Das System der Produktivkräfte
Kennen Sie den genialen Friedrich List? Oder Werner Sombart? Oder Alexander Rüstow und Wilhelm Röpke?
Nein? Dann deswegen, weil diese außergewöhnlichen deutschen Ökonomen in der modernen, angelsächsisch dominierten Ökonomie keine Rolle mehr spielten.
Glücklicherweise konnte ich über List und andere große Denker in meinen Seminaren zur politischen Ökonomie in Princeton forschen und diskutieren. Bei einigen wenigen Politikwissenschaftlern leben derartige Denker weiter. Von den Marktideologen, die heute die Diskussion beherrschen, werden sie verdrängt.
Friedrich List, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebte, ist der Pionier des deutschen Eisenbahnnetzes sowie der deutschen Zollunion. Aufgrund seiner kritischen und demokratischen Einstellung musste der junge Professor ins Gefängnis, bevor er in die USA ging, dort mit Eisenbahnen und Kohle reich wurde, Präsident Jackson unterstützte und als amerikanischer Konsul mit diplomatischer Immunität nach Deutschland zurückkehrte. Im Herzen war er deutscher Patriot geblieben. Dort half er in Sachsen, Eisenbahnen zu konzipieren, wurde aber von den Dresdnern übervorteilt. Als Ideengeber und unermüdlicher Idealist wurde er geschätzt, als Geschäftsmann herausgedrängt.
Im Jahr 1841 schrieb List sein Hauptwerk: „Das nationale System der politischen Ökonomie“. Er wandte sich gegen die Freihandelslehre von Ricardo, Smith und Hume und befürwortete Schutzzölle, die die Industrialisierung eines Landes beschleunigen sollten. List nannte sie „Erziehungszölle“.
Letztlich war es für List nicht „der Markt“, beziehungsweise Angebot und Nachfrage, sondern ein „System der Produktivkräfte“, welches über den Erfolg oder Misserfolg einer Volkswirtschaft entscheidet. Solche Produktivkräfte können sein: Bildung, Organisation, Gewerbefleiß, Sparsamkeit. List war damit auch Vorbereiter der Theorie vom Humankapital, nur hat er es oftmals besser und treffender ausgedrückt als heutige Ökonomen.
List nahm ein tragisches Ende. Der unermüdliche Kämpfer für die Verbesserung der wirtschaftlichen Bedingungen wurde überall mit Interesse gehört, konnte aber nirgends eine gehobene Stellung erzielen und war so vor allem publizistisch tätig. Im Jahr 1846 beging er Selbstmord.
Was geschieht heute mit unserem „System der Produktivkräfte“? Was ist die Folge dessen, dass wir unproduktive Financasinos und Banken wie die Deutsche Bank (WKN: 514000), die Commerzbank (WKN: 803200), die Royal Bank of Scotland (WKN: 865142), Hedgefonds und Private-Equity-Gesellschaften wirtschafts- und steuerpolitisch unterstützen und die produktive Wirtschaft, wie zum Beispiel Maschinenfabrik Berthold Hermle (WKN: 605283), Frosta (WKN: 606900) und Gesco (WKN: 587590) durch restriktive Regelungen benachteiligen? Warum investieren wir in Harz IV und Bankenrettungen und nicht in Bildung? Warum zerstören wir unser hervorragendes deutsches Bankensystem und ersetzen es durch minderwertige angelsächsische Modelle? Manchmal fühle ich mich so verzweifelt, wie sich List am Ende gefühlt haben muss. Ich verspreche Ihnen aber, dass ich nicht denselben Weg gehen werde!
Ein bisschen Hoffnung bleibt.
Auf gute Investments, Ihr Prof. Dr. Max Otte
Prof. Dr. Max Otte ist Herausgeber des PRIVATINVESTOR (www.privatinvestor.de) und Geschäftsführender Gesellschafter der IFVE Institut für Vermögensentwicklung GmbH. Ziel des Instituts ist die Aktienanalyse und die Entwicklung von Aktienstrategien für Privatanleger.Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die Smarthouse Media GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.