Schuldenexplosion in Deutschland: Interview mit Dr. Detlef Rettinger
Im Jahr 2010 stiegen die Schulden des deutschen Staates um 18 Prozent, in absoluten Zahlen um mehr als 300 Mrd. Euro, auf ...
... nunmehr insgesamt 1.998,8 Billionen Euro. Das ist der stärkste Schuldenanstieg, den es je gab. Wie kann das sein, wenn doch überall zu lesen ist, dass die Konjunktur brummt, wie seit der deutschen Wiedervereinigung nicht mehr? Und: Führt das nicht unweigerlich in eine Hyperinflation? Darüber sprach der Geldanlage-Report mit Dr. Detlef Rettinger, promovierter Volkswirt und Redakteur des Devisen-Trader.
Geldanlage-Report: Woher kommt die krasse Schuldenexplosion in Deutschland?
Dr. Detlef Rettinger: Der Schuldenanstieg um mehr als 300 Mrd. Euro im Jahr 2010 ist auf die Gründung der Bad Banks zurückzuführen. Die faulen Kredite von HypoRealEstate, WestLB und anderen werden in diesen Bad Banks zusammengefasst und die sich daraus ergebenden Garantien werden dem Bundeshaushalt als Schulden angerechnet. Dafür mussten am Kapitalmarkt aber keine neuen Staatsanleihen begeben werden.
Zudem handelt es sich um Maximalbeträge. Erst nach Auslaufen aller Rettungsmaßnahmen wird sich zeigen, wie viele Papiere wirklich abgeschrieben werden müssen, weil ihnen keine realen Werte mehr gegenüberstehen. Gering wird der Betrag vermutlich nicht sein, doch sicherlich auch nicht die kompletten 300 Mrd. Euro.
Geldanlage-Report: Wieso explodieren die Schulden trotz boomender Wirtschaft?
Dr. Detlef Rettinger: Es muss zwischen dem Anwachsen der Schulden wegen der Garantien für die faulen Kredite und der Nettokreditaufnahme zur Finanzierung des laufenden Haushalts unterschieden werden. Der Bund rechnete noch im September 2010 mit einer Nettokreditaufnahme von 57,5 Mrd. Euro für 2011, inzwischen erwartet Wolfgang Schäuble „nur“ neue Schulden von 40 Mrd. Euro. Und 2012 könnte die Neuverschuldung sogar unter die Grenze von 30. Mrd. Euro fallen. Die boomende Wirtschaft wirkt sich also durchaus positiv aus.
Geldanlage-Report: Welche Folgen hat die Schuldenexplosion für die Wirtschaft?
Dr. Detlef Rettinger: Die hohen Staatsschulden schränken über die wachsende Zinslast den Handlungsspielraum des Staates ein. Das ist ein großes Problem. Gegenwärtig werden Bund, Länder und Gemeinden mit Zinszahlungen in Höhe von etwa 60 Mrd. Euro pro Jahr belastet. Man muss sich nur einmal vorstellen, dass dieses Geld für andere Zwecke zur Verfügung stünde. Dieses Problem wird sich dann noch verschärfen, wenn die Zinsen steigen sollten. Die Staatsschulden bremsen das Wirtschaftswachstum.
Geldanlage-Report: Wie hoch können die Schulden noch steigen?
Dr. Detlef Rettinger: Im Prinzip können Staaten in eigener Währung unbegrenzt Schulden aufnehmen. Eine absolute oder relative Obergrenze gibt es nicht. Zudem ist der Vergleich der Schulden – einer Bestandsgröße – mit dem Bruttoinlandsprodukts eines Jahres – einer Stromgröße – zwar für Vergleiche in der Zeit und mit anderen Ländern sinnvoll, das erlaubt aber keine Aussagen über die zulässige Höhe von Staatsschulden. Das zeigt ja auch das Beispiel Japan, wo die Staatsschulden bei mehr als 200 Prozent des BIPs liegen, da machen sich die 80 Prozent in Deutschland noch vergleichsweise mickrig aus – ohne das verharmlosen zu wollen.
Darüber hinaus darf man nicht vergessen, dass auch das reale Vermögen weltweit ständig wächst und das muss den Schulden gegenüber gestellt werden. In Deutschland entspricht allein das Wertpapiervermögen der Höhe der Staatsschulden, Immobilien und ähnliches ist da gar nicht mitgerechnet. Ein echtes Problem gäbe es erst, wenn den großen Industrieländern wie den USA, Japan und Deutschland niemand auf der Welt mehr Geld leihen würde. Doch die großen Schwellenländer sind überwiegend gering verschuldet und sie legen ihr Vermögen zu einem nicht geringen Teil in Schuldenpapieren der Industrieländer an. Das bedeutet eine Umverteilung des Weltvermögens, die man auch für bedenklich halten kann, aber die Finanzierung der Schulden steht nicht in Frage.
Geldanlage-Report: Droht uns eine Hyperinflation?
Dr. Detlef Rettinger: Einen direkten Zusammenhang zwischen steigender Verschuldung und Inflation gibt es weder in der ökonomischen Theorie noch in der Praxis. Auch dies zeigt das Beispiel Japan, das trotz seiner hohen Schulden mit Deflation statt mit Inflation zu kämpfen hat. Dennoch liegt die Annahme ja nahe, dass für die Regierungen ein Anreiz besteht, über eine Geldentwertung auch die Schulden loszuwerden, bzw. den realen Schuldenberg zu verringern. Eine solche Politik ist aber tatsächlich auch mit hohen Kosten verbunden, vor allem einem Verlust an Glaubwürdigkeit.
Das ganze System funktioniert ja nur deswegen, weil ausländische Anleger z.B. deutsche Staatsanleihen kaufen, das würden sie dann nicht mehr tun oder nur noch zum Preis einer deutlich höheren Verzinsung. Das würde den gewünschten Effekt konterkarieren. Auch müssten die Notenbanken mitspielen. Diese Politik ist daher nicht wirklich eine Option und wurde auch seit dem Zweiten Weltkrieg von keinem großen Industrieland wirklich betrieben.
Geldanlage-Report: Also ist alles in Butter, kein Grund zur Aufregung?
Dr. Detlef Rettinger: Hyperinflation als Folge steigender Staatsverschuldung sehe ich nicht als Gefahr, eine Zunahme der Inflationsraten vor allem infolge steigender Rohstoffpreise wird es aber schon geben. Darüber hinaus ist das weltweite Finanzsystem weiterhin instabil, eine neue Finanzkrise ist also nicht auszuschließen. Die hohe Staatsverschuldung verstärkt diese Bedrohung.
Allerdings wurden viele faule Kredite in den letzten Jahren aus dem System gespült, das muss man auch sagen. Sollte es zu einer neuen Finanzkrise kommen, bestünde die Gefahr wie bei der Krise 2008 vor allem in einer Deflation, einem Verfall der Vermögenswerte, weniger in Hyperinflation.
Geldanlage-Report: Wir bedanken uns bei Ihnen für das ausführliche Interview.
Armin Brack ist Chefredakteur des Geldanlage-Reports. Gratis anmelden unter: www.geldanlage-report.de. Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.