Deglobalisierung läuft

Ende der Friedensdividende: Welche Unternehmen attraktiver werden

06.06.22 12:34 Uhr

Ende der Friedensdividende: Welche Unternehmen attraktiver werden | finanzen.net

Die Weltwirtschaft steht vor einer Neuordnung. Firmen, die sich stark auf ihre westlichen Heimatmärkte konzentrieren, werden attraktiver.

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von Andreas Hohenadl, Euro am Sonntag

Nicht so genau hingucken, Probleme ausblenden - die Vogel-Strauß-Taktik funktionierte lange Jahre sehr gut im geschäftlichen Umgang mit China. Nun hakt es an allen Ecken und Enden. Da steht zum einen die Tatsache im Raum, dass sich Peking nach wie vor weigert, den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine als solchen zu benennen. Zum anderen führen die jüngsten Enthüllungen über die Verfolgung von Uiguren in der Provinz Xinjiang so drastisch wie nie die Brutalität des chinesischen Machtapparats vor Augen.

Wegsehen wird immer schwieriger, selbst für die hartnäckigsten Verfechter des freien Handels. Stattdessen werden aus der Ampelkoalition Rufe nach einer neuen China-Politik der Bundesregierung laut. Die könnte sich notgedrungen immer stärker dem Kurs der USA annähern. Erst vergangene Woche verkündete der amerikanische Außenminister Antony Blinken in einer Grundsatzrede: "Auch wenn der Krieg von Präsident Wladimir Putin weitergeht, werden wir uns weiterhin auf die größte langfristige Herausforderung für die internationale Ordnung konzentrieren - und die geht von der Volksrepublik China aus."

Manch einer sieht angesichts der neuen Weltlage bereits das Ende der Globalisierung, zumindest aber eine zunehmende Entflechtung von Handelsbeziehungen. Wie eine solche Entwicklung ablaufen wird, ist noch unklar. Gewiss ist nur: Die Weltwirtschaft wird sich neu ordnen. Und das ist speziell für Unternehmen mit globalen Lieferketten oder Absatzmärkten eine große Herausforderung und mit höheren Kosten verbunden. Vor diesem Hintergrund werden Firmen attraktiver, die sich auf ihre Heimatmärkte konzentrieren, sei es beim Bezug von Rohstoffen und Vorprodukten oder beim Absatz ihrer Erzeugnisse und Dienstleistungen.

Paradebeispiel für ein solches Unternehmen ist Weyerhaeuser. Bei dem Forstkonzern aus dem US-Bundesstaat Washington handelt es sich um den größten Waldbesitzer Nordamerikas und einen der wichtigsten Holzproduzenten weltweit. Auf fast zehn Millionen Hektar, was nahezu einem Drittel der Fläche Deutschlands entspricht, wachsen die Bäume des Unternehmens. Knapp die Hälfte des Waldbestands gehört dem Unternehmen in den USA direkt, der andere Teil ist in Kanada langfristig vom Staat gepachtet.

Die Geschäfte von Weyerhaeuser laufen derzeit prächtig. Dafür sorgen der stark gestiegene Holzpreis und die hohe Nachfrage sowohl aus der Papier- und Verpackungsindustrie als auch aus der Baubranche. Vor allem in den USA werden viele Einfamilienhäuser traditionell aus Holz gefertigt. Dementsprechend stark ist das Unternehmen auf dem Heimatmarkt vertreten. Nach Angaben des Finanzdatendienstleisters Bloomberg erzielte Weyerhaeuser im vergangenen Jahr rund 91 Prozent seiner Umsätze in den USA und Kanada.

Deutsche Firmen suchen "Plan B"

Wie der vor mehr als 120 Jahren gegründete Holzproduzent sind viele US-Unternehmen stark auf den Heimatmarkt ausgerichtet. Die amerikanische Wirtschaft ist deshalb nicht so anfällig bei Deglobalierungstendenzen. Ganz im Gegensatz zur deutschen Wirtschaft. Rund 43 Prozent der hiesigen Wirtschaftsleistung stammen aus dem Export. China nimmt dabei eine bedeutende Rolle ein. Allein in den vergangenen zwölf Monaten erzielte Deutschland Exporterlöse im Umfang von 105 Milliarden Euro im Handel mit der Volksrepublik. Das ist das Vierfache dessen, was der Handel mit Russland einbringt. Zugleich versorgt China die Bundesbürger mit günstigen Waren. Für 154 Milliarden Euro hat Deutschland in den zurückliegenden zwölf Monaten in dem Land eingekauft.

