Zukunftsforscher Rifkin: "Vieles wird kostenlos"
Jeremy Rifkin meint: Das Internet der Dinge wird die Welt verändern - mehr als wir uns bisher vorstellen können, sagt der Zukunfts- und Wirtschaftsforscher.
von Astrid Zehbe, Euro am Sonntag
Jeremy Rifkin, Bestsellerautor und Wirtschaftsforscher, wendet sich in seinem Buch "Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft - Das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus" mit einer gewagten These an die Leser. Die digitale Entwicklung wird die Gesellschaft, wie sie jetzt existiert, in den nächsten Jahrzehnten verschwinden lassen. Ursache ist das Internet der Dinge, welches dank seiner neuen vernetzten Technologien die Möglichkeit bietet, Güter und Dienstleistungen fast kostenlos zu tauschen. Knappheit wird es nicht mehr geben, und aus den bisher meist profitorientierten Menschen soll eine soziale, empathische Weltgemeinschaft werden.
€uro am Sonntag: In Ihrem Buch zeichnen Sie ein recht pessimistisches Bild, was den Kapitalismus angeht. Glauben Sie wirklich, dass er seine besten Zeiten hinter sich hat?
Jeremy Rifkin: Ich bin nicht pessimistisch, der Kapitalismus wird nicht verschwinden. Aber er wird nicht mehr die vorherrschende Wirtschaftsform sein. Er wird weiter existieren, aber in anderer Form.
Was wird Ihrer Meinung nach passieren?
Seit einigen Jahren zeichnet sich eine Entwicklung ab, die dazu führen wird, dass die kapitalistische Gesellschaftsform an Bedeutung verliert. Und im Prinzip ist sie daran selbst schuld: Es ist, als wenn der Kapitalismus sein eigenes Kind gebärt. Weil Konkurrenzdruck und daraus resultierende technologische Neuerungen die Grenzkosten, also jene Kosten, die für jede zusätzlich produzierte Einheit anfallen, auf nahezu null senken, werden Unternehmen keine oder nur noch geringe Gewinne machen. Stattdessen wird eine Wirtschaft des Teilens - die Shared Economy - entstehen. Das wird den Kapitalismus bis Mitte dieses Jahrhunderts erheblich verändern.
Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
Die Musikindustrie hat zuerst erfahren müssen, was es bedeutet, wenn Menschen dank des Internets Musik kostenlos teilen, produzieren und anbieten können. Auch die Medien- und Unterhaltungsindustrie, die immer stärker im Wettbewerb mit Anbietern von Blogs oder YouTube-Kanälen steht, können ein Lied davon singen. Und das ist erst der Anfang.
Sie meinen, dass irgendwann auch andere Branchen von Ihrer Null-Grenzkosten-Theorie betroffen sein werden?
Ja, auch das wird heute schon sichtbar. Schauen wir auf Deutschland: Seit einigen Jahren treibt die Regierung hierzulande die Energiewende voran, mehr als ein Viertel des produzierten Stroms kommt mittlerweile schon aus alternativen Quellen, zum Beispiel von Windrädern oder Solaranlagen. Viele Einfamilienhausbesitzer sind ihre eigenen Produzenten und sie speisen sogar Strom in die Netze ein. Das wird weiter zunehmen. Solaranlagen werden irgendwann so billig sein, dass sie ohne zusätzliche Kosten Energie erzeugen können. Ein Energie-Internet - dezentralisiert und mit vielen kleinen Akteuren - wird die großen Energieriesen aus ihrer klassischen Produzentenrolle drängen.
Werden diese Unternehmen weiter existieren und, wenn ja, wie?
Die Firmen - das betrifft nicht nur Energiekonzerne - müssen ihre Geschäftsmodelle ändern. Statt selbst zu produzieren, werden sie die vielen einzelnen Kooperationspartner, also Privatpersonen und kleine Unternehmen, managen und gegebenenfalls Infrastruktur zur Verfügung stellen, denn dafür haben sie Expertise und Kapazitäten.
Wie verdienen die Firmen ihr Geld?
Über eine Provision werden sie an Gewinnen beteiligt. Die Entwicklung wird auch auf andere Bereiche des produzierenden Gewerbes überschwappen. Denken Sie nur an die boomende 3-D-Drucker-Industrie, die es jedem Einzelnen ermöglichen wird, sich selbst die Dinge auszudrucken, die er braucht.
Drucke ich also irgendwann mein Auto selbst zu Hause aus, lade es über meine hauseigene Solaranlage mit Strom auf und lasse mich zu meinem Ziel fahren?
