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Großer GKV-Test: Sie können es sich leisten

26.03.18 12:00 Uhr

Großer GKV-Test: Sie können es sich leisten | finanzen.net

Trotz riesiger Überschüsse sinken die Krankenkassenbeiträge kaum, dafür können Mitglieder mehr für ihr Geld erwarten. Die Kasse, die alles bietet, gibt es nicht.

von Markus Hinterberger, €uro Magazin

Die SPD hat sich durchgesetzt. Ihr ganz großes Vorhaben, mit einer Bürgerversicherung die privaten Krankenversicherun­gen abzuschaffen und alle Bundesbürger gesetzlich zu versichern, konnte sie zwar nicht durchsetzen, aber ihre Minimalforderung aus dem Wahlkampf findet sich im Koali­tionsvertrag wieder: Die neue Bundes­regierung aus CDU/CSU und SPD hat beschlossen, dass der Zusatzbeitrag ab 2019 nicht mehr nur vom Arbeitnehmer, sondern zur Hälfte auch vom Arbeitgeber gezahlt werden muss.



Würde die 50 : 50-Regelung sofort gelten, könnten gesetzlich Versicherte derzeit bis zu 37 Euro im Monat sparen. Diese Zahl ergibt sich, wenn man den aktuell höchsten prozentualen von einer Kasse geforderten Zusatzbeitrag halbiert und auf die Beitragsbemessungsgrenze von 4425 Euro anwendet. 2019 werden es in der Spitze ein paar Euro mehr sein, denn die Beitragsbemessungsgrenze wird traditionell jährlich angehoben. Für das Gros der Versicherten wird es aber kaum günstiger. Da fällt schon mehr ins Gewicht, dass 16 Krankenkassen Anfang 2018 ihre Zusatzbeiträge gesenkt haben.

Gewaltige Rücklagen. Den gesetzlichen Kassen geht es finanziell blendend. Insgesamt haben alle Kassen und der ­Gesundheitsfonds, in den zunächst alle Krankenkassenbeiträge fließen, 28 Milliarden Euro an Überschüssen - ein neuer Rekord, der in erster Linie daher rührt, dass so viele Menschen wie noch nie Krankenkassenbeiträge zahlen. Die hohen Rücklagen haben schon die Politik auf den Plan gerufen. So gibt es Forderungen, den Versicherten "ihr" Geld zumindest teilweise zurückzugeben. Das ist aber alles andere als einfach: "Geht es der Wirtschaft auch nur etwas schlechter, sind die Milliarden ganz schnell ­perdu", sagt Thomas Adolph vom Inter­netportal gesetzlichekrankenkassen.de. Dann zahlten weniger Menschen in die Kassen ein und die Beiträge müssten wieder steigen. Zudem sind Beitragssenkungen teuer: "Bei einer Kasse mit mehreren Hunderttausend Mitgliedern kosten 0,1 Prozentpunkte schnell zehn Millionen Euro und mehr", weiß Adolph. Wegen solch geringer Beitragssenkungen wechselt aber kaum jemand seine Kasse, daher nutzen viele Kassen ihre Überschüsse, um mehr Leistung zu bieten.


Unser Test (ab Seite 110) zeigt, dass die Kassen längst nicht mehr die gleiche Leistung bieten. Zwar sind über 90 Prozent ihrer Leistungen über das Sozial­gesetzbuch festgezurrt, aber beim Rest, den die Kassen frei anbieten können, gibt es enormen Wettbewerb. Dabei setzen Kassen ganz unterschiedliche Schwerpunkte. Die Kasse, die in allen Bereichen top ist, gibt es nicht mehr (siehe Tabelle Gesamtwertung, Seite 111). Wer eine Kasse sucht, die auf allen Gebieten solide ist, muss Kompromisse machen. So landet die Hanseatische Krankenkasse (HEK) bei den bundesweit geöffneten Kassen mit der Note 1,8 auf dem ersten Rang. Ihr folgt die TK mit der Note 1,9. Beide gehören aber längst nicht in allen Kategorien zu den Besten. Unter den regionalen Kassen liegt die Securvita mit der Note 1,8 vorn. Sie ist - von der Gesundheitsförderung abgesehen - überall überdurchschnittlich. Obendrein ist die frühere Seriensiegerin dieses Leistungsvergleichs nur noch in 13 Bundesländern geöffnet. Menschen, die in Brandenburg, Bremen oder dem Saarland leben oder arbeiten, gehen leider leer aus. Die Securvita zeigt auch, dass mehr Leistung ihren Preis haben kann. Eine weitere Vertreterin der Fraktion teuer, aber leistungsstark ist die bundesweit aktive DAK. Deutschlands drittgrößte Kasse punktet vor allem bei Familien und Müttern. Die Barmer als zweitgrößte Krankenkasse Deutschlands verlangt zwar einen durchschnittlichen Beitrag, bietet aber deutlich geringere Leistungen.