Unternehmen hierzulande sind auf vielfältige Weise mit China verknüpft. Ein eindrückliches Beispiel bietet Volkswagen: Vier von zehn Autos setzen die Wolfsburger in der Volksrepublik ab, die meisten der Fahrzeuge werden vor Ort produziert. Aber auch in Deutschland hängen Millionen Jobs an den Geschäftsbeziehungen mit dem Riesenreich. Doch diese Beziehungen verschlechtern sich zusehends.

Karl Haeusgen, Präsident des Verbandes der Anlagen- und Maschinenbauer, schlug in einem Interview mit der "SZ" unlängst kritische Töne an: "Das Szenario einer Bildung von zwei großen Blöcken in der Welt - hier der Westen, da ein östlicher Block unter chinesischer Führung - ist leider kein unwahrscheinliches Szenario mehr", sagte er. "Das bedeutet: Das reine Exportmodell vieler unserer Mitglieder ist erheblichen Risiken ausgesetzt." Ein großer Teil der Unternehmen arbeite deshalb schon an einem "Plan B für das China-Geschäft".

Den deutschen Maschinenbauern, und nicht nur ihnen, dürften schwierige Jahre bevorstehen. Und Anleger könnten künftig sehr viel genauer darauf achten, in welchen Ländern und Regionen Unternehmen ihre Umsätze erzielen. Klar ist schon jetzt: Nicht alle Branchen leiden gleichermaßen unter einer Entkoppelung des Welthandels. Einige Wirtschaftsbereiche sind fast ausschließlich auf ihre nationalen Märkte konzentriert. Dazu zählen beispielsweise Immobilienunternehmen und Versorger, aber auch zum Teil der Mediensektor und der Einzelhandel.

Fast drei Viertel seiner Umsätze erzielt etwa der US-Einzelhandelsriese Costco im eigenen Land. Das Geschäft der Handelskette ist nicht nur wegen der starken Ausrichtung auf den nationalen, konsumfreudigen Markt interessant. Auch für das aktuelle Umfeld ist das Unternehmen gut aufgestellt. Denn es erzielt stetige Einnahmen durch die Mitgliedsbeiträge seiner Kunden. Diese bekommen dafür bei vielen Produkten einen großen Preisnachlass. Gerade in Zeiten hoher Inflationsraten, wenn viele Haushalte sparsam mit ihrem Geld umgehen müssen, ist das ein attraktives Geschäftsmodell.

Energie aus dem Norden Europas

Einen mindestens ebenso großen Push erfährt aktuell das Geschäft von Equinor. Das norwegische Unternehmen ist der am besten geführte staatliche Öl- und Gaslieferant der Welt. Er betreibt mehr als 40 Förderstätten auf dem norwegischen Kontinentalsockel und kann seine Förderkapazitäten sehr schnell hochfahren. Equinor ist bestens aufgestellt, um von der aktuellen Energiekrise in Europa und dem Wegfall russischer Energie zu profitieren.

Und noch ein weiterer Aspekt macht das Unternehmen interessant: Seit vielen Jahren investieren die Norweger ihre Gewinne in regenerative Energien. Unter anderem sind sie der erste Betreiber eines schwimmenden Windparks auf hoher See. Daneben setzt Equinor auf Solar sowie die klimaneutrale Produktion von Wasserstoff und CO2-Speicherung. Auch auf das Ende des Ölzeitalters sind Anleger mit diesem Unternehmen also bestens vorbereitet.

