Interview

William Isaac: „Schizophrenes Krisenmanagement“

30.10.10 06:00 Uhr

Der frühere Chef des US-Einlagensicherungsfonds FDIC, William Isaac, wirft der US-Regierung Versagen bei der Bewältigung der Finanzkrise vor – und empfiehlt Bankaktien.

von Tim Schäfer, Euro am Sonntag

William Isaac war 34 Jahre alt, als ihn der damalige US-Präsident Jimmy Carter 1978 als jüngstes Mitglied in das Board des US-Einlagensicherungsfonds FDIC berief. Während der Finanzkrise in den 80er-Jahren leitete Isaac den Fonds. In seinem Buch „Senseless Panic“ – „Sinnlose Panik – Wie Washington versagte“ gibt er heute der US-Regierung die Schuld an der schwersten Krise seit der Gro­ßen Depression: „Sie retteten Bear Stearns, ließen Lehman Brothers pleitegehen, ohne jede Strategie. Daher brach Panik aus.“

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€uro am Sonntag: Wer trägt aus Ihrer Sicht die Hauptschuld an der Finanzkrise?
William Isaac: Das US-Finanzministerium trägt meiner Meinung nach die Hauptverantwortung. Das Krisen­management hat schrecklich versagt. Ich nenne es schizophrenes Krisenmanagement. Sie retteten Bear Stearns und verkauften die Bank an JP Morgan Chase. Dann ließen sie Lehman Brothers untergehen. Sie retteten AIG und ließen Washington Mutual pleitegehen. Das ging hin und her – ohne klare Strategie, ohne klaren Plan. Der Markt wusste nicht, wer als Nächstes untergeht. Wer trägt Verantwortung und wie reagiert die Regierung? Daher brach verständlicherweise Panik aus.

Wo liegt der Unterschied zur Krise in den 80er-Jahren, als 3000 Banken zusammenbrachen?
Die Menschen zu beruhigen, ist das Erste, was in der Krise getan werden muss. Man muss ihnen signa­lisieren, dass die Lage unter Kontrol­le ist. Das haben wir in den 80er-Jahren so gemacht. Die Regierung steuerte in geordneten Bahnen durch die Krise. Die Leute wussten, was auf sie zukommt, die Resultate waren vorhersehbar. Auf die aktuelle Krise wurde nicht richtig reagiert, daher erlebten wir dieses Mal eine finanzielle Panik, die war in den 80er-Jahren ausgeblieben.

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Ist die aktuelle Krise bereits überstanden?
Ein Unterschied dieser Krise ist, dass die Erholung diesmal zäher und langwieriger verläuft. Der Aufschwung schafft keine neuen Jobs. Mit der Folge, dass wir uns länger mit Problemfällen bei den Banken beschäftigen müssen. Auch die finanzielle Panik könnte die Wende noch verzögern. Wenn wir aber unterstellen, dass wir nicht zurück in eine neue Rezession fallen, sollten die Probleme zum Jahresende hin bewältigt sein.

In welcher Ver­fassung befindet sich der amerikanische Finanzsektor jetzt?
Ich glaube, das Wort „stabil“ beschreibt die Lage des amerikanischen Bankensystems sehr gut, bei großen wie kleineren Instituten. Abgesehen natürlich von den 800 Banken, die auf der Problemliste geführt werden. Nicht alle Problemfälle gehen übrigens unter. Nur einer von vier Fällen segnet das Zeitliche.

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Führende US- Banken wie Citigroup, JP Morgan oder Bank of America haben sich Kapital beschafft und ihre Portfolios bereinigt. Wie schätzen Sie deren Situation ein?
Diese Großbanken, aber auch die Regionalbanken, haben ihr Kapital erhöht, sie besitzen Liquidität und große Darlehensreserven. Sie sind bereit, Geld zu verleihen – jedoch nur, wenn gute Darlehen zu vergeben sind. Sie haben natürlich höhere Anforderungen als noch vor Jahren. Das Problem ist, es gibt kaum Nachfrage, denn die großen Firmen schwimmen im Geld, sie horten Cash. Und es gibt viele Sorgen in diesem Land. Es mangelt an Zuversicht.