Was kommt. Der neue Gesundheits­minister Jens Spahn (CDU) will sich als jung-dynamischer Macher in Szene setzen. Das zeigen seine markigen Äußerungen, er wolle, dass gesetzlich Versicherte künftig gleich lang auf einen ­Termin warten sollen wie Privatver­sicherte. "Wohl kaum ein Arzt würde ­einen Patienten, mit dessen privater Ver­sicherung er deutlich mehr abrechnen kann, warten lassen, um einen Kassenpatienten, bei dem er nach einem strengen Budget abrechnen muss, eher dranzunehmen", so Branchenkenner Adolph. Hinzu kommt, dass Gesundheitsökonomen wie Wolfgang Greiner in den kommenden Jahren fest mit weiter steigenden Beiträgen rechnen. "Einige Kassen werden versuchen, ihre Überschüsse zu nutzen, um die Steigerungen zu dämpfen", prognostiziert der Bielefelder Forscher. Bevor die Beiträge steigen, würden die Kassen, ihre Leistungen herunterfahren, um Geld zu sparen. Um dem zu entgehen, haben gesetzlich Versicherte die Qual der Wahl zwischen über 80 Krankenkassen, die sie immer wieder (siehe Seite 113) wechseln können.


So lesen Sie die Tabellen

Damit Sie aus den insgesamt 82 für die Allgemeinheit geöffneten Kassen die für Sie passende Krankenkasse finden, haben wir sie in zwei große Gruppen ­eingeteilt: in bundes­weit aktive Kassen, die entweder mit Geschäftsstellen in ganz Deutschland vertreten sind oder die für Menschen aus allen Bundesländern online geöffnet sind. Die zweite Gruppe sind regionale Kassen, die lediglich in einem oder mehreren Bundesländern aktiv sind. Bewertet haben wir die Kassen in sieben Bereichen (siehe fett gedruckte Unterpunkte). Die Daten (Stichtag: 15. Februar 2018) stammen von dem Internetportal gesetzlichekrankenkassen.de

Sind Leistungen in einem Budget zusammengefasst (von den Krankenkassen oft "Gesundheitskonto" genannt), hat dies zu Abwertungen geführt und es wurde ein Faktor für das Globalbudget angewendet. Er berechnet sich aus der Anzahl der im gemeinsamen Budget enthaltenen Leistungen. Beginnend mit 0,9 für zwei enthaltene Leistungen kann dieser bis 0,2 für mehr als 20 Leistungen reichen.
Zudem wurde auch ein Regionalfaktor eingeführt. Bietet eine Krankenkasse ihre Leistung nicht im gesamten Versorgungsgebiet an, so wurde die maximal erreichbare Punktzahl durch das Ergebnis folgender Rechnung geteilt: Anzahl der Bundesländer, in denen die Leistung angeboten wird, geteilt durch die Anzahl der Länder im Versorgungsgebiet der Kasse. Diese Abzüge kamen in den Bereichen Natur­heilverfahren, Vorsorge, Zahnversorgung und Zusatzleistungen zum Tragen.