Fast. Ein eigenes Auto werden nur noch die wenigsten Menschen besitzen. Fahrzeuge werden geteilt. Ein Carsharing-Auto kann 15 Privat-Pkw ersetzen. Diese könnten zu Grenzkosten nahe null aus Recyclingmaterial gedruckt werden, mit Energie Ihres Hauses oder einer öffentlichen Ladestation aufgeladen und über ein GPS-gesteuertes Transportsystem, welches in Zukunft beispielsweise die Autohersteller betreiben könnten, von einem Ort zum anderen navigiert werden.
Ist das Ihre Vision vom Internet der Dinge?
Genau. Die Kommunikations-, Energie- und Transportnetze verschmelzen zu einem Superinternet, das die gesamte Wirtschaft sowie Mensch und Maschine miteinander verbindet. Bis 2030 wird alles miteinander zur ersten intelligenten Infrastruktur vernetzt sein. Es ist die nächste industrielle Revolution, in der kaum noch Arbeit benötigt wird.
Das sind düstere Aussichten. Wie verdienen die Menschen denn dann in Zukunft Geld, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten?
Noch ist dieses Problem nicht akut, in den nächsten 40 Jahren wird weiterhin die Massenbeschäftigung dominieren. Die Welt muss mit der entsprechenden Infrastruktur für das Internet der Dinge ausgestattet werden - mit Sensoren, Ladestationen, Solarzellen. Das schafft vorerst genügend Arbeitsplätze.
Und danach entsteht eine Kluft zwischen den wenigen, die vielleicht als Entwickler noch Arbeit finden, und der großen Masse, deren Arbeitsplatz vernichtet ist?
Nein, zwar werden viele der klassischen Jobs durch Automatisierung wegfallen, doch es gibt eine Verschiebung in Richtung soziale Wirtschaft. Die Menschen werden verstärkt im Non-Profit-Bereich arbeiten und ihr soziales Kapital teilen, etwa im Bildungs-, Umwelt- und Gesundheitsbereich.
Wer bezahlt das?
Die Sozialwirtschaft ist längst nicht mehr abhängig von Spenden und Staatszuwendungen, wie viele Experten einem das glauben machen wollen. Über die Hälfte ihres Geldes erwirtschaften Non-Profit-Organisationen heutzutage schon selbst, indem sie beispielsweise Dienstleistungen anbieten. Der Sektor wächst vor allem in den Industrieländern.
Der Non-Profit-Bereich ist nicht gerade bekannt für üppige Löhne.
Das gleicht sich aus. Die Menschen werden weniger Geld benötigen, weil vieles kostenlos zur Verfügung steht und geteilt wird.
Das heißt, dass nicht nur die Preise, sondern auch die Löhne sinken - womöglich sogar im selben Verhältnis. Zeit bleibt jedoch ein knappes Gut. In der Konsequenz müssen die Menschen also genauso viel arbeiten wie bisher, um davon leben zu können, oder?
Ich denke, die Menschen werden weniger arbeiten müssen. Wie gesagt, vieles, was sie brauchen, steht fast kostenlos zur Verfügung. Vor allem werden sie weniger hart arbeiten müssen und mehr teilen. Das Leben wird besser sein.
Eine soziale, empathische Gesellschaft ist eine schöne Vorstellung, aber auch eine naive. Glauben Sie tatsächlich, der Mensch ist dafür gemacht? Denkt nicht doch jeder zuerst an sich?
Klar, aber wenn es den Menschen gut geht und an nichts mangelt, können sie es sich leisten zu teilen. Insbesondere bei der jüngeren Generation beobachte ich, dass sie etwas zur Gemeinschaft beitragen will und kapitalistische Profite nicht im Vordergrund stehen.
Gibt es gar nichts, das Ihnen Sorgen bereitet?
Doch, es gibt einige Herausforderungen wie Datenschutz, Cyberkriminalität, Netzneutralität, die es zu bewältigen gilt. Es wird schwer, aber ich gehe davon aus, dass wir diese Probleme lösen können.
Zukunftsforscher:
Jeremy Rifkin wurde 1945 in Denver geboren. Er wuchs in Chicago auf und studierte in Philadelphia Ökonomie. 1977 gründete er in Washington eine Stiftung zur Erforschung globaler Trends, die Foundation on Economic Trends, deren Vorsitzender er noch heute ist. Mit zahlreichen Büchern zu gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Entwicklungen sorgte er weltweit für Aufsehen, zuletzt mit seinem 2014 erschienenen Werk "Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft".
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