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Wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, um die führenden Bankaktien zu kaufen?
Vom Kursniveau her notieren diese Banken in der Tat sehr viel niedriger als vor der Krise. Wer jetzt Bankaktien kaufen will, könnte ein sehr gutes Investment eingehen – auf lange Sicht selbstverständlich. Denn diese Aktien werden momentan nur zu einem kleinen Teil ihres inneren Werts gehandelt. Wenn die Probleme aber bewältigt sind und die Wirtschaft wieder wächst, wird das anders aussehen. Der schwierige Teil der Frage ist jedoch, den richtigen Zeitpunkt zu wählen. Gibt es einen Grund, diese Banken jetzt zu kaufen oder vielleicht erst in sechs Monaten? Das ist das Problem. Langfristig jedoch steckt in jedem Fall ein großer Wert in diesen Aktien.

Greift die Regulierung des Finanzsektors an den richtigen Stellen?
Ich bin kein Fan unserer Finanzmarktreform. Sie geht nicht den Hauptursachen der Krise auf den Grund. Hierzu zähle ich waghalsige Kreditvergaben, verursacht durch Fannie Mae und Freddie Mac. Verantwortlich war auch die hochgradig politische und fragmentierte Banken­regulierung sowie hochzyklische Bilanzierungsvorschriften. Und eine Börsenaufsicht, SEC, die ihre Arbeit nicht sauber gemacht hat. Außerdem zähle ich das Financial Accounting Standards Board dazu, das außer Kontrolle geraten ist und denen die Regierung nicht auf die Finger geschaut hat. Es gibt sehr viele Probleme, die angegangen werden müssen, beispielsweise bei den Ratingagenturen, die versagten. Die neuen Regeln für die Banken sind meist nur politisches Theater.

Während der Krise gab es Pleiten und Übernahmen. Sind jetzt ein paar Banken zu groß geworden?
Fünf Banken in diesem Land kontrollieren über 50 Prozent des Markts. Ich finde, das ist ein gefährliches Niveau, auf dem jetzt das Risiko konzentriert ist. Ich hoffe, dass wir genug Einsicht haben, sie nicht noch größer werden zu lassen. Ich hoffe, dass die Regierung nicht noch mehr Konzentration erlaubt.

Wo steht der Markt, gemessen etwa am Dow-Jones-Index, der in der Krise bis zu 50 Prozent verloren hat?
Der Markt ist zurück auf dem Niveau, auf dem er vor der Panik war, und das ist sehr gut. In zwei Jahren haben Aktienbesitzer also nichts ­verloren und nichts gewonnen. Der Markt wartet jetzt ab, was politisch in diesem Land passiert. Ein Grund für den jüngsten Anstieg war wohl, dass der Markt mit einer gespaltenen Regierung rechnet. Und er sieht das positiv, weil es dann sehr viel schwerer wird, Gesetzgebungsverfahren durchzubringen. Das stoppt zwar auch die guten Vorhaben. Aber der Markt begrüßt es vor allem, dass die schlechten Gesetzesvorhaben gestoppt werden.

Was ist die dringendste politische Aufgabe?
Wir haben sehr viel Kapazitäten: eine starke Arbeitnehmerschaft und Unternehmen, die mit sehr viel Kapital und Liquidität ausgestattet sind. Was wir brauchen in diesem Land, ist, dass sich Demokraten und Republikaner zusammensetzen und die Schulden abbauen. Das ist das Kernproblem. Wir haben ein 13-Billionen-Dollar-Defizit, das weiter wächst. Wenn beide Parteien dieses Problem gemeinsam lösen, könnten wir einem langen Bullenmarkt entgegensehen.