurs, er wolle die festgefahrenen Gespräche endlich abschließen. So stellt er der EU ein Ultimatum: Wenn das Abkommen bis zum Jahresende in Kraft treten solle, müsse es bis zum 15. Oktober stehen. Ansonsten komme keine Einigung mehr zustande, dies müssten dann alle Parteien akzeptieren.
Oktober 2020: EU leitet rechtliche Schritte ein
Wegen des Bruchs des Brexitvertrags reicht die EU-Kommission schließlich eine formelle Beschwerde gegen das britische Binnenmarktgesetz ein. In der vorerst letzten Verhandlungsrunde am 2. Oktober kommt es derweil noch immer nicht zum Durchbruch - die Skepsis, ob eine Einigung noch vor Ende der Verhandlungsfrist erzielt werden kann, wächst. Boris Johnson bereitet die Briten derweil bereits auf ein "No Deal"-Szenario vor und zeigt sich nicht bereit, das umstrittene Binnenmarktgesetz zurückzuziehen. Am 20. Oktober lässt der Premierminister über einen Sprecher mitteilen, dass die Gespräche mit der EU endgültig gescheitert seien, da diese nicht dazu bereit sei, ihre Verhandlungsposition zu ändern - ein harter Brexit droht. Währenddessen einigen sich Großbritannien und Japan kurze Zeit später auf ein Freihandelsabkommen, das nach Ablauf der Brexit-Übergangsphase gelten soll.
November 2020: Der Druck auf Johnson wächst
Als Joe Biden am 9. November 2020 zum US-Präsidenten gewählt wird, wird der Druck auf Johnson und Großbritannien nochmals größer. Biden betrachtet den Ausstieg Großbritanniens aus der EU als Fehler - somit gefährdet Johnson auch die besondere Beziehung zu Washington. Wenige Tage später tritt Lee Cain, Kommunikationschef des Premierministers und bekannter Brexit-Hardliner, von seinem Amt zurück. Kurze Zeit später folgt ihm Johnsons Chefberater Dominic Cummings - das Brexit-Lager wird somit weiter geschwächt. Großbritannien zeigt sich jedoch weiterhin unbeeindruckt von einem möglichen "No Deal"-Szenario: Johnson betont, er werde keine Vorschläge akzeptieren, die die Hoheitsrechte Großbritanniens einschränken. Am 21. November vereinbaren Kanada und Großbritannien derweil ein Handelsabkommen. Ob in Freihandelsabkommen mit der EU zustande kommen wird, ist jedoch auch Ende November weiterhin nicht sicher.
Dezember 2020: Der Durchbruch
Anfang Dezember geraten sowohl das Britische Pfund als auch britische Wertpapiere aufgrund wachsender Zweifel an einer Einigung unter Druck. Diplomaten zufolge habe es inzwischen jedoch deutliche Fortschritte gegeben, der Vertragstext sei nahezu fertig - es gebe lediglich drei Streitfragen, die noch geklärt werden müssten: Fischerei, fairer Wettbewerb und Strafzölle. Wenige Tage vor Ablauf der Übergangsfrist einigen sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Premier Johnson schließlich darauf, die Verhandlungen fortzuführen. An Heiligabend dann der Durchbruch: Eine Woche vor Ablauf der Übergangsperiode einigen sich Brüssel und London auf ein Handelsabkommen nach dem Brexit, ein ungeordneter Austritt ist damit abgewendet. Das britische Unterhaus stimmt dem Brexit-Handelspakt am 30. Dezember mit 521 zu 73 Stimmen zu.
Januar 2021: Chaos nach dem Brexit?
Seit dem 1. Januar dieses Jahres ist Großbritannien nicht mehr Teil der europäischen Zollunion sowie des Binnenmarktes. Der britische Premierminister versucht, den Deal als Erfolg zu verkaufen. Britische Exporteure zeigen sich jedoch unzufrieden mit den zusätzlichen Formalitäten und auch Experten rechnen langfristig mit negativen Folgen für die Wirtschaft Großbritanniens. Droht nun das große Chaos?
2022: Wirtschaftliche Entwicklung
Das Volumen des britischen Warenhandels mit der EU ging nach der Umsetzung des Handels- und Kooperationsabkommens deutlich zurück und blieb bis Anfang 2022 unter dem Niveau vor der Pandemie. Auch der Dienstleistungshandel mit der EU ist nach wie vor etwas schwächer als der Handel mit Nicht-EU-Partnern. Der Brexit scheint also eine gewisse Rolle gespielt zu haben, möglicherweise auch aufgrund des Fehlens von Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen. Auch am britischen Arbeitsmarkt waren die Auswirkungen des Brexit spürbar, was unter anderem auf den Rückgang der Zahl der EU-Migranten, die im Vereinigten Königreich arbeiten, zurückzuführen sei, so der Wirtschaftsbericht der EZB.
Redaktion finanzen.net
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