Bonus-/Vorteilsprogramme: Es wurde für insgesamt 25 Bonusbereiche abgefragt, ob in diesen jeweils ein (finanzieller) Bonus für Aktivitäten ­gewährt wird (etwa Mitgliedschaft im Sportverein). Für jeden Bereich gab es einen Punkt, maximal also 25 Punkte (100 Prozent). Zudem wurde gefragt, wie hoch der maximale Geldbonus (keine Sach- oder zweckgebundenen Prämien) ist, den Erwachsene und ­deren mitversicherte Kinder je Jahr ­erzielen können. Der Bonus wurde in einen Prozentwert umgerechnet (Erwachsene größer/gleich 200 Euro = 100 Prozent, Minderjährige größer/gleich 100 Euro = 100 Prozent). Zusätzlich wurde ­betrachtet, wie ­viele Maßnahmen vom Versicherten ab­solviert werden ­müssen, um die maximale Geldprämie zu erhalten. Dazu wurde der durchschnittliche Geldbonus je Maßnahme betrachtet (Erwachsene größer/gleich 40 Euro = 100 Prozent, Minderjährige größer/gleich 25 Euro = 100 Prozent), niedrigere Prämien jeweils anteilig. Die Höhe der Geldprämie sowie die Anzahl der erforderlichen Maßnahmen wurden mit je 50 Prozent gewichtet. Bei den Vorteilsprogrammen für kostenbewusstes Verhalten wurde für drei Bereiche abgefragt, ob es dort finanzielle Vorteile gibt. Sie werden von einzelnen Kassen gewährt, etwa bei ausschließlicher Nutzung bestimmter Apotheken, Generika oder Hilfsmittel. Je Bereich gab es einen Punkt, also maximal drei Punkte. Schließlich wurden die Pro­zentwerte addiert und durch vier geteilt.

Gesundheitsförderung: Hier wird die Umstellung der Lebensweise auf ein gesundheitsbewussteres Verhalten unterstützt. Diese Gesundheitsförderung wird in Form von Schulungskursen erbracht. Leistung je Handlungsfeld: Maximal dürfen die Kassen ihren Kunden im Jahr zwei Kurse von Fremdanbietern erstatten. Ist dies der Fall, gab es einen Punkt. Wird lediglich ein Kurs erstattet, gab es nur einen halben Punkt. Ebenfalls mit einem ­halben Punkt wurde bewertet, wenn auch ein zertifiziertes Onlineprogramm im Angebot ist.
Prozentuale Erstattung je Handlungsfeld: Sie setzt sich aus der prozen­tualen Erstattungshöhe pro einzelner Maßnahme und dem maximalen Erstattungsbetrag pro Maßnahme zusammen. Formel: Erstattungshöhe mal -betrag geteilt durch 50. Ab einem Ergebnis von 250 gab es die vollen fünf Punkte. So wird deutlich, dass etwa 90 Prozent Erstattung bis 250 Euro mehr wert sind als 100 Prozent ­Erstattung bis 100 Euro. Bei Kursen fremder Anbieter wurde das gleiche Schema angewendet.

Integrierte Versorgung: Das Ziel ist hier, Patienten mit klar definierten Krankheiten besser zu behandeln. Dazu schließen Krankenkassen mit Kliniken und anderen Gesundheitseinrichtungen Verträge zu speziellen Krankheitsbildern ab. Patienten können so bei bestimmten Krankheiten auf ein je nach Kasse mehr oder weniger ­großes Expertennetzwerk zurückgreifen. Es wurden 79 Indikationen abgefragt. Wird im Versorgungs­gebiet von der Kasse ein solcher Vertrag für eine Indikation ange­boten, gab es einen Punkt, maximal ­also 79 (100 Prozent).

Naturheilverfahren: Unterteilt wurde die Bewertung in zwei gleich gewichtete Bereiche. Der erste Bereich bildet mit Homöopathie (Medikamente sowie Therapie), ­Osteopathie und der Traditionellen Chinesischen Medizin die mit Abstand am häufigsten nachgefragten Naturheilverfahren ab. Weitere elf Naturheilverfahren (wie beispielsweise die Anthroposophie, Chelattherapie oder auch Irisdiagnostik) bildeten in Summe den zweiten Bewertungsblock und wurden nicht mehr namentlich erwähnt. Maximal konnten in beiden Bereichen 100 Prozent erreicht werden, die für das Gesamtergebnis in Summe durch zwei geteilt wurden.

Vorsorge: Es werden zehn verschiedene Arten von Vorsorgeuntersuchungen bewertet, die entweder gar nicht oder erst in einem späteren Altersabschnitt als Regelleistung von den Kassen angeboten werden. Je Vorsorgeuntersuchung, die im gesamten Versorgungsgebiet angeboten wird, gibt es einen Punkt. Maximal konnten zehn Punkte erreicht werden. Für das Gesamtergebnis wurde das erzielte Ergebnis Vorsorge der jeweiligen Kasse durch zehn geteilt.

Zahnversorgung: Zahnbehandlungen sind teuer; da ist es günstig, wenn die Krankenkasse möglichst viele Behandlungen zahlt. Grundsätzlich gilt: Übernimmt ­eine Kasse eine Behandlung komplett, dann gab es einen Punkt. Die Höhe des ­Zuschusses zu einer professionellen Zahnreinigung wurde rein informativ ­erwähnt. Maximal waren hier zehn Punkte erreichbar (100 Prozent).

Zusatzleistungen: Kassen bieten auf ­einigen Gebieten oft auch Leistungen an, die in Art und Umfang über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinausgehen. Es wurden zwölf Bereiche betrachtet und be­wertet, wobei Haushaltshilfen darin gleich doppelt vorkommen: für Haushalte, in ­denen ältere Kinder leben, und für solche ­ohne Kinder. Je Zusatzleistung, die im ­gesamten Versorgungsgebiet angeboten wird, gab es ­einen Punkt. Bei Übernahme der Kosten einer künst­lichen Befruchtung wurden maximal zwei Punkte vergeben.

Gesamtergebnis: In dieses flossen die sieben aufgeführten Bereiche gleich gewichtet ein. Dabei wurde für jeden Bereich berechnet, wie viel Prozent der maximal möglichen Punkte (= 100 Prozent) die jeweilige Kasse erreicht. Dieser Wert wurde mittels eines bestimmten Schlüssels in €uro-Noten umgerechnet. Der Gesamtbeitrag wurde rein informativ hinzugefügt.

Preis-Leistungs-Verhältnis: Für diese Auswertung (siehe Tabelle links) wurde der Beitrag ins Verhältnis zur Leistung gesetzt und Noten gebildet. Die Schulnote 1,0 hätte es ­gegeben, wenn die leistungsstärkste Krankenkasse zugleich die günstigste gewesen wäre. Das ist aber leider nicht der Fall. Um die Notenbereiche besser zu differenzieren, wurden bei den Noten Nachkommastellen angegeben:

100 % - 91,66 %: 1,0 (sehr gut)
91,65 % - 83,34 %: 1,1 - 1,5 (sehr gut)
83,33 % - 66,66 %: 1,6 - 2,5 (gut)
66,65 % - 50,0 %: 2,6 - 3,5 (befriedigend)
49,99 % - 33,33 %: 3,6 - 4,5 (ausreichend)
33,32 % - 16,66 %: 4,6 - 5,5 (mangelhaft)
16,65 % - 0,0 %: 5,6 - 6,0 (ungenügend)

Durch die interaktive Suchfunktion auf kassensuche.de lassen sich die wichtigsten Leistungen herausfiltern. Die Such­maschine zeigt als Ergebnis die Kassen an, die alle abgefragten Leistungen bieten.

Die Ergebnisse des großen GKV-Tests

Gesamtwertung
Die zehn Kassen mit den höchsten Leistungen über alle sieben Teilbereiche hinweg (PDF)

Bonus-/Vorteilsprogramme (PDF)

Gesundheitsförderung (PDF)

Intergrierte Versorgung (PDF)

Zahnversorgung (PDF)

Naturheilverfahren (PDF)

Zusatzleistungen (PDF)

Vorsorge (PDF)

Wo Preis und Leistung stimmen (PDF)











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