Vorbereiten müssen sich auch viele Unternehmen, die ihre Produktion in die Heimatregion zurückverlagern wollen. So gibt es etwa Bestrebungen, die Herstellung von Chips, die in Computern, elektronischen Geräten und Autos gebraucht werden, wieder in den USA und Europa anzusiedeln. Eine Repatriierung von Produktionsprozessen in die Industrieländer dürfte generell die Verbreitung innovativer Technologien fördern. Unternehmen werden verstärkt in fortgeschrittene Automatisierung und Robotik investieren, wenn sie Produktion aus Billiglohnländern zurückholen wollen. Anders als mit hochmodernen Fertigungsanlagen ist es kaum vorstellbar, die höheren Arbeitskosten in den Industrieländern zu stemmen.

Für Anleger bietet sich deshalb auch die Möglichkeit, in die Ausrüster zu investieren. Das sind Unternehmen wie die deutsche Siemens (WKN: 723 610), der japanische Roboterbauer Fanuc (863 731) oder der schweizerisch-schwedische Elektrotechnikkonzern ABB (919 730). Dessen Chef Björn Rosengren hat den Industriekonzern schlanker und schlagkräftiger aufgestellt. Er konzentriert sich aktuell auf die vier Geschäftsbereiche Elektrifizierung, Antriebstechnik, Industrieautomation und Robotik. Die beiden letztgenannten Sparten tragen etwa ein Drittel zum Gesamtumsatz bei. Sie könnten künftig wichtiger werden, wenn es in der westlichen Welt heißt "Do it yourself" statt "Wandel durch Handel".

INVESTOR-INFO

Welthandel

Der Zenit ist überschritten

Bereits vor der Corona-Krise und dem Ukraine-Krieg zeichnete sich ein Richtungswechsel im globalen Handel ab. Die weltweiten Güterströme in Relation zur globalen Wirtschaftsleistung waren seit dem Zweiten Weltkrieg bis 1980 kontinuierlich gestiegen. Die Integration der Entwicklungsländer in das Welthandelssystem sowie die Aufnahme Chinas in die WTO im Jahr 2001 haben das Tempo der Globalisierung weiter beschleunigt. Ihren Höhepunkt erreichte diese Phase der "Hyperglobalisierung" kurz vor der Finanzkrise 2008. Der Welthandel ist seither (nach einer kurzen Erholung bis 2011) schwächer gewachsen als die globale Wirtschaftsleistung.

Costco Wholesale

Einkaufen mit Klubkarte

Das Geschäftsmodell des US-Händlers funktioniert nach einem einfachen Prinzip: Rein in die Mega-Stores darf, wer eine Klubkarte hat. Pro Familie und Jahr kostet das 60 US-Dollar. Allein diese Klubgebühren spülen dem Unternehmen rund vier Milliarden Dollar jährlich in die Kasse. Das Umfeld für die Aktie ist derzeit schwierig, da eine Reihe von US- Einzelhändlern schwache Quartalszahlen vorgelegt hat. Costco erfüllte zuletzt immerhin die Prognosen und könnte sich in einem inflationären Umfeld besser als andere schlagen.

Equinor

Energie von Freunden

Der norwegische Öl- und Gasförderer ist in Zeiten von Energieembargos und geopolitischer Neuordnung gefragt. Das macht sich auch an den Zahlen bemerkbar: Im abgelaufenen Quartal ist der Umsatz um mehr als 90 Prozent auf knapp 34 Milliarden US-Dollar gestiegen, der Gewinn je Aktie kletterte von 0,82 auf 1,59 Dollar. Pluspunkt des Unternehmen ist, dass es seine Gewinne nutzt, um kontinuierlich den Anteil an erneuerbaren Energien im Portfolio auszubauen.

Weyerhaeuser

Lukrativer Holzweg

Das US-Unternehmen bewirtschaftet riesige Waldflächen in den USA und Kanada und ist einer der größten Holzverarbeiter weltweit. Daneben nutzt Weyerhaeuser seine Flächen, um dort Windräder und Solaranlagen aufzustellen. Angetrieben von den kräftig gestiegenen Preisen für Holz, hat der Konzern im ersten Quartal einen operativen Rekordgewinn erzielt. Die Aktie findet sich auch im neu aufgelegten Index "Agrar und Nahrung" des Finanzen Verlags.










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