Zwischen Hoffen und Bangen
Nach einer Konsolidierungsphase im April beginnen die Aktienmärkte nun wieder ihre Höchststände ins Auge zu fassen. Dabei wird aktuell die Gefühlslage der Börsianer stark von der zukünftigen Geldpolitik der Notenbanken beeinflusst. Die Marktteilnehmer warten auf die erste Zinssenkung und klopfen so jede Konjunkturzahl nach Inflationsspuren ab.
Die ambitionierten Zinssenkungserwartungen vom Jahresanfang haben zuletzt jedoch einen Dämpfer erhalten. Gingen die Märkte Anfang Januar noch von sechs Zinssenkungen um je 25 Basispunkte aus, preisen sie nun nur noch insgesamt drei Zinssenkungen bis Ende 2024 ein. Somit wurde in den letzten Wochen viel Zinssenkungsphantasie wieder ausgepreist.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Leitzinsen in ihrer letzten Sitzung im April ein weiteres Mal unverändert gelassen. Dies war von Ökonomen im Vorfeld auch so erwartet worden. Der EZB-Rat verwendete in seinen geldpolitischen Beschlüssen aber erstmals eine Formulierung, die auf eine Lockerung der Geldpolitik hindeutet, wenn die Wirtschaftsprognosen im Juni genügend Spielraum dafür bieten.
Die EZB erklärte zwar, dass sie datenabhängig bleibe und sich nicht auf einen Zinspfad festlegen werde. Doch Präsidentin Christine Lagarde wies auch darauf hin, dass einige EZB-Räte schon jetzt ausreichend zuversichtlich waren, was die Inflation angeht. Insofern bleibt die Hoffnung auf fallende Zinsen im Juni bestehen. Neu ist aber, dass damit voraussichtlich die EZB als erste an der Zinsschraube nach unten drehen wird, und nicht die US-FED.
In den USA mehren sich nämlich aufgrund der starken Konjunktur die Zeichen, dass Zinssenkungen erst später kommen und geringer ausfallen werden. Unter den Börsianern macht sich daher Ernüchterung breit. Die Hoffnungen auf baldige Zinssenkungen sind jenseits des Atlantiks erst einmal verflogen. Die amerikanische Wirtschaft steht zu robust da, und die Preisindikatoren stellen die amerikanischen Notenbanker keinesfalls zufrieden.
Vielmehr hat die US-Notenbank erneut ihre Besorgnis über die Inflation zum Ausdruck gebracht: "Bislang haben uns die Daten in diesem Jahr nicht die Zuversicht gegeben, dass Zinssenkungen angemessen sind", erklärte Fed-Chef Jerome Powell auf der Pressekonferenz nach der Zinsentscheidung. "Die Inflationswerte liegen über den Erwartungen. Es wird länger dauern als bisher angenommen, bis wir ein solches größeres Vertrauen erlangen." Wie die Eisheiligen im Mai hat das die Börsianer kalt erwischt. Manch einer fürchtet bereits sogar zusätzliche Zinsanhebungen. Doch so weit will Powell nicht gehen; er sieht dafür "keine Anhaltspunkte, die diese Schlussfolgerung stützen".
So bleibt es ein Hoffen in Europa und ein Bangen in USA und das in einer erfahrungsgemäß eher schwierigeren saisonalen Aktienmarktphase ab Mai.
von Dr. Marc-Oliver Lux von Dr. Lux & Präuner GmbH & Co. KG in